Welche Vor- und Nachteile haben die beiden Ansätze? Wo liegen die Unterschiede, wo der Nutzen? Lutz Heinemann und Guido Freckmann klären auf.
Hintergrund
Seit etwa 10 Jahren sind verschiedene Systeme verfügbar, die fortlaufende Registrierung von Glukosewerten ermöglichen. Bisher nutzen relativ wenige Patienten in Deutschland (< 2 000) das kontinuierliche Glukosemonitoring (CGM) dauerhaft, insbesondere wohl wegen der beachtlichen Kosten.
Basierend auf der endgültigen Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gehen wir davon aus, dass Ende 2015/Anfang 2016 eine Genehmigung für die Kostenerstattung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erfolgt. Erwartet wird keine generelle Kostenübernahme, Patientengruppen mit bestimmten Indikationen, die nachweislich von CGM profitieren, können unter Dokumentationsauflagen damit rechnen, die Kosten erstattet zu bekommen.
Gleichzeitig steht seit Herbst 2014 mit dem FreeStyle Libre des Unternehmens Abbott eine neuartige Option für das Glukosemonitoring zur Verfügung: das Flash Glucose Monitoring (FGM). Dabei basiert dieses Gerät auf der weiterentwickelten Technologie des CGM-Systems FreeStyle Navigator des gleichen Herstellers. Dieses Medizinprodukt ist bisher nur in Europa (und da auch nur in wenigen Ländern) verfügbar; die Marktzulassung in den USA durch die Food and Drug Administration (FDA) wird angestrebt.
Nach Angaben des Herstellers handelt es sich bei dem Messsystem um ein neues Hilfsmittel. In Deutschland prüft der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband), ob der Einsatz eines Hilfsmittels ohne Gefahr für die Patienten möglich und ob ein medizinischer Nutzen nachweisbar ist, sobald ein Antrag des Herstellerunternehmens zur Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis gestellt wurde. Solch ein Antrag wird von Abbott gestellt werden, sobald die Ergebnisse von längerfristigen Studien (s. u.) vorliegen. Handelt es sich nach Einschätzung des GKV-Spitzenverbands um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB), schaltet er den G-BA ein, um eine entsprechende Prüfung zu veranlassen und schließlich eine Entscheidung im Sinne der gesetzlichen Krankenkassen zu treffen analog zum Vorgehen bei CGM.
FreeStyle Libre kann von interessierten Patienten im Internet bestellt werden (www.freestylelibre.de). Da FreeStyle Libre im Moment keine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen ist, tragen die Patienten die Kosten dafür bisher selbst. Unklar ist anscheinend, ob ein Facharzt oder Hausarzt FGM auf einem Rezept-Muster 16 verordnen kann oder nicht. Empfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und entsprechende Leitlinien für die Nutzung von FGM existieren bisher nicht.
Es ist beachtlich, welch großes Medieninteresse eine eher begrenzte Marketingkampagne induziert hat. Bedingt durch das ausgeprägte Patienteninteresse gab es einen Stopp für die Aufnahme von Neukunden, die verfügbaren Lieferkapazitäten für Sensoren wurden vom Hersteller für die Versorgung der Bestandskunden genutzt. Aktuell werden neue Patienten entsprechend einer Warteliste aufgenommen.
Patienten, die das Gerät nutzen, sind mit dessen Leistungsfähigkeit offenbar ausgesprochen zufrieden, auch bei der Anpassung der Insulindosis, basierend auf den FGM-Werten, scheint es keine Probleme zu geben ("Replacement-Claim"). Dabei gibt es zu diesem Vorgehen noch keine klaren Empfehlungen z. B. von Fachgesellschaften. Erfahrene klinische Kollegen berichten von positiven Erfahrungen mit FGM und die AGDT hat eine Stellungnahme zu FGM erstellt (www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de).
