Der DZD-Forscher arbeitet bei Helmholtz Munich schwerpunktmäßig an den langfristigen Folgen von Diabetes und Adipositas. Ulrike Koller hat mit ihm gesprochen.
Sie forschen bei Helmholtz Munich zu den langfristigen Folgen von Diabetes und Adipositas. Dabei befassen Sie sich auch mit den molekularen Wechselwirkungen zwischen Stoffwechsel und Krebs. Klären Sie uns bitte auf – welche Zusammenhänge zwischen Diabetes und Krebs kennt die Forschung?
Wir wissen aus epidemiologischen Studien seit langer Zeit, dass sowohl Übergewicht als auch Diabetes das Risiko erhöhen, Krebs zu bekommen. Dabei sind nicht alle Krebsarten gleichermaßen betroffen. Diabetes ist insbesondere mit einem erhöhten Risiko für Brust-, Darm-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenkrebs sowie Krebs der Gebärmutterschleimhaut assoziiert. Die prinzipiellen Zusammenhänge können aus mehreren Faktoren bestehen:
- 1. Erhöhte Insulinspiegel, wie sie bei Übergewicht und Prädiabetes infolge von Insulinresistenz auftreten, können für ein verbessertes Tumorwachstum sorgen, denn Insulin reguliert nicht nur den Blutzucker, sondern ist auch ein Wachstumsfaktor.
- 2. Fettgewebshormone, sog. Adipokine, können ähnlich wie Insulin wachstums- und auch metastasierungsfördernd wirken. Ein bekanntes Beispiel ist Leptin, ein Botenstoff aus dem Fettgewebe, der bei Übergewicht in hohen Spiegeln im Blut vorliegt und auch Zellwachstum und Tumoraggressivität steigern kann.
- 3. Übergewicht und Diabetes sind chronisch entzündliche Zustände. Auch Entzündungsreaktionen können das Tumorwachstum begünstigen.
- 4. Schließlich ist es auch noch möglich, dass durch die direkte Nachbarschaft von Tumorzellen und Fettzellen, wie z.B. in der Brust oder Prostata, direkte Fettmoleküle zur Energieversorgung des Tumors herangezogen werden können. Wichtig ist, dass nicht bei jedem Tumor die gleichen Mechanismen wirken. Gegenstand zukünftiger Forschung muss also sein, für welchen Tumor welcher Mechanismus verantwortlich ist, um entsprechend präventiv eingreifen zu können.
Ein Schwerpunkt Ihrer Forschung dreht sich um das Fasten, insbesondere das Intervallfasten. Was weiß die Forschung zu den Auswirkungen des Fastens auf den Stoffwechsel?
Eine Vielzahl von klinischen und prä-klinischen Studien hat gezeigt, dass das Einhalten freiwilliger Fastenperioden während eines Tages positive Auswirkungen auf eine ganze Reihe von Stoffwechselparametern hat. Der Blutzucker wird besser kontrolliert, die Fette im Blut sinken ebenso wie der Blutdruck. Außerdem verbessert sich die Insulinsensitivität und manche Menschen verlieren auch deutlich an Gewicht. Wichtig ist: auch wenn man kein Gewicht verliert, bleiben die anderen Vorteile dennoch erhalten.
Kann Intervallfasten auch vor Diabetes schützen?
Aufgrund der aufgezählten Verbesserungen des Stoffwechsels kann Intervallfasten eine Reihe von wesentlichen Risikofaktoren für die Entwicklung eines Diabetes absenken und in diesem Sinne Schutzwirkung entfalten.
Würden Sie vor diesem Hintergrund das Intervallfasten auch Menschen mit Diabetes empfehlen?
Eine Reihe von klinischen Studien, die auch am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung durchgeführt werden, konnte belegen, dass Menschen mit Diabetes von Intervallfasten profitieren. Die meisten können im Verlauf der Anwendung von Intervallfasten die Dosis an Diabetes-Medikamenten deutlich senken, weil einfach der Blutzucker besser reguliert ist und die Insulinwirkung im Körper steigt. Wichtig ist, dass Menschen mit Diabetes derartige Fastenprotokolle immer in Absprache mit ihrem Arzt anwenden, denn man muss ggfs. die Medikamentenzufuhr kontrollieren, um z.B. eine Unterzuckerung zu verhindern.
Auf lange Sicht wollen Sie maßgeschneiderte Therapien für Menschen mit Stoffwechselstörungen entwickeln – auch mit Hilfe von hungerimitierenden pharmakologischen Ansätzen. Wie kann man sich das vorstellen?
Wir sind gerade dabei, mit Hilfe von molekularbiologischen und biochemischen Methoden zu verstehen, was genau Hungern in einzelnen Organen und Körperzellen auf Ebene unserer Gene auslöst, um dann wiederum auf den Stoffwechsel dieser Organe und Köperzellen Einfluss zu nehmen. Wir konnten in der Vergangenheit bei diesen Bemühungen schon zeigen, dass es in den Körperzellen bestimmte "Schalter" gibt, welche für das An- und Ausschalten bestimmter Gene wichtig sind, was dann direkt Stoffwechselfunktionen kontrolliert. Bei vielen Erkrankungen wie Übergewicht und Diabetes funktionieren diese Schalter in vielen Fällen nicht mehr korrekt. Wenn man also diese Schalterfunktion mit Hilfe neuer Medikamente wiederherstellt, normalisiert sich nicht nur die Genfunktion, sondern in Folge auch der Stoffwechsel wieder. So bringen wir momentan zwei Erkenntnisse zusammen: Welches sind die "Genschalter", die für die positiven Effekte des Hungerns verantwortlich sind, und wie können wir ihre Funktion so manipulieren, dass man durch das pharmakologische An- und Ausschalten quasi Hungern imitieren kann.
Vielen Menschen mit Übergewicht ist das gesunde Hungergefühl abhandengekommen. Wäre demnach auch denkbar, dass sich bei Betroffenen mithilfe einer medikamentösen Therapie wieder ein gesundes Hungergefühl herstellen lässt?
Ja, das ist machbar und wird bereits gemacht. Eine Reihe bereits verfügbarer Medikamente setzt genau dort an und vermittelt ein früheres Sättigungsgefühl bei Menschen mit Übergewicht, so dass die Nahrungsaufnahme gebremst wird und in Folge auch das Körpergewicht sinkt.
Ihre Vision ist es, "Forschungsergebnisse zu Stoffwechselstörungen im Zusammenhang mit Adipositas, Diabetes und Krebskachexie erfolgreich in die klinische Anwendung zu bringen." Wie weit ist es noch dorthin?
Prinzipiell sind solche Neuentwicklungen, die im Labor den Anfang nehmen, immer Langzeitprojekte, welche manchmal Jahrzehnte dauern können. Allerdings haben wir in einzelnen Bereichen bereits prinzipielle Wirkmechanismen validiert und arbeiten jetzt noch an der Verfeinerung der eigentlichen Medikamente, um optimale Wirkungen zu erzielen. Unsere Hoffnung: Der Weg, den wir beispielsweise bei neuen RNA-Therapien eingeschlagen haben, könnte in nicht allzu ferner Zukunft dazu führen, dass diese neuen Konzepte erstmals auch klinisch getestet werden können. Insbesondere bei der Krebskachexie wäre dies extrem wünschenswert, denn es gibt bislang kein einziges zugelassenes Medikament in diesem Bereich.
Künstliche Intelligenz in der Gesundheitsforschung ist in aller Munde – Spielt sie auch bei Ihrer Forschung eine Rolle und wenn ja, welche?
Mit den heute verfügbaren Hochdurchsatztechnologien generieren wir eine große Menge an biologischen Daten, um z.B. die Wirkweise von neuen Medikamenten auf bestimmte Körperzellen zu verstehen. Die künstliche Intelligenz hilft uns heute schon dabei zu verstehen, ob z.B. durch die Kombination zweier neuer Wirkstoffe eine verbesserte Therapiewirkung erzielt werden kann im Vergleich zu einer singulären Anwendung. Aufgrund dieser KI-basierten Vorhersagen kann man ganz gezielt Verbesserungen in der Kombinationstherapie zur Anwendung bringen, etwa wenn es um das Abtöten von Tumorzellen geht.
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (6) Seite 24-25