Stellungnahme (1) der Arbeitsgemeinschaft Diabetes & Technologie (AGDT) der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), die vom Vorstand der DDG unterstützt wird, zu der Fragestellung: Notwendigkeit der Desinfektion der Haut vor der Kapillarblutgewinnung für die Glukosemessung im Krankenhaus aus Sicht der diabetologischen Fachgesellschaft mit einem Kommentar der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) und einer Kommentierung dazu.

Hintergrund

In dem "Konsensuspapier Blutzuckermessung" der "Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene e. V. (DGKH)" wird gefordert, dass in Krankenhäusern vor jeder Blutglukose (BG)-Messung eine Hautdesinfektion vorzunehmen ist (2) (siehe auch Kommentar der DGKH):

  • "Desinfektion/Antiseptik: Hygienische Händedesinfektion: Vor jeder Punktion der Haut sowie nach Abschluss der Maßnahme ist eine hygienische Händedesinfektion durchzuführen. (RKI Richtlinie C 1.1.3, Maßnahmen der Händehygiene)."
  • "Hautantiseptik: Unmittelbar vor der Punktion ist eine Hautantiseptik unter Beachtung der vom Hersteller angegebenen Mindesteinwirkzeit des Hautantiseptikums vorzunehmen (RKI Empfehlung C 1.4, Hygiene bei Punktionen und Injektionen; Landeshygieneverordnungen). Bei ordnungsgemäßer Durchführung der Hautantiseptik (insbesondere durch Abwarten bis zum völligen Trocknen des Hautantiseptikums vor dem Einstich) findet keine Verfälschung der Messwerte statt."

Dabei werden in einer anderen Publikation des Robert Koch-Instituts (RKI) (3) unter "Ergänzende Hinweise für Punktionen und Injektionen bei Diabetes mellitus folgende Hinweise gegeben:

  • "Vor Lanzettblutentnahmen und Insulininjektionen ist ebenso wie bei jeder anderen Punktion, die durch medizinisches Personal durchgeführt wird, eine Hautdesinfektion durchzuführen."
  • "Hinsichtlich der Eigendurchführung von Lanzettblutentnahmen und Insulininjektionen durch den Patienten selbst im häuslichen Umfeld wird auf Leitlinien der Fachgesellschaften verwiesen." (Dabei werden in der aktuellen Version der Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft [DDG] [und nicht in der in diesen Hinweisen zitierten und veralteten Leitlinie] keine entsprechenden Hinweise gemacht!)
  • "(…) bei allen Menschen mit Typ-1-Diabetes soll während eines stationären Aufenthalts eine Anordnung zum Blutglukosemonitoring erfolgen. Dabei sollen geschulte Patienten soweit wie möglich das Selbstmanagement fortführen können."

Aussagen von anderen Organisationen/in Leitlinien zu diesem Thema

Eine Hautdesinfektion vor der kapillären Blutabnahme im Krankenhaus wird gefordert von Organisationen wie:

  • World Health Organization (WHO; WHO guidelines on drawing blood: best practices in phlebotomy [Kapitel 7.2.2]) (4),
  • US Food and Drug Administration (FDA) (5),
  • Centers for Disease Control and Prevention (CDC) (6),
  • Association for Professionals in Infection Control and Epidemiology (7),
  • Robert Koch-Institut (RKI)
  • und eben der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (s. o.).

Zu beachten ist, dass diese Vorgaben eher generell sind und sich nicht spezifisch auf die Situation von Patienten mit Diabetes im Krankenhaus beziehen.

Keine Hautdesinfektion bei der Blutgewinnung unter Alltagsbedingungen von Menschen mit Diabetes (d. h. außerhalb des Krankenhauses) wird gefordert:

  • in einem aktuellen Leitfaden des Verbands der Diabetesberaterinnen in Deutschland (VDBD) zur Blutglukoseselbstmessung (Seite 16) (8),
  • in den Empfehlungen der American Diabetes Association (ADA) (9) und
  • in den Empfehlungen des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) (10).

Dabei beziehen sich diese Aussagen auf die Blutglukosemessung im Alltag von Patienten mit Diabetes, d. h. nicht auf die Krankenhaussituation.

Evidenz für die Notwendigkeit einer Desinfektion der Haut vor der Blutgewinnung

Es wurde eine Literaturrecherche durchgeführt (und eine Anfrage an entsprechende Unternehmen gestellt) zur Klärung der Frage:

  • Was ist die Evidenz für die Notwendigkeit einer Hautdesinfektion vor der Gewinnung eines Blutstropfens für die Blutglukose (BG)-Messung im Krankenhaus?
  • Kommt es dabei zu einem erhöhten Risiko von Infektionen (lokal oder generalisiert) mit allen damit verbundenen Konsequenzen und Kosten?