Zum klinischen Nutzen von CGM gibt es mittlerweile diverse Publikationen, dafür sprechen ebenfalls die Ergebnisse einer Reihe von Metaanalysen (1, 2). Ergebnisse von wissenschaftlichen Studien zu metabolischen und psychologischen Wirkungen bei der Nutzung von FGM wurden bisher nicht publiziert, d. h. bislang gibt es für den Nutzen von FGM keine Evidenz. Das Manuskript einer in den USA durchgeführten Genauigkeitsstudie, die für die CE-Markierung benötigt wurde (mit relativ kurzfristiger Nutzung von FGM durch Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes) befindet sich aktuell im Begutachtungs-Prozess.
Die Ergebnisse von zwei laufenden europäischen, multizentrischen, klinischen Studien (IMPACT und REPLACE) mit längerer Studiendauer – eine mit Typ-1- und eine mit Typ-2-Diabetespatienten werden für Ende 2015 erwartet. Diese Studien sollen klären, ob die Nutzung von FGM Vorteile im Vergleich zur konventionellen Blutglukosemessung bei den primären Endpunkten HbA1c respektive Hypoglykämien bietet. Als sekundäre Endpunkte werden weitere, für die praktische Nutzung wichtige Aspekte evaluiert. Weiterhin gibt es zwei ältere Publikationen, die sich mit den prinzipiellen Eigenschaften der beim FGM-System verwendeten Glukosemesstechnik beschäftigten, allerdings wurde dabei nicht das FGM-System insgesamt evaluiert, wie es nun auf dem Markt ist (4, 5).
Tabelle 1 listet die Unterschiede zwischen CGM und FGM auf. Neben technischen Unterschieden sind diverse weitere Faktoren aufgelistet, die bei der Positionierung dieser beiden Ansätze von Relevanz sind.
Positionierung von FGM
Das Herstellerunternehmen positioniert FGM als eine "dritte" Kategorie, die weder ein CGM-System noch ein konventionelles Gerät zur Blutglukosemessung ist. Prinzipiell könnte FGM die Blutzuckermessgeräte ersetzen: Es entfällt das schmerzhafte Stechen in den Finger zur Gewinnung eines Blutstropfens, ein aus Patientensicht wichtiges Argument, und während die korrekte Durchführung einer Glukoseselbstmessung einige Minuten dauert, erfolgt bei FGM das Auslesen der Messwerte (maximal der letzten acht Stunden) durch die Scan-Option innerhalb von Sekunden – ein im Alltag wichtiger Unterschied im Handhabungsaufwand. Solche Aspekte haben zu dem großen Interesse von Patienten an FGM geführt.
FGM ermöglicht einen niederschwelligen Einstieg in ein deutliches Mehr an Informationen: Selbst wenn die Glukosemesswerte nicht ständig aktualisiert werden (wie bei CGM) und deshalb keine unmittelbaren Alarme auslösen – wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten werden, ist bei Bedarf der aktuelle Glukosewert schnell verfügbar. Zusätzlich wird der Trend der Glukoseänderung durch einen Pfeil angezeigt und eine Graphik zeigt das Glukoseprofil der letzten Stunden. Diese für viele Patienten und ihre behandelnden Ärzte neuen und zusätzlichen Informationen stellen jedoch für nichtgeschulte Patienten eine Herausforderung dar, denn sie wissen nicht adäquat therapeutisch mit diesen Angaben umzugehen. Dabei bietet der Hersteller speziell entwickelte Schulungen für Fachpersonal an und bereitet wohl eine zertifizierte Schulung vor.
Wurde CGM bisher vorrangig von gut informierten und geschulten Patienten mit Typ-1-Diabetes genutzt, sind unter den FGM-Nutzern wohl auch Patienten mit Typ-2-Diabetes, die bisher nur wenige Blutglukosemessungen pro Tag durchgeführt haben und nun erstmalig sehen, wie ihre Glykämie nach einer Mahlzeit ansteigt oder bei körperlicher Belastung absinkt. Für Dauernutzer von CGM ist die unmittelbare Verfügbarkeit einer zuverlässigen Informationsquelle über ihre Stoffwechsellage, die auch über einstellbare Alarme verfügt, ein wichtiger, ja sogar unverzichtbarer Bestandteil ihrer Diabetestherapie. Dabei gibt es auch Patienten, die Alarme als störend betrachten; für diese ist FGM eine Option.
