Ein neues Präventions-Institut macht noch keine gute Prävention. Beim geplanten BIPAM kritisieren viele einen unzureichend engen Blick auf das Thema statt des vielzitierten Ansatzes "Health in all policies".

Es klingt nach einem groben Versäumnis: Das Wort "Diabetes" kommt im Entwurf des Gesetzes, das ein Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin aus der Taufe heben soll, genau einmal vor – und das auch nur im Abschnitt Gesetzesfolgen, in dem der Erfüllungsaufwand der Verwaltung dargelegt wird. Dabei wird von Experten schon seit Jahrzehnten gebetsmühlenhaft wiederholt, dass im Kampf gegen die Volkskrankheit Diabetes Konzepte gegen die steigenden Fallzahlen unverzichtbar sind. Und diese Konzepte gibt es, genauso wie es seit Juli 2020 den Beschluss des Bundestags für eine nationale Diabetesstrategie gibt. Im November 2022 hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ein Strategiepapier "Nationale Aufklärungs- und Kommunikationsstrategie zu Diabetes mellitus" vorgelegt. "Das Ziel des Strategiepapiers ist, die Diabetesprävention in Deutschland zu systematisieren, zu stärken und zu festigen", erklärte der kommissarische Leiter der BZgA damals.

Behörden-Umbau mit Inhalt

Am 17. Juli hat nun das Bundeskabinett den Entwurf eines "Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit" verabschiedet, es geht damit in das parlamentarische Verfahren. Das neue Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) soll eine selbstständige Bundesoberbehörde werden und zum 1. Januar 2025 seine Arbeit aufnehmen. In ihm soll die BzgA sowie Teile des Robert-Koch-Instituts (RKI) aufgehen, konkret die Abteilung 2 "Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring" mit dem Arbeitsschwerpunkt der nicht übertragbaren Krankheiten. Das BIPAM wird nach den Plänen wie bisher die BZgA seinen Hauptsitz in Köln haben, aber auch eine Außenstelle in Berlin. Inhaltliche Linien sind in dem Gesetzesentwurf nur in Schlagworten skizziert. Die Kernaufgaben des BIPAM sind danach:

  • die Gesundheitsberichterstattung des Bundes, einschließlich Gesundheitsmonitoring,
  • die Stärkung der Öffentlichen Gesundheit, soweit es sich um Aufgaben des Bundes handelt, durch freiwillige Kooperation und Vernetzung mit Akteuren der Öffentlichen Gesundheit,
  • eine evidenzbasierte, zielgruppenspezifische, insbesondere auf vulnerable Bevölkerungsgruppen ausgerichtete Kommunikation im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit,
  • die Stärkung der Vorbeugung und Verhütung von Krankheiten, Stärkung der Gesundheitsförderung und der Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung, jeweils im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes,
  • die wissenschaftliche Forschung und Zusammenarbeit mit Institutionen auf europäischer und internationaler Ebene, einschließlich Unterstützung bei der Entwicklung von Leitlinien und Standards, soweit es sich um Aufgaben des Bundes handelt.

Hoher Anspruch "Health in all Policies"

Vordergründig liegt der mangelnde Diabetesbezug dieses Gesetzes daran, dass die Neugründung eines Bundesinstituts auch und vor allem ein Verwaltungsakt ist. Doch dass Diabetes in dem Gesetzesentwurf nur einmal kurz erwähnt wird, kann auch als Symbol gesehen werden. Denn Diabetesprävention ist mehr als nur Ernährungstipps und Motivation zu mehr Bewegung – sie muss auf allen Ebenen gelebt werden, wenn sie Erfolg haben soll. "Health in all policies" wird dieser Ansatz in der internationalen Gesundheitsforschung genannt, und er ist ebenso allgemein anerkannt wie schwierig umzusetzen. Ein Beleg dafür ist der Gesetzentwurf: Auch wenn in der offiziellen Begründung die "Bedeutung und Vorteile eines Health in All Policies-Ansatzes im Sinne einer sektorenüber-greifenden, freiwilligen Kooperation" genannt werden, vermissen Experten Schritte zu deren Umsetzung. Schon die ersten Rückmeldungen aus der Fachwelt auf einen noch nicht abgestimmten Arbeitsentwurf im Herbst letzten Jahres waren von Enttäuschung geprägt. Auch beim nun vorliegenden und in Teilen überarbeiteten Referentenentwurf sehen zum Beispiel die innerhalb der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) zusammengeschlossenen Verbände wesentliche Kritikpunkte nach wie vor unberücksichtigt. Das fängt schon beim Namen des avisierten Bundesinstituts an: Die Begriffe "Prävention und Aufklärung in der Medizin" seien aus der Zeit gefallen und zementierten ein veraltetes (Selbst-)Verständnis von Öffentlicher Gesundheit, kritisiert der Zusammenschluss. Prävention beruhe zwar auch auf medizinischem Fachwissen, lebe aber letztendlich vor allem in der Umsetzung von sozialwissenschaftlichen Konzepten insbesondere der nicht-medizinischen, auf Gesundheitsförderung fokussierten Lebensweltprävention. Dies auch deshalb, da gesundheitliche Risiken oftmals nicht im unmittelbaren Einflussbereich der medizinischen Versorgung liegen, sondern vielmehr in den Umwelt-, Lebens- und Arbeitsbedingungen und den damit wechselseitig in Beziehung stehenden Handlungsräumen und Lebensstilen von Menschen, erklärt die BAGFW.