Dabei wurden überraschend wenige Publikationen zu einer hygienisch korrekten Kapillarblutgewinnung für die BG-Messung und noch weniger aktuelle Studien gefunden; dies gilt sowohl für die Situation im Krankenhaus wie auch unter alltäglichen Bedingungen. Dabei wird in aktuellen, mehr allgemein gehaltenen Artikeln zur BG-Selbstmessung unter Alltagsbedingungen Desinfektion nicht erwähnt (z. B. [11]). Es finden sich nur vereinzelt Publikationen zu Infektionen nach dem Gewinnen von Blutstropfen (Entwicklung einer Gangrän am Finger) (12, 13).

Reduktion des Risikos von Infektionen

Generell gilt (d. h. auch außerhalb der Krankenhaussituation) bei kapillärer Blutentnahme, dass ein lokales oder systemisches Infektionsrisiko grundsätzlich durch folgende Maßnahmen an der betroffenen Hautstelle und im Entnahmeumfeld verringert werden kann:

  1. Abwaschen von z. B. Erde, Naturdünger, Fremdblut oder sonstigem kontaminiertem Schmutz,
  2. anschließend regelgerechte Oberflächendesinfektion bis zur Trocknung,
  3. Verwendung von sterilen Lanzetten/Nadeln,
  4. bei Blutentnahme durch medizinisches Personal bei mehreren Patienten Einsatz von regelmäßig von Blut gereinigten und desinfizierbaren Stechhilfen und BG-Messsystemen,
  5. regelgerechte Händereinigung und -desinfektion beim medizinischen Personal
  6. oder stattdessen bei deren Einsatz Verwendung von Einmalhandschuhen,
  7. hygienisch gesicherte Entsorgung der mit Blut kontaminierten Lanzetten/Nadeln, Teststreifen/Sensoren und Tupfer,
  8. Isolierung von MRSA- und vergleichbaren antibiotikaresistenten Patienten bei der Durchführung von Kapillarblutentnahmen und dem isolierten Einsatz von POCT-Glukosemesssystemen nur bei dem jeweils betroffenen Patienten.

Welche Relevanz diese Maßnahmen einzeln oder in Kombination für die Risikoverminderung einer lokalen oder systemischen Infektion in diesem Kontext haben, ist zu unserer Kenntnis bisher nicht systematisch untersucht worden.

Realität der Hautdesinfektion im Krankenhaus

Durch eine Desinfektion der Haut an der Kapillarblutabnahmestelle soll die Gefahr einer durch die Punktion verursachten Infektion vermieden werden. Dafür muss eine "Mindesteinwirkzeit" des applizierten Desinfektionsmittels eingehalten werden, um eine ausreichende Abtötung von Keimen auf der Haut zu erreichen. Bis zur Gewinnung des Blutstropfens muss das Hautareal wieder trocken sein. Dadurch soll gleichzeitig sichergestellt werden, dass die Flüssigkeit auf der Haut nicht zu einer Verfälschung der Messwerte führt (s. u.). Die Frage ist: Wird in der Praxis die Haut vor der Blutgewinnung desinfiziert und – falls ja – wird die vorgeschriebene Einwirkzeit eingehalten? Es konnten keine publizierten Studienergebnisse gefunden werden, bei denen evaluiert wurde, wie diese Prozedur im Krankenhausalltag wirklich gehandhabt wird. Daher kann nur spekuliert werden, wie die Praxis in deutschen Krankenhäusern ist: Vermutlich erfolgt üblicherweise keine oder inadäquate Desinfektion.

Dass eine Desinfektion so selten im Krankenhaus durchgeführt wird, ist vermutlich durch die Nachteile einer regelmäßigen Desinfektion der Haut zu erklären:

  • ständige Entfettung der Hautstellen,
  • vielfache Handlungsschritte für das Krankenhauspersonal (mit der Gefahr der Übertragung von Krankenhauskeimen),
  • zeitraubende und arbeitsintensive Prozedur, die auch Materialkosten verursacht.

Nicht berücksichtigt wird in dieser Stellungnahme die notwendige ausreichende Hautreinigung durch ausreichendes Waschen der Hände, um eventuelle Fehlmessungen durch auf der Haut befindliche Zuckerreste (z. B. von Obst oder Obstsäften) zu vermeiden (14).

Bei Schulungen von Patienten mit Diabetes werden diese nicht angehalten, eine Hautdesinfektion unter Alltagsbedingungen durchzuführen (s. Leitfaden des VDBD [7]). Bei einer publizierten Befragung gaben dennoch 8 % der Patienten an, ihre Finger immer vor der Blutgewinnung zu desinfizieren (15).