Diabetes-Technologie ist zu einer tragenden Säule bei der Therapie von Menschen mit Diabetes geworden. Neben Medizinprodukten zur Insulinapplikation (Smart-Pens, konventionelle Insulinpumpen, Patch-Pumpen), sind es vor allem Systeme zum kontinuierlichen Glucosemonitoring (CGM) die von vielen Menschen mit Typ-1-Diabetes (T1D), aber zunehmend auch solchen mit einem Typ-2-Diabetes (TD2), eingesetzt werden. Seit dem Jahr 2016 gibt es einen Beschluss des Gemeinsamen Bundes-Ausschuss (GBA) zur Kostenübernahme für real-time CGM-Systeme. Eigentlich ist es überraschend, dass CGM-Systeme nicht nur an geschulte Menschen mit Diabetes abgeben werden, wie es die Forderung im GBA-Beschluss ist. In den letzten Jahren hat die Nutzung von CGM-Systemen einen massiven Aufschwung erlebt, bei Patienten mit T1D stellen diese nun den Behandlungsstandard dar (gerade bei Kindern und Jugendlichen).
Bessere Glukosekontrolle möglich mit moderner Diabetes-Technologie
Die Kombination der diagnostischen Option CGM mit einem System zur Insulinapplikation (meistens eine Insulinpumpe) zusammen mit einem passenden Algorithmus ermöglicht den Bau von Systemen für eine automatisierte Insulindosierung (AID). Die über weite Strecken (abgesehen von Mahlzeiten) unabhängig vom Zutun der Nutzer erfolgende Insulindosierung ermöglicht eine signifikant bessere und sicherere Glucosekontrolle. Die eindeutige Evidenz zur Sinnhaftigkeit der Nutzung von CGM-Systemen stammt mittlerweile aus zahlreichen klinischen Studien, auch wenn es immer wieder kritische Stimmen hierzu gibt (s. Hilfsmittelreport der Barmer GEK).
Unterschiedliche Schulungen: rein technisch oder klinisch orientiert
Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Menschen mit T1D adäquat im Umgang mit der Technologie geschult werden (wie es auch im GBA-Beschluss gefordert wird); es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass das Anhängen der Geräte völlig ausreicht ("plug and play"). Im Folgenden liegt der Fokus auf CGM-Systemen, die meisten der diskutierten Aspekte gelten aber für AID-Systeme, Insulinpumpen etc. im gleichen Sinne. Ein Problem für die Kostenträger ist wohl, dass sie eine Vielzahl von Anträgen im Zusammenhang mit Diabetes-Technologie erhalten, wobei einerseits die Güte der Anträge unterschiedlich ist, aber auch der Informationsstand der Mitarbeiter in den Krankenkassen dazu.
Es gilt zwischen einer rein "technischen Einweisung" und einer klinisch orientierten, strukturierten Schulung zu differenzieren. Einen exzellenten Überblick zum aktuellen Stand der Schulung bei neuen Technologien gibt ein Beitrag von Jens Kröger und Bernd Kulzer im Gesundheitsbericht 2023. Im Alltag wird diese Trennung nicht immer klar gesehen und gelebt, es gibt gewisse "Begriffsverwirrungen" und eine uneinheitliche Nutzung der Begriffe. Die technische Einweisung in die Geräte stellt eine Aufgabe der Hersteller dar und fällt in deren Verantwortung. Die technische Einweisung läuft unstrukturiert und vermutlich mit unterschiedlicher Intensität ab. Eine detaillierte Erläuterung hierzu ist auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft Diabetes + Therapie (AGDT) zu finden (https://www.diabetes-technologie.de/service/downloads/).
In der Praxis erfolgt die technische Einweisung wohl häufig nicht durch Mitarbeiter der Hersteller, sondern diese delegieren dies (gegen ein Honorar) an Praxismitarbeiter. Die Kosten für die technische Einweisung werden durch den Einkaufspreis für die Hardware abgedeckt. Dagegen werden die Praxen nicht dafür bezahlt, wenn sie eine CGM-Schulung durchführen.
CGM-Systeme liefern Datenfülle, die zu interpretieren ist
Bei einer strukturierten CGM-Schulung für erwachsene Menschen mit Diabetes lernen die Nutzer, wie sie die von dem System kontinuierlich zur Verfügung gestellten Informationen zu ihrem Glucoseverlauf und auftretende Alarme adäquat nutzen können, um sie in die Lage zu versetzen und zu motivieren, ihre Diabetestherapie entsprechend ihrer eigenen Bedürfnisse permanent zu optimieren. Die CGM-Schulung der Nutzer erfolgt in den meisten Fällen in den Diabetes-Schwerpunktpraxen. Die dort arbeitenden Diabetesberaterinnen werden im Rahmen einer SPECTRUM- oder flash-Schulung in der Durchführung der Schulung unterrichtet. Wenn es um die Details der CGM-Systeme geht, sind sie in den Praxen wohl vielfach die kompetentesten Mitarbeiter.
