Adipositas hat in der deutschen Normalbevölkerung eine Prävalenz von circa 24 Prozent. Zumindest theoretisch wäre ein solch hohes Vorkommen verhinderbar. Die Indikation zur Therapie der Adipositas ist abhängig vom BMI, und sie wird unter Berücksichtigung von Komorbiditäten gestellt.

Titelthema: Adipositas

Bei immer mehr Menschen mit Übergewicht wird Adipositas diagnostiziert. Das ist dann der Fall, wenn die Betroffenen einen Body-Mass-Index (BMI) von über 30 kg/Quadratmeter aufweisen. Die Entstehung der Adipositas ist in einer positiven Energiebilanz begründet, die über einen längeren Zeitraum besteht.

Professor Matthias Blüher, Experte für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung an der Universität Leipzig, hat für Sie die Grundlagen der Therapie bei einer Adipositaserkrankung zusammengetragen. Wann spricht man von Adipositas, welche Therapieempfehlungen gibt es, und was können Health-Care-Professionals konkret tun, um ihre Patienten in der Therapie zu unterstützen? Antworten darauf im Beitrag auf den folgenden Seiten.

Oliver Huizinga ist Politischer Geschäftsführer bei der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG). Er hat in seinem Beitrag dargestellt, mit welchen Maßnahmen die Politik eingreifen könnte, um die Epidemie Adipositas zu stoppen.

Geplant dazu ist auch ein Disease-Management-Programm, das in diesem Jahr vorliegen soll. Professor Jens Aberle ist Präsident der Deutschen Adipositas Gesellschaft. Wir wollten von ihm wissen, welche Inhalte das Programm haben wird

Last but not least zeigt Professor Bernhard Kulzer die psychologischen Aspekte der Erkrankung auf.

Definition und Indikation zur Therapie

Adipositas ist eine über das Normalmaß hinausgehende Vermehrung des Körperfetts, die zu gesundheitlichen Einschränkungen führen kann. Nach der WHO-Definition liegt eine Adipositas ab einem Körpermasseindex (Body-Mass-Index, BMI) von ≥30 kg/m² [1] vor. Adipositas entsteht in der Folge einer positiven Energiebilanz, die über einen längeren Zeitraum besteht. In der komplexen Pathogenese der Adipositas spielen genetische, biologische, aber auch soziokulturelle und Umweltfaktoren eine Rolle. Adipositas ist mit einer Prävalenz von ~24% [2] in der erwachsenen Normalbevölkerung in Deutschland eine häufige, aber zumindest theoretisch verhinderbare Erkrankung. Die Indikation zur Adipositastherapie wird in Abhängigkeit vom BMI und unter Berücksichtigung von Komorbiditäten gestellt (Tabelle 1) [3, 4, 5]. Auf einander basierende und eskalierende Therapiekonzepte sind: 1) konservative Basistherapie mit energiereduzierter Mischkost und Erhöhung der körperlichen Aktivität, 2) Verhaltenstherapie, 3) niedrig-kalorische Kostformen, 4) Pharmakotherapie und 5) Adipositas-Chirurgie (Tabelle 2).

Grundlegende Säulen der Adipositastherapie

Die Therapie der Adipositas sollte in Analogie zu anderen chronischen Erkrankungen (Typ 2 Diabetes, arterielle Hypertonie) ein lebenslanges Behandlungskonzept umfassen [3-5]. Dazu stehen drei wesentliche Therapiesäulen zur Verfügung (Abbildung 1). Die Indikation zur Adipositastherapie wird in Abhängigkeit von BMI und Körperfettverteilung und unter Berücksichtigung von Komorbiditäten gestellt (Tabelle 1). Die wesentlichen Therapieziele sind eine Gewichtsabnahme sowie die Stabilisierung des reduzierten Gewichts. Um diese Ziele zu erreichen, werden in der konservativen Basistherapie eine energiereduzierte Mischkost mit einem täglichen Defizit von 500 kcal, eine Erhöhung der körperlichen Aktivität, eine Verhaltensmodifikation oder Verhaltenstherapie zum Beispiel im Rahmen evaluierter Gewichtsreduktionsprogramme empfohlen [3-5]. Wenn mit dieser Basistherapie die individuellen Therapieziele nicht erreicht werden, erfolgt eine stufenweise eskalierende zunächst konservative Therapie, die niedrig-kalorische Kostformen, aber auch Pharmakotherapien beinhalten kann.

Eine weitere Stufe in der Adipositastherapie sind chirurgische Interventionen, die im Vergleich zur konservativen Therapie hinsichtlich der Gewichts- und Körperfettreduktion, der Verbesserung von Adipositas-Begleiterkrankungen, der langfristigen Gewichtsstabilität und der Senkung des Sterblichkeitsrisikos erheblich wirksamer sind [6]. Chirurgische Interventionen stellen dabei nicht das Ende der Behandlungskaskade dar, sondern sind ein Baustein einer lebenslangen Versorgung, die nach einer Operation lückenlos fortgesetzt werden muss. Hier ist die Schnittstelle zwischen Adipositaszentrum und niedergelassenem Arzt besonders wichtig. In Deutschland gelten aktuell die in Überarbeitung befindliche Leitlinie der Deutschen Adipositas Gesellschaft e.V. [3] und die S3-Leitlinie: "Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen" der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) [4]. Die Indikation zur Adipositastherapie besteht bei Menschen mit einem BMI ≥ 30 kg/m² oder für Übergewichtige (BMI 25–30 kg/m²) mit übergewichtsbedingten Gesundheitsstörungen [3-5].

Grundlage jeder Adipositastherapie ist eine Kombination aus Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie [5]. Wenn mit dieser konservativen Basistherapie individuelle Therapieziele (z. B. >10 % Gewichtsreduktion bei einem Patienten mit BMI >35kg/m²) nicht erreicht werden, erfolgt eine stufenweise eskalierende konservative Therapie wie niedrig-kalorische Kostformen (Energieaufnahme pro Tag < 800 kcal) und Pharmakotherapie [6]. Eine weitere Stufe in der Adipositastherapie sind chirurgische Interventionen, die im Vergleich zur konservativen Therapie hinsichtlich der Gewichts- und Körperfettreduktion, der Verbesserung von Adipositas-Begleiterkrankungen, der langfristigen Gewichtsstabilität und der Senkung des Sterblichkeitsrisikos deutlich wirksamer sind [7].

Neue Therapie-Erkenntnisse

Viele Patienten setzen große Hoffnungen in Veränderungen des Ernährungsverhaltens mit dem Ziel der Gewichtsreduktion. Die zeitlichen Verschiebungen der Nahrungsaufnahme und Intervallfasten haben große Popularität. Leider fehlen aber langfristige Studien, die belegen, dass Verschiebungen des zeitlichen Nahrungsaufnahmemusters stärkere Gewichtsreduktion bewirken können. Auch eine aktuelle kontrollierte Studie des vergangenen Jahres konnte keine Unterschiede in der Gewichtsreduktion zwischen Intervallfasten und kalorischer Restriktion finden [8].

Für intermittierendes Fasten oder Intervallfasten wurden kurzfristig positive Effekte hinsichtlich der Gewichtsreduktion, aber auch Verbesserungen in kardiometabolischen Risikoparametern gefunden, die allerdings häufig nicht über einen längeren Zeitraum (über 2 Jahre) Bestand haben [9, 10]. In der Zusammenfassung zahlreicher klinischer Studien zeigte sich zudem, dass Intervallfasten hinsichtlich des Ausmaßes der Gewichtsreduktion keine Vorteile gegenüber einer kontinuierlichen hypokalorischen Ernährungsweise hat [9, 10].

Aktuelle Studien und die Metaanalyse verfügbarer Arbeiten [9, 10] legen nahe, das Intervallfasten keine besseren Gewichtsreduktionseffekte erzielt und hinsichtlich der Fettgewebereduktion der kontinuierlichen Energierestriktion sogar unterlegen sein könnte.

Die Mediterrane, hypokalorische Mischkost Ernährung wird als sichere Methode zur Gewichtsreduktion mit hoher Adhärenz angesehen. Da Ernährungsinterventionen auch bei Fettlebererkrankungen bisher die einzige nicht-chirurgische Möglichkeit der gezielten Reduktion des Leberfetts darstellen, sollte in einer aktuellen Studie die Effektivität einer grünen Mediterranen Diät, die zusätzlich hinsichtlich rotem, verarbeitetem Fleischkonsum reduziert war und mit grünen, Polyphenol-reichen Nahrungsmitteln gezielt angereichert wurde, hinsichtlich der Reduktion des Leberfettgehalts untersucht werden [11]. In der DIRECT-PLUS Studie, einer 18-monatigen randomisierten klinischen Studie, wurden 294 Teilnehmerinnen und Teilnehmer (Alter=51 Jahre; 88% Männer; BMI=31,3 kg/m²; intrahepatischer Fettanteil=10,2%; 62% mit NAFLD) mit bauchbetonter Adipositas und Fettstoffwechselstörung in drei Ernährungsinterventionen randomisiert [11]. Eine Gruppe erhielt lediglich leitliniengerechte Ernährungsempfehlungen, eine Gruppe eine beschriebene Mediterrane Mischkost sowie 440mg Polyphenole aus Walnüssen und die zusätzliche isokalorische Interventionsgruppe eine Mediterrane Mischkost mit Anreicherung Polyphenol-reicher Nahrungsmittel. In den MRT-Untersuchungen der Leber zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen den Ernährungsformen hinsichtlich der reduzierten Leberfettmasse. Alle Interventionsarme führten zu einer deutlichen Reduktion der NAFLD Prävalenz auf 54,8% in der Ernährungsschulungsgruppe, auf 47,9% in der Mediterranen Diätgruppe und auf 31,5% in der MED-PLUS Gruppe. Bei gleicher Gewichtsreduktion, erzielte die beiden MED-Gruppen fast doppelt so ausgeprägte Leberfett-Reduktionen (-38,9% versus -19,6%). Die Reduktion des Leberfettanteils korrelierte dabei mit der Menge der aufgenommenen zusätzlichen Polphenole [11]. Auf der Basis dieser Arbeit kann eine Diät, die den roten Fleischkonsum reduziert und die Menge an Polyphenol-reichen Nahrungsmitteln deutlich erhöht nicht nur zur Gewichtsreduktion, sondern auch zur Verbesserung einer Fettlebererkrankung empfohlen werden.

In einer weiteren Folgeuntersuchung der DIRECT-PLUS Studie wurde die Effektivität und Sicherheit der autologen Stuhltransplantation nach erfolgreichem Gewichtsverlust untersucht [12]. Dazu nahmen Probanden über eine strukturierte Ernährungsintervention zunächst Gewicht ab und zum Zeitpunkt des Gewichtsnadirs wurden Stuhlproben zur späteren autologen Transplantation in Kapselform asserviert und tiefgekühlt gelagert. Ziel der Studie war es unter anderem zu zeigen, dass eine autologe Stuhltransplantation zu einem geringeren Gewichtsanstieg nach der aktiven Diätintervention beitragen sollte. Nach 6 Monaten wurde von 90 Probanden zum Zeitpunkt der annähernd größten Gewichtsreduktion (~8,3kg) Stuhl entnommen und so prozessiert, dass er in geruchslosen Kapseln appliziert werden konnte. Eine Gruppe erhielt 100 Kapseln des eigenen Stuhls während eine andere Gruppe verblindet Placebo erhielt (über weitere 8 Monate). In der Gruppe mit der oben genannten polyphenolreichen Diät war die Gewichts-Wiederzunahme signifikant weniger stark ausgeprägt als in den der Kontrollgruppe, auch wenn alle Gruppen eine Gewichtszunahme zeigten [12].

Zusammenfassung

Adipositas ist eine der größten Herausforderungen für das Gesundheitssystem, weil die Häufigkeit weltweit steigt und weil Adipositas zu schwerwiegenden Erkrankungen wie Typ 2 Diabetes, aber auch kardiovaskulären, metabolischen, speziellen malignen, muskulo-skeletalen, neurodegenerativen, pulmonalen, psychischen und anderen Krankheiten führen kann. Auch durch diese Folgeerkrankungen verursacht Adipositas eine verringerte Lebensqualität und Lebenserwartung der Betroffenen. Darüber hinaus ist Adipositas eng mit Arbeitslosigkeit, Bildungsbenachteiligung, sozialer Isolation, Langzeitpflege-Bedarf, geringerer Fitness, Produktivität und einer zunehmenden, hochrelevanten Belastung für die Gesellschaft verknüpft.

Erst seit 2021 wird Adipositas auch in Deutschland als Erkrankung anerkannt. Zuvor wurde Adipositas lediglich als Lebensstil-Problem und Risikofaktor für andere Erkrankungen angesehen, was dazu geführt hat, dass die Regelversorgung von Menschen mit Adipositas in Deutschland defizitär ist. Den meisten Patienten wird häufig anstelle eines individuellen, Leitlinien-basierten Therapieangebotes die Reduktion der Energieaufnahme und Erhöhung des Energieverbrauchs empfohlen. Diese Empfehlungen sind jedoch langfristig sehr selten erfolgreich, da Adipositas eine chronisch fortschreitende und zu Rückfällen neigende Erkrankung ist. Die Prävalenz der Adipositas hat in den letzten Jahrzehnten pandemisch zugenommen und ist auch in Deutschland mit 24% auf einem Rekordstand. Adipositas stellt eine enorme Herausforderung für Patienten, Behandler und das Gesundheitssystem dar. Deshalb spielt die zielgerichtete Gewichtsreduktion eine wesentliche Rolle in der Prävention und Therapie von "Adipositas-Erkrankungen". Der Artikel soll einen Überblick über die aktuelle Adipositastherapie geben.

Bewegungstherapie

Die Auswirkungen von körperlicher Aktivität im Rahmen gezielter Bewegungs- oder Sportinterventionen bei Menschen mit Übergewicht und Adipositas wurde in einer umfassenden Übersichtsarbeit, die Daten von 12 systematischen Übersichtsarbeiten aus 149 klinischen Studien der Jahre 2010-2019 zusammenfasst, erst vor Kurzem zusammengestellt [13]. Dabei wurden die Sporteffekte im Hinblick auf Gewichtsreduktion, Veränderungen der Körperzusammensetzung und der Gewichtsstabilisierung nach initialer Gewichtsreduktion zusammengefasst. Insgesamt führte Sport zu einer signifikanten Gewichtsreduktion zwischen -1,5—3,5kg, Fettmassenverlust von -1,3 bis -2,6kg und einer Reduktion der viszeralen Fettmasse [13]. Es ergab sich in der Zusammenschau der Studien kein Unterschied zwischen primär Kraft- oder Ausdauertraining, solange der Energieverbrauch ähnlich war.

Gewichtsreduktion ist im Rahmen des Adipositas-Management häufig ein erreichbares Ziel, aber die Zunahme des Gewichts nach Ende der Intervention scheint vorprogrammiert zu sein. Deshalb verglich eine aktuelle randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie über ein Jahr, ob ein Gewichtsverlust durch eine sehr-niedrig kalorische Diät über 8 Wochen besser durch ein moderat-intensives Trainingsprogramm allein oder in Kombination mit Liraglutid 3mg oder durch Liraglutid 3mg mit nur moderat gesteigerter körperlicher Aktivität (im Vergleich zu einer nicht behandelten Kontrollgruppe) besser über einen Zeitraum von einem Jahr gehalten werden kann [14]. Nach 8 Wochen sehr niedrig kalorischer Diät hatten 195 Teilnehmer einen mittleren Gewichtsverlust von 13,1kg. Auch nach einem Jahr wiesen alle drei Interventionsgruppen noch einen stärkeren Gewichtsverlust auf als die Kontrollgruppe. Die Gruppe mit intensivem Training nahm im Mittel -4,1kg ab, die Gruppe mit Liraglutid und moderater Aktivität -6,8kg während die stärksten Effekte mit -9,5kg in der Kombinationsgruppe gefunden wurden. Die Studie belegt [14], dass eine Kombination aus intensivem körperlichen Training und einer medikamentösen Adipositastherapie sehr erfolgreich zu Gewichtsstabilisierung und weiterer Gewichtsreduktion nach initialer Diätinduziertem Gewichtsverlust beitragen kann.

Medikamente bei Adipositas

Menschen mit Adipositas und Behandler setzen große Hoffnungen in wirksame und sichere Medikamente zur Gewichtsreduktion. In Deutschland werden Medikamente zur Gewichtsreduktion aber nur selten verschrieben. Dies liegt zum einen daran, dass die gewichtsreduzierenden Effekte der verfügbaren Medikamente bisher nur moderat waren und zum anderen nicht erstattungsfähig verordnet werden können. Dazu kommt, dass einige früher zugelassene Medikamente zur Gewichtsreduktion wie Sibutramin oder Rimonabant aufgrund von Sicherheitsbedenken vom Markt genommen wurden [6]. Dies hat dazu geführt, dass die Pharmakotherapie der Adipositas in Deutschland eine untergeordnete Rolle spielt.

Die Entwicklung neuer Medikamente zur Gewichtsreduktion schreitet rasch voran und es stehen zunehmend auch sehr wirkungsvolle und sichere Medikamente zur Verfügung. Glucagon-like peptide-1 (GLP-1) Rezeptoragonisten wie zum Beispiel Liraglutid 3mg gehören zu den wirksamsten Medikamenten zur Gewichtsreduktion [6, 15]. Ein weiterer Meilenstein für die Pharmakotherapie der Adipositas war die Zulassung von Liraglutid 3mg zur Therapie der Adipositas für Kinder und Jugendliche ab einem Alter von 12 Jahren [16].

Bei den GLP-1 Rezeptoragonisten hat Semaglutid die bisher stärksten gewichtsreduzierenden Effekte [6, 15, 17, 18]. Für Semaglutid war die mittlere Gewichtsreduktion von -14,9 % nach 68 Wochen in der STEP-1-Studie fast doppelt so hoch wie mit bisher verfügbaren Medikamenten zur Gewichtsreduktion [17, 18]. Auch wenn die Ansprechbreite auf gewichtsreduzierende Medikamente typischerweise hoch ist, so bleibt beachtenswert, dass in der STEP-1-Studie mehr als ein Drittel der Probanden einen Gewichtsverlust von > 20 % vom Ausgangsgewicht durch Semaglutid erzielen konnte [17, 18]. Im Juni 2021 erfolgte die Zulassung von Semaglutid 2,4mg, einmal wöchentlich zur Adipositastherapie in den USA und wenig später in Europa. In Deutschland ist Semaglutid zur Adipositastherapie noch nicht auf dem Markt. Zahlreiche Studien des STEP Studienprogramms [16-18] und die kardiovaskuläre Outcome Studie SELECT [19] untersuchen die Wirksamkeit und Sicherheit von Semaglutid in unterschiedlichen Dosierungen und Anwendungsgebieten. Das Semaglutide Treatment Effect in People with obesity (STEP) Programm hat zum Ziel, die Wirkung von Semaglutid im Vergleich zu Placebo im Hinblick auf Gewichtsreduktion, Sicherheit und Verträglichkeit bei Menschen mit Adipositas oder Übergewicht zu untersuchen. Das STEP-Programm umfasst fünf Phase-III-klinische Studien. ~5 000 Studienteilnehmer wurden in Semaglutid bis zu 2,4 mg pro Woche-Behandlungsgruppen und Placebo randomisiert. Die ersten Daten wurden in diesem Jahr publiziