Besonders eilbedürftig: Mit diesem Label beschloss das Bundeskabinett am 15. Mai 2024 den Lauterbach‘schen Gesetzentwurf für das KHVVG (Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz) und machte damit den Weg für den parlamentarischen Entscheidungsprozess zur umstrittenen Krankenhausreform frei.

Es ist ein guter Tag für alle, die eine Krankenhausversorgung benötigen, aber auch für die Krankenhäuser selbst", erklärte Prof. Dr. Karl Lauterbach ungeachtet aller Kritik anlässlich der Pressekonferenz zum Kabinettsbeschluss. Er bleibe dabei, die erste durchgreifende Krankenhausreform seit 20 Jahren sei eine Revolution im Krankenhaussektor, weil die Bundesregierung damit drei Probleme anpacke:

Behandlungsqualität: Aus Sicht des Bundesministers ist die klinische Versorgungsqualität in Deutschland durch mangelnde Spezialisierung beeinträchtigt. Zur Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität führt das KHVVG Leistungsgruppen mit bundeseinheitlichen Qualitätskriterien ein. Die Bundesländer, die weiterhin für die Krankenhausplanung verantwortlich sind, sollen entscheiden, welches Krankenhaus welche Leistungsgruppen anbieten kann und dafür die jeweiligen Qualitätsstandards erfüllen muss.

Entökonomisierung: Neben einer Verbesserung der Behandlungsqualität verspricht Lauterbach, den Krankenhäuser den ökonomischen Druck zu nehmen, der durch die Fallzahlpauschalen entstanden sei. Dies werde durch eine Vorhaltevergütung unabhängig vom einzelnen Fall ermöglicht.

Entbürokratisierung. Ein Drittel der ärztlichen Arbeitszeit würde durch bürokratische Prozesse, so Lauterbach, für die eigentliche medizinische Tätigkeit verloren gehen. Durch die veränderte Finanzierung der Krankenhäuser verspricht Prof. Lauterbach auch einen Abbau der Bürokratie.

Chor der Kritiker

Seit der Bekanntwerdung der Vorschläge der ‚Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung‘ Anfang Dezember 2022 wird die Diskussion um die Krankenhausreform von einem Chor der kritischen Töne begleitet. So verwundert es nicht, dass auch der Kabinettsbeschluss zum Teil heftige Kritik erntete, auch wenn er sich in manchen Punkten vom Referentenentwurf unterscheidet. Bayern droht mit einer Verfassungsklage, während die Kassenärztliche Bundesvereinigung erwägt, sich wegen einer mutmaßlichen Beihilfeverletzung an die EU-Kommission zu wenden.

Zwar sind sich alle gesundheitspolitischen Akteure grundsätzlich einig, dass das Ziel einer Strukturreform der Krankenhauslandschaft in Deutschland richtig und überfällig ist, aber es wird bezweifelt, dass der vom Bundesgesundheitsminister eingeschlagene Weg zum Ziel führt und damit tatsächlich eine Entökonomisierung und Entbürokratisierung erreicht werden.

Hauptakteure auf der politischen Bühne sind im föderalen System der Bundesrepublik einerseits die Bundesländer und andererseits der Bund. Beide Lager hatten sich im Juli 2023 auf ein Eckpunktepapier zur Krankenhausreform geeinigt. Lauterbach versteht den Kabinettsbeschluss zum KHVVG als Umsetzung dieses Konsenspapiers.

Neben den Gesundheitspolitikern auf Bundes- und Landesebene meldeten sich aber auch kontinuierlich weitere Akteure des Gesundheitswesens und der Selbstverwaltung zu Wort, u.a. die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die vergeblich eine Auswirkungsanalyse der geplanten Maßnahmen forderte. Ein zudem von vielen geäußerter Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass das KHVVG zwar die Einführung von Leistungsgruppen vorsieht. Die Qualitätskriterien, die dafür von den Krankenhäusern erfüllt werden müssen, sollen jedoch nicht im Gesetz selbst, sondern in einer nachgeordneten Rechtsverordnung durch das BMG definiert werden.

