„Die Einführung von Smart-Pens ermöglicht den weiteren Ausbau von Diabetes-Ökosystemen. Es wird spannend sein zu sehen, wie sich dieser Markt in den nächsten Jahren entwickeln wird, ob und wie viele Patienten zu Smart-Pens wechseln werden“, kommentiert Prof. Dr. Lutz Heinemann.
Einleitung
Nach einer Reihe von Jahren mit Ankündigungen kommen nun erstmals "Smart-Pens" von großen Insulinherstellern auf den Markt. Diese Art von Pens kommuniziert mit der Cloud, d. h. die von diesen generierten Daten zu Insulindosis, Zeitpunkt der Insulininjektion und Art des Insulins werden über das Internet in die Cloud (Rechenzentren) transferiert oder in spezielle Apps ausgelesen. Dabei können diese Produkte nicht nur dezidierte eigene Pens, sondern auch "Kappen" sein (wie von "Bigfoot"), welche auf konventionelle Pens aufgesteckt werden. Dabei verwenden die Smart-Pens unterschiedliche Technologien, um zu ermitteln, wie hoch die von dem Pen abgegebene Insulinmenge ist und wie viel Insulin noch in der Insulinpatrone in dem Pen ist.
Bei dem hohen aktuellen Interesse an CGM-Systemen, Insulinpumpen und AID-Systemen (automated insulin delivery) wird teilweise übersehen, dass viele Patienten mit einer Insulintherapie, insbesondere diejenigen mit einem Diabetes Typ 1, noch eine intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT) mit mehrfacher Applikation verschiedener Insulinsorten pro Tag durchführen. Aber auch Patienten mit Diabetes Typ 2 werden vor allem nach längerer Diabetesdauer häufig mit einer konservativen Insulintherapie (CT) oder ICT behandelt. Wenn nun durch die Nutzung von Smart-Pens Daten dazu vorliegen, wann die Patienten welches Insulin in welcher Dosis spritzen, dann kann dies auch dazu genutzt werden, die Insulintherapie, z. B. durch Gabe von mehr prandialem Insulin, zu optimieren.
Damit erreicht die Digitalisierung nun auch diesen wichtigen Bereich der Insulintherapie, es sind Daten zu Details der Insulintherapie jederzeit verfügbar. Diese Informationen helfen einerseits dem Nutzer abzuschätzen, wie viel Insulin noch im Pen enthalten ist und für weitere Injektionen zur Verfügung steht. Durch Nutzung von Temperatursensoren kann der Pen den Nutzer auch warnen, wenn das Insulin zu lange ungeeignet gelagert wird, das Insulin also möglicherweise Wirkung einbüßt. Andererseits wird transparent, ob der Patient bei Anpassung seiner Insulintherapie an die aktuelle Glukosekonzentration reagiert hat. Dies ist nun im Detail nachvollziehbar, insbesondere bei Nutzung eines CGM-Systems.
Lücke im Diabetesmanagement wird mit Smart-Pens geschlossen
Durch diesen besseren Ein- und Überblick über die Insulintherapie wird eine wichtige Lücke beim Diabetesmanagement geschlossen. Ein in diesem Heft nun auch in Deutsch veröffentlichter Überblick zu der bis 2020 publizierten Literatur zu diesem Thema zeigt allerdings, dass es bisher noch wenig Evidenz zum Einsatz von Smart-Pens in klinischen Studien gibt [Heinemann 2021, Adolfsson 2020].
Eine der erwähnten aktuellen Entwicklungen ist, dass Novo Nordisk die Insulin-Smart-Pens NovoPen 6 und NovoPen Echo Plus auf den Markt bringt, zunächst nur in Skandinavien, jetzt auch in Deutschland. Diese Insulin-Smart-Pens sind wiederverwendbare Pens (weniger Plastikmüll), die mit Insulinpatronen für das Basal- und Bolusinsulin von Novo Nordisk funktionieren.
Datentransfer zu mySugr Logbook eröffnet weitere Möglichkeiten
Eine interessante Option ist die Ankündigung von Roche Diabetes Care, dass diese Smart-Pens ihre Daten an das mySugr Logbook übermitteln können. Damit ist deren Einbindung in ein "integriertes Personalisiertes Diabetes Management (iPDM)"-Programm möglich. Diese App ermöglicht die Nachverfolgung der Insulintherapie in Kombination mit Angaben zu den Blutglukosemesswerten, körperlichen Aktivitäten, Mahlzeiten und anderen Informationen. In Anbetracht der hohen Anzahl von Nutzern von mySugr ist dies ein wichtiger Schritt zur weitreichenden Nutzung dieser Smart-Pens.
Es kommen auch andere Unternehmen, die kein Insulin herstellen, wie Medtronic mit dem Companion Medical’s InPen, in Kürze mit ihren Smart-Pens auf den Markt. Dabei übersteigt der Markt von seinem Volumen her dasjenige von Insulinpumpen um ein Vielfaches (Schätzungen sprechen von Faktor 12).
Eine andere aktuelle Ankündigung betrifft den Smart-Pen von Lilly mit dem Namen "Tempo Pen", wobei dies kein wiederverwendbarer Pen ist. Dieser Insulinhersteller arbeitet ebenfalls mit Unternehmen wie Dexcom, Glooko, myDiabby Healthcare und Roche zusammen. Die Daten von diesem Smart-Pen sollen ebenfalls in die mySugr-App integriert werden. Dieser Smart-Pen wurde in den USA schon im November 2019 zugelassen, die CE-Kennzeichnung wird später im Jahr 2021 erwartet.
Neben all diesen positiven Aspekten bleibt abzuwarten, was die Kosten für die verschiedenen Smart-Pens/Kappen sein werden und wie es mit der Kostenerstattung dabei aussehen wird. Die Patienten haben darauf ja einen Einfluss durch Wahl der Insulinsorte (welches Bolus- oder Basalinsulin sie verwenden), die Häufigkeit der Insulinapplikationen und vor allem durch die applizierte Dosis. Die Güte der Schulung der Patienten und die begleitende Beratung durch die Diabetesteams ist also ebenfalls von erheblicher Bedeutung.
Ein weiteres wichtiges Differenzierungsmerkmal wird sein, wie das Mehr an Informationen am geschicktesten in den entsprechenden Diabetes-Managementprogrammen berücksichtigt wird, d. h. wann der Patient welche Hinweise und Informationen zur Therapieanpassung bekommt. Ob und in welchem Ausmaß durch die Nutzung von Smart-Pens eine Verbesserung in der Glukosekontrolle erreicht wird, bleibt abzuwarten. Es gilt, diese neue Option geeignet in den klinischen Alltag zu integrieren, was auch deren Einsatz im Krankenhaus oder Pflegebereich/Altersheimen bedeuten kann.
Sind Smart-Pens ein Schritt zur automatisierten Insulindosierung?
Wenn in Zukunft kostengünstigere CGM-Systeme zur Verfügung stehen, werden vermutlich auch mehr Patienten mit Diabetes Typ 2 auf einer Insulintherapie diese Option zum Glukosemonitoring nutzen. Wenn diese Patienten z. B. durch Wearables gleichzeitig Informationen zu ihrem Bewegungsverhalten erfassen, stehen viele relevante Informationen zur Überwachung der aktuellen Glukosesituation zur Verfügung, es fehlt dann nur noch die automatisierte Erfassung der aufgenommenen Kohlenhydratmenge.
Mit der Information von Glukosewerten, Einflussfaktoren (Bewegung, Diät) und persönlicher Situation wäre es denkbar, dass mit den Smart-Pens eine Art automatisierte Insulindosierung (AID) vorgeschlagen wird. Die Nutzer würden dann am Smart-Pen die zu spritzende Dosis einstellen und sich injizieren. Welche Algorithmen bei solchen AID-Systemen dann zum Einsatz kommen, ist Gegenstand laufender Forschung. Für nicht wenige Patienten wird diese Option auch einen Einstieg in andere Formen der Insulinapplikation darstellen, d. h. die Nutzung von konventionellen Insulinpumpen oder von Patch-Pumpen.
Verbesserte Glukosekontrolle durch individualisierte Therapie
Die Einführung von Smart-Pens ermöglicht den weiteren Ausbau von Diabetes-"Ökosystemen". Es wird spannend sein zu sehen, wie sich dieser Markt in den nächsten Jahren entwickeln wird, ob und wie viele Patienten zu Smart-Pens wechseln werden. Im Prinzip kann die Nutzung von Smart-Pens dazu beitragen, die Insulintherapie zu vereinfachen und bei mehr Patienten eine Optimierung der Glukosekontrolle zu erreichen. Wie diese Entwicklung die Diabetestherapie von Patienten im klinischen Alltag beeinflussen wird, bleibt abzuwarten.
Mit dem Aufkommen von Smart-Pens haben Patienten nun mehr Optionen zur Auswahl, um ihr Diabetesmanagement so zu personalisieren, wie es am besten zu ihrem Lebensstil und ihren Bedürfnissen passt. Die Integration von Smart-Pens in die sich aktuell etablierenden Systeme zur virtuellen Diabetesbetreuung sollten zu einer Verbesserung der Glukosekontrolle von vielen Patienten beitragen, was auf lange Sicht zu einer Reduzierung der Kosten für das Gesundheitssystem führen sollte. Dafür wird es wichtig sein, dass die Lösungen im Alltag der Patienten funktionieren.
Wenn wir uns die Diabetestherapie als einen Stuhl vorstellen, dann gibt es ein Bein für die Glukoseinformation, abgedeckt durch moderne CGM-Systeme. Ein anderes Bein ist die Insulinapplikation, wo sich neben verschiedenen Pens und Pumpen nun Smart-Pens etablieren werden. Dazu kommt die Abschätzung der Kohlenhydrataufnahme bei Mahlzeiten, vermutlich ein Bein, bei dem es noch einiges zu tun gibt. Das vierte Bein stellt all die vernetzten Lösungen/Apps/DiGAs (Digitale Gesundheitsanwendungen) etc. dar, wo die verschiedenen Informationen analysiert und an die anderen Beine zurückgespielt werden, um den Benutzer des Stuhls sicher zu tragen.
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Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2021; 30 (6) Seite 386-388