Die Verbände, darunter das Deutsche Rote Kreuz und die Arbeiterwohlfahrt, sehen auch im augenscheinlichen Fokus auf einzelne Krankheiten in der Arbeit des Bundesinstituts einen Fehler. Prävention und Gesundheitsförderung würden im Sinne der Ressourcenstärkung grundsätzlich krankheitsunspezifisch wirken, argumentieren sie. Sinnvoller seien daher Schwerpunkte auf besonders belastete und belastende Lebenswelten und vulnerable Gruppen.

Entwurf zu Lauterbachs Herzensangelegenheit
Am 19. Juni ist ein Referentenentwurf für das "Gesunde-Herz-Gesetz" (GHG) veröffentlicht worden. Auch an diesem Vorhaben gibt es sehr grundsätzliche Kritik. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft mahnt wie viele andere, dass der vorliegende Gesetzentwurf fundamental in die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen eingreife, indem nicht der G-BA, sondern das Ministerium die konkrete Versorgung ausgestalten soll. Das gehe in Richtung einer Staatsmedizin. Inhaltlich berücksichtige der Gesetzentwurf die multifaktoriellen Risikofaktoren und Begleiterkrankungen für das Entstehen von Herz-Kreislauferkrankungen nicht ausreichend, zum Beispiel Diabetes. Die pauschale Bevorzugung einer breiten Verordnung von Statinen sieht die DDG ebenfalls kritisch, genau wie Apotheken als Ort von Vorsorgeuntersuchungen und individuellen Präventionsangeboten. Die Fokussierung auf Prävention und Vorsorge sei trotz der Kritik sehr wichtig und begrüßenswert, betont die Fachgesellschaft. Und das zugrundeliegende Ziel des GHG, die DMPs zu stärken und zu bündeln, bezeichnet die DDG als richtig und vordringlich.

Kritisiert wird auch die Aufteilung der Public Health-Kompetenzen auf zwei Institute, das etablierte Robert-Koch-Institut wäre nach den Plänen überwiegend für Infektionskrankheiten zuständig, das BIPAM für nicht-übertragbare Krankheiten. Die ist laut BAGFW international ohne Vorbild und fachlich nicht zu begründen. Die Entstehungsbedingungen übertragbarer und nicht-übertragbarer Erkrankungen würden sich maßgeblich überschneiden, bei beiden Arten von Krankheiten zeige sich ein sozialer Gradient in Morbidität und Mortalität. Doppelstrukturen und Reibungsverluste sagt der Dachverband angesichts der Pläne voraus. Auch dürfe die politisch unabhängiger Public Health-Forschung als Grundlage für die wissenschaftliche Datenerhebung und Gesundheitsberichterstattung nicht auf zwei Institute verteilt werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention, die Deutsche Gesellschaft für Public Health, die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie und die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Soziologie haben zum Gesetzentwurf ebenfalls eine gemeinsamen Stellungnahme abgegeben – und zeigen sich enttäuscht: "Der aus der Fachwelt erwartete und erhoffte institutionelle Rahmen, um Public Health in Deutschland zusammenzuführen und neu auszurichten, ist aus unserer Sicht ausgeblieben" Die geplante Konstruktion des BIPAM werde Public Health eher schwächen, weil die neue Behörde "einer zentralen, funktionierenden und bewährten Institution" wichtige Arbeitsbereiche entziehe – gemeint ist das RKI. Die neu geschaffene Institution werde dabei auch noch finanziell unzureichend aufgestellt.

Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) zeigt sich etwas hoffnungsvoller: "Mit dem BIPAM besteht die Chance, die historisch bedingte bevölkerungsmedizinische Lücke im deutschen Forschungs- und Versorgungssystem zu schließen", schreibt der Verband in seiner Stellungnahme.

DANK drängt zur Umsetzung

Dass reine Aufklärungsinitiativen nicht ausreichen, insbesondere um diejenigen Bevölkerungsgruppen zu erreichen, die am stärksten von nichtübertragbaren Krankheiten und deren Risikofaktoren wie Adipositas betroffen sind, betont auch eine Gruppe von Fachgesellschaften um die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Adipositas (DAG), der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, diabetesDE und der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) hat sie zu dem Gesetzentwurf Stellung bezogen. Auch sie weisen ganz nüchtern darauf hin, dass die Erkrankung und der Risikofaktor Adipositas und Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes im Entwurf nicht erwähnt werden, garniert wird das mit dem Hinweis auf die fast 9 Millionen Menschen, die in Deutschland an Diabetes erkrankt sind.

Studien würden belegen, dass insbesondere bildungsferne und sozialbenachteiligte Schichten, die oft das höchste Risiko für nichtübertragbare Krankheiten wie eben Adipositas und Typ-2-Diabetes tragen, wenig von reinen Aufklärungsinitiativen profitieren. Die Fachgesellschaften empfehlen, dass der Gesetzgeber den Auftrag des BIPAM explizit um Maßnahmen der Verhältnisprävention erweitert, die direkt auf die Verbesserung des Lebensumfelds abzielen und einen gesunden Lebensstil für alle automatisch leichter machen.

Auch mit Blick auf den Forschungsschwerpunkt des BIPAM können sich DANK und die Mitunterzeichner der Stellungnahme den Appell nicht verkneifen, dass viele Daten zur Krankheitslast, deren Ursachen und wirksamen Maßnahmen bereits vorliegen, sie "sollten sofort genutzt werden, um nicht weiter wertvolle Zeit zu verlieren", mahnen sie. Ganz konkret wird gefordert, dass die KiGGS Studie zum Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen in Deutschland fortgeführt, aktuelle Auswertungen vorgenommen und dafür Gelder bereitgestellt werden.

Die Diabetes- und Adipositasorganisationen drängen darauf im Gesetz ausdrücklich zu benennen, dass effektive Maßnahmen der Verhältnis- und Verhaltensprävention entwickelt und implementiert werden. Als Maßnahmen nennen sie die altbekannten Forderungen der DANK wie Werbeschranken für ungesunde Lebensmittel, die gezielt Kinder ansprechen, die Einführung von mindestens einer verpflichtenden Stunde Sport oder Bewegung pro Tag in Kita und Schule sowie eine Herstellerabgabe auf zuckerhaltige Lebensmittel und steuerliche Entlastung gesunder Lebensmittel wie Obst, Gemüse oder Hülsenfrüchte.

Die Unterstellung des BIPAM unter die Weisungsbefugnisse des Bundesministeriums für Gesundheit finden DDG und Co. problematisch an, da sie eine ganzheitliche, ministerienübergreifende Umsetzung des Health in All Policies-Ansatzes erschwere. Stattdessen empfehlen sie die Schaffung einer übergeordneten, unabhängigen Institution, die eine neutrale und breitere Koordination zwischen verschiedenen Ministerien ermöglichen soll.

In der geplanten Übertragung von Aufgaben und Personal vom RKI auf das neue Bundesinstitut sehen die Fachgesellschaften erhebliche Risiken, namentlich die Zerschlagung etablierter Strukturen und die Gefahr von Ressourcenverlusten. Die hohen administrativen und finanziellen Aufwände hierfür müssten dringend für die Präventionsarbeit genutzt werden.

In einem Arbeitszeugnis wäre der Schlusssatz in der Einleitung zu der Stellungnahme wohl abschreckend: "Wir schätzen die Bemühungen des Gesetzgebers und möchten durch unsere Stellungnahme dazu beitragen, dass das neue Gesetz nicht nur auf dem Papier steht, sondern in der Praxis eine messbare Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit bewirkt." Wenn alles nach Plan läuft, wird man das ab 2025 überprüfen können.


Autor:
© privat
Marcus Sefrin
Redaktion MedTriX GmbH
Lüneburg


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (9) Seite 6-8