Auch die Vorschläge des KHVVG für eine sektorenübergreifende Versorgung, d.h. den sogenannten Krankenhäusern Level 1i, die wohnortnah stationäre mit ambulanten und pflegerischen Leistungen verbinden sollen, halten viele Experten für unrealistisch. Diese kleinen Krankenhäuser - in der Regel ohne Notfallversorgung - würden weder für Ärzt:innen als Arbeitsplatz noch für Patient:innen attraktiv sein.

Trotz der Vielfalt der Positionen ist allen Stimmen gemeinsam, dass sie sich nicht adäquat in den politischen Entscheidungsfindungsprozess eingebunden fühlen. Changemanager wissen, für die Akzeptanz von grundlegenden Veränderungen braucht es vor allem eins: viel Kommunikation mit den Beteiligten. Die Verbändeanhörung kurz vor der dem Kabinettsbeschluss konnte die Wogen offensichtlich nicht glätten.

Heizungsgesetz der Medizin

Ebenfalls einige wenige Tage vor dem Kabinettsbeschluss veranstaltete die DDG im Rahmen ihres jährlichen Kongresses ein Symposium zur Krankenhausreform, das sich problemlos in den Chor der kritischen Töne einreihen lässt. Aus verschiedenen Perspektiven beleuchteten Vertreter:innen der DDG, des Bundesverbandes Die Diabetes Kliniken (BVKD), des Bundesverbandes Niedergelassener Diabetologen (BVND) und des Verbandes der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD) die Vor- und Nachteile des Gesetzentwurfs.

3. VDBD-Positionspapier zur Krankenhausreform
Patientenversorgung ist multiprofessionell und eine Teamaufgabe. Eines der Hauptziele der Krankenhausreform ist die Steigerung der Behandlungsqualität. Diabetesberater:innen DDG tragen wesentlich zur Behandlungsqualität bei. Sie sind qualifizierte Gesundheitsfachkräfte, die sich durch eine einjährige Weiterbildung, inklusive heilkundlicher und telemedizinischer Tätigkeiten, spezialisieren und Kompetenzen für die Betreuung von Diabetespatient:innen aller Altersgruppen und Diabetestypen erwerben. Im Bereich der Diabetestechnologien sind das Fachwissen und Knowhow spezifisch für diese Berufsgruppe. Daher fordert der VDBD:
  • Leistungsgruppe "Komplexe Endokrinologie/Diabetologie" nicht ohne Diabetesberatung
  • Sektorenübergreifende Versorgung: Vorhandene Expertise nutzen und Diabetesberater:innen strukturell verankern
  • Diabetesberater:innen im klinischen Setting finanziell adäquat abbilden

Prof. Dr. med. Giovanni Maio, Mediziner und Professor für Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, verpasste dem KHVVG den Beinamen "Heizungsgesetz der Medizin". Zu kompliziert, zu viele Versprechen, die nicht gehalten werden können, urteilte der Medizinethiker. Die Gefahr bestehe, dass sich die Versorgung, insbesondere im ländlichen Raum, sogar verschlechtere..

Er betonte, dass die Diabetologie als sprechende Medizin Zeit benötige und deren Aufgabe es nicht nur sei, auf Befunde hin zu therapieren, sondern Menschen zu begleiten. Hier gehe es nicht um Knopfdruck-Mentalität oder reines zweckorientiertes Handeln, sondern vielmehr um ein Vorgehen, das auf Verstehen ausgerichtet ist, um einen Prozess der Koproduktion von Gesundheit zu ermöglichen, der den/die Patient:in aktiviert und involviert.

Ökonomischer Druck bleibt

Dr. Karin Overlack, Geschäftsführerin des Herz- und Diabeteszentrum Bad Oeynhausen der Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum und Vorstandsmitglied im BVKD, rechnete in ihrem Vortrag dem Publikum eindrücklich vor, dass durch Vorhaltevergütung keineswegs mehr Geld für die Kliniken zur Verfügung stehen wird. Denn die Vorhaltebudgets, die je nach Leistungsgruppe variieren, werden aus den bestehenden Fallpauschalen ausgegliedert bei gleichzeitiger Absenkung der Fallpauschalen. Ein Anstieg des Leistungsvolumens, der durch Abbau und Zentralisierung von Klinikkapazitäten durchaus realistisch ist, werde zudem durch die Vorhaltevergütung nicht vollständig finanziert. So werde die monetäre Unterversorgung der Krankenhäuser nicht verbessert und die versprochene Entökonomisierung nicht stattfinden, zumal die Leistungsgruppen wiederum eine Mindestzahl an Fällen nachweisen müssen.

Multiprofessionelle Dimension

Die Vertreterin des VDBD thematisierte die fehlende Berücksichtigung von Gesundheitsfachberufen jenseits von ärztlichem und pflegerischem Personal in der Krankenhausreform. Patientenversorgung, insbesondere in der Diabetestherapie, ist jedoch multiprofessionell.

Während Diabetesberater:innen in der ambulanten Versorgung Strukturmerkmal für Behandlungsqualität sind, fehlt bislang eine entsprechende Verankerung im klinischen Setting. Daher fordert der VDBD, Diabetesberater:in-nen DDG strukturell und finanziell in der Krankenhausversorgung abzubilden.

Über den Tellerrand des KHVVG hinausgeschaut, beobachtet der VDBD ebenfalls aufmerksam die verschiedenen politischen Maßnahmen, mit denen die Kompetenzen für akademisch ausgebildete Pflegefachpersonen erweitert und ihnen die Ausübung eigenständig heilkundlicher Tätigkeiten ermöglicht werden soll, u.a. in den Bereichen Diabetische Stoffwechsellage, Chronische Wunden und Demenz.

Schwerpunktpraxen in Gefahr?

Antje Weichard, niedergelassene Diabetologin aus Magdeburg und Vorstandsmitglied des BVND, legte die komplexen Regelungen für die sektorenübergreifende Versorgung unters Mikroskop. Überaus kritisch beurteilte sie den derzeitigen Planungsstand für das sogenannte Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG), das eine Entbudgetisierung der hausärztlichen Vergütung beinhaltet, weshalb der AOK Bundesverband das Kürzel des Gesetzes zu "Gutes Vergütungssteigerungsgesetz" verballhornt. Weichard wiederum befürchtet, dass das Gesetz für Diabetolog:innen mit hausärztlicher Tätigkeit den Verlust der Chronikerpauschale und eine degressive Vorhaltefinanzierung bedeuten könnte. So verschieden die Blickwinkel, so einhellig das Fazit aller Referent:innen auf dem DDG Symposium: Das KHVVG ist verbesserungswürdig.

Transparenzregister

Zwei Tage nach dem Kabinettsbeschluss zum KHVVG veröffentlichte das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Website eine erste Version des Bundes-Klinikatlasses: www.bundes-klinik-atlas.de - eine Maßnahme, die durch das sogenannte Krankenhaustransparenzgesetz eingeführt wurde, das seit März 2024 in Kraft ist. Der Klinikatlas soll Patient:innen verständlich und vergleichbar über den Umfang und die Qualität der Versorgung sowie die Personalausstattung in den Krankenhäusern, inklusive Zertifikate, informieren.

Nächste Schritte

Zurück zum KHVVG: Nun liegt der Ball im Feld des Bundestages, der seine erste Lesung noch vor der parlamentarischen Sommerpause beginnen soll. Immerhin enthält der Kabinettsbeschluss erstmals neben ärztlichem Fachpersonal das Wort "Gesundheitsberufe" – allerdings nur an einer Stelle im "Besonderen Teil" des Gesetzes. So sollen die Qualitätskriterien der Leistungsgruppen, die per Rechtsverordnung des BMG mit Zustimmung des Bundesrates bis 31. März 2025 definiert werden sollen, "den aktuellen Stand der medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigen und eine leitliniengerechte Behandlung durch ärztliches Personal sowie durch Angehörige anderer Gesundheitsberufe unterstützen".

Bleibt die Hoffnung, dass im parlamentarischen Prozess Webfehler des KHVVG ausgebessert werden können. Denn Entökonomisierung und Sicherung der Behandlungsqualität können nur gelingen, wenn das gesamte multiprofessionelle Klinikpersonal, das die Patientenversorgung gewährleistet, über Vorhaltepauschalen gegenfinanziert wird – zum Wohle der Patient:innen.


Autorin:
© privat
Dr. Gottlobe Fabisch
Berlin


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (6) Seite 6-8