Rein technische Einweisung bringt oft noch keine bessere Glukosekontrolle
Das alleinige Aushändigen eines CGM-Systems mit einer rein technischen Einweisung führt in aller Regel nicht zur Verbesserung der Stoffwechseleinstellung, eine CGM-Schulung nachweislich schon [Schlüter 2021, Hermanns 2019]. Übertragen auf das Autofahren als Beispiel bedeutet dies: Eine noch so detaillierte Erklärung der Eigenschaften eines spezifischen Autos ermöglicht noch kein sicheres Fahren im Straßenverkehr.
Mehr zur Erinnerung, beim Thema (Diabetes-)Schulung war und ist Deutschland Vorreiter im internationalen Vergleich, so auch bei CGM-Schulungen. Es gibt bisher keine gute Abschätzung zur Höhe der Kosten für die (einmalige) Teilnahme an einer CGM-Schulung, vermutlich beträgt diese nur einen Bruchteil der immer wieder anfallenden Kosten für die CGM-Systeme selber. Hier wäre es bestimmt hilfreich, wenn die Kostenträger in Zusammenarbeit mit Diabetologen die Kosten evaluieren würden. Im gleichen Sinne sollten die Kostenträger evaluieren können, ob die versicherten Menschen mit Diabetes eine Verbesserung in ihrer Glucosekontrolle nach Nutzung eines CGM-Systems erreichen oder nicht.
Stand der Dinge
Für die strukturierte CGM-Schulung mit Vermittlung einer Vielzahl von Informationen und Fertigkeiten stehen seit einer Reihe von Jahren zwei Programme zur Verfügung: SPECTRUM und flash [Gehr 2016]. SPECTRUM ist primär ausgerichtet auf die Schulung bei Nutzung von CGM-Systemen, die die Glucoseinformationen unmittelbar anzeigen ("real-time"; rt), während flash auf CGM-Systeme eines Herstellers ausgerichtet ist. Bei den ersten beiden Generationen dieses Systems musste der Nutzer die Glucoseinformationen durch eine eigenständige Handlung zu geeigneten Zeitpunkten selber abrufen ("intermittent scanning"; is). Bei der aktuellen Gerätegeneration dieses Systems entfällt dies, dieses System entspricht in Funktionsweise und -umfang de-facto den CGM-Systemen anderer Systeme. Daher wird im Folgenden in einem generischen Sinne nur von CGM-Systemen und Schulungsprogrammen dafür gesprochen, aber nicht zwischen diesen differenziert.
Voraussetzungen erfüllt, aber bisher keine Kostenerstattung beantragt
Obwohl die (formalen) Voraussetzungen für eine Kostenerstattung der CGM-Schulungsprogramm alle erfüllt sind, d.h. die Programme liegen in gedruckter Form vor und eine Evaluierung mit zugehöriger Publikation der Ergebnisse ist erfolgt, gibt es bisher keine Akkreditierung dafür durch das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS). Demzufolge können Praxen, die in der Durchführung der CGM-Schulungsprogramme geschult wurden, deren Durchführung nicht mit den Kostenträgen abrechnen. In Deutschland erfordert die Akkreditierung für ein Schulungsprogramm, dass dieses durch eine Krankenkasse beim BAS eingereicht wird. Es gilt dies vor dem Hintergrund diverser Bemühungen seitens der AGDT etc. zu sehen. Die Frage ist, warum "blocken" die Krankenkassen diesen Schritt, der nicht anders gegangen werden kann?
Es ist beachtenswert, wie wenig Aktivität bei diesem Thema die Hersteller zeigen. Zwar wurde die Erstellung von flash von dem entsprechenden CGM-Hersteller finanziert (die von SPECTRUM wurde eigenverantwortlich realisiert), öffentliche Aussagen von diesen fehlen aber gänzlich. Dabei hilft das Erreichen einer guten Glucosekontrolle bei vielen Menschen mit Diabetes diesen deutlich bei den Diskussionen mit den Kostenträgern, nur dann werden diese auf Dauer den Kostenaufwand für die "Hardware" bereit sein zu tragen.