Kostenaspekte und Verhalten der Kostenträger
Aktuell kostet die Nutzung von FGM ca. 50 % weniger als CGM, allerdings nicht viel mehr als Blutzuckerselbstmessung (bei 6 bis 8 Blutzuckermessungen pro Tag, je nach zugrunde gelegten Teststreifenkosten), auch wenn solche Aussagen mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind, bedingt durch unterschiedliche Preise für Teststreifen, Nutzungsdauer der Verbrauchsmaterialien (bei FGM 14 Tage, bei CGM offiziell ca. 7 Tage, in Praxis häufig länger) und, wie die eher günstigen Kosten für den Reader bei FGM bzw. die hohen Kosten für die Handhelds bei CGM gerechnet werden.
Kostenerstattungen für CGM durch die Kostenträger gibt es bisher nur als Einzelfallentscheidungen (s. o.). Das ausgeprägte Interesse vieler Patienten an FGM hat Kostenträger dazu bewegt, über eine Kostenübernahme von FGM konkret nachzudenken bzw. die Kosten zu übernehmen; entsprechende Aussagen gibt es von der Techniker Krankenkasse, DAK-Gesundheit und BIG direkt gesund-Krankenkasse. Die Kosten für FGM werden von den Kostenträgern anscheinend nicht mehr als prohibitiv angesehen. Die Kassen scheinen damit auch die Möglichkeit eines häufigen Messens der aktuellen Glukosekonzentration als positiv zu sehen.
Zusammenfassung
Es bleibt abzuwarten, welchen Marktanteil FGM erreichen wird, wenn der Hersteller in beliebiger Menge liefern kann. Wird dann ein erheblicher Teil des Glukosemonitoring-Markts durch FGM übernommen werden? Die Verfügbarkeit von FGM als neue Option zum Glukosemonitoring ist grundsätzlich positiv zu bewerten, macht sie doch den Nutzen eines Mehr an Informationen zum Glukoseverlauf deutlich. Der relativ günstige Preis für das Glukosemonitoring mit FGM und der ungewöhnliche Weg der Markteinführung (zunächst nicht über den GKV-Spitzenverband wie bei CGM) haben der Nutzung von mehr Glukoseinformationen eine erhebliche Aufmerksamkeit gegeben. Vermutlich wird es noch eine gewisse Zeit dauern, bis andere Anbieter andere FGM-Systeme auf den Markt bringen können.
Die Option der Kopplung eines CGM-Systems mit einer Insulinpumpe ermöglicht perspektivisch eine automatisierte Insulinapplikation, d. h. ein Closed-Loop-System. Solche Systeme werden aktuell unter Alltagsbedingungen getestet. Wann sie auf den Markt kommen, ist aktuell noch nicht sicher vorhersagbar. Es gibt allerdings solche Kopplungen, bei denen Algorithmen für eine Abschaltung der Insulinzufuhr sorgen, wenn die Glukosekonzentration einen definierten Wert erreicht oder dies in absehbarer Zeit erfolgen wird. Dadurch wird eine beachtliche Vermeidung von Hypoglykämien erreicht. Solche Optionen sind nur mit CGM möglich (mit FGM vielleicht in der Zukunft?).
Ziel dieser Stellungnahme ist die Darstellung der Unterschiede zwischen CGM und FGM. Dazu werden die Vor- und Nachteile beider Ansätze dargestellt. Wir sehen einen erheblichen Nutzen in beiden Optionen, bedingt durch die unterschiedliche Positionierung und den unterschiedlichen Nutzerkreis.


Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2015; 25 (3) Seite 208-210