Diskussion zum Thema im Rahmen von diatec 2023
Bei einer Abendveranstaltung vor der diatec 2023 Ende Januar haben eine Reihe von Fachleuten, mit unterschiedlichen beruflicher Herkunft (Ärzte/Diabetologen, Diabetes-Beraterinnen, Psychologen, Hersteller, Krankenkassenvertreter) unter Leitung von Sandra Schlüter, Northeim und Bernd Kulzer, Bad Mergentheim dieses Thema diskutiert und wie ein "Fahrplan" (= "Arbeitsauftrag") für die weitere Vorgehensweise aussehen kann. Dabei wurden die folgenden Fragen adressiert:
- Warum ist bislang keines der beiden CGM-Schulungsprogramme akkreditiert worden?
- Woran scheitert die Bereitschaft der Kassen, sich hier zu engagieren?
- Was ist die richtige Vorgehensweise, um CGM-Schulungen in die Erstattung zu bekommen?
- Können die Schulungsprogramme für CGM und Pumpe auch für AID-Systeme genutzt werden?
- Wie kann die Entwicklung von Schulungsprogrammen in Zukunft mit der technischen Entwicklung Schritt halten?
- Welche Schritte gehören in einen zu definierenden Fahrplan und wie wird dieser umgesetzt?
Nach gut 2,5 Stunden ausgesprochen lebhafter Diskussion war klar, hier fehlt es an einem klaren Weg nach vorne.
Zukunft
Wenn eine adäquate Schulung der Nutzer – eben auch bei AID-Systemen – von allen Beteiligten als notwendig betrachtet wird (hierbei entstehen für die Krankenkassen erhebliche Kosten, gepaart mit einer deutlich verbesserten Diabetestherapie), stellt sich die Frage, wie wird in Zukunft die Weiterentwicklung von Schulungsprogrammen (zusammen mit deren Abrechenbarkeit) vor dem Hintergrund einer immer rasanteren technischen Entwicklung ermöglicht? Die Prozesse bei der Entwicklung eines Schulungsprogrammes, der Evaluierung, Einreichung etc. bis dieses dann in der Versorgungslandschaft konkret zur Verfügung steht, dauern deutlich zu lange. Wenn es hier keine pragmatischen Lösungen/Änderungen bei den regulatorischen Anforderungen hinsichtlich der Akkreditierung und Kostenübernahme für Patientenschulungen im Zusammenhang mit Diabetes-Technologie/Digitalisierung gibt, geht dies eindeutig zu Lasten der Güte der Diabetes-Behandlung in Deutschland. Eigentlich sollte eine gute Schulung sehr im Interesse der Kostenträger sein, sie können dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit auf längere Sicht hohe Kosten für die Behandlung von diabetesassoziierten Folgeerkrankungen einsparen. Deren Zurückhaltung beim Thema CGM-Schulungen ist daher unverständlich.
Bei den Schulungen und daher auch in den Schulungsprogrammen dürfen keine Produkte/Produktnamen erwähnt oder besprochen werden. Einerseits ist dies aus Neutralitätsgründen nachvollziehbar, gleichzeitig ist dies aber auch wirklichkeitsfremd. Eigentlich sollte es Schulungen geben, die spezifisch für die jeweiligen Produkte angepasst werden, damit die Nutzer diese optimal nutzen können.
Zukünftige Schulungen: in Präsenz oder virtuell?
In Anbetracht einer zunehmenden Digitalisierung unserer Welt stellt sich auch die Frage, wie sieht Schulung in Zukunft aus? Sind klassische Präsenzschulungen out? Es gilt neue Wege zu gehen, wie dies während der Corona-Pandemie ja eigentlich erstaunlich gut und einfach ging. Die bisherige Dauer der Entwicklung (und Zulassung) von neuen Schulungsprogrammen ist einfach viel zu lang. Es gilt hierbei "out of the box" zu denken und zu sehen und verstehen, was Zukunftsaufgaben sind.
Fazit
Die fehlende Akkreditierung der CGM-Schulungsprogramme stellt eigentlich einen Skandal dar, bedingt dadurch, dass die Nutzer nicht ausreichend geschult werden, die Kosten für die Technik/Hardware aufgrund des GBA-Beschlusses aber übernommen werden. Wieviel besser könnte die "Wirkung" der CGM-Systeme sein, wenn alle Patienten adäquat geschult würden. Dabei müsste nur eine Krankenkasse ein CGM-Schulungsprogramm beim BAS einreichen. Wenn es bei diesem Problem keine Bewegung gibt, sollte die Durchführung einer Musterklage durch eine Diabetes-Organisation (der Betroffenen selber?) in Betracht gezogen werden. Die Prozesse auch bei Schulungsprogrammen müssen die Realitäten des Lebens abbilden.
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Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2024; 33 (3) Seite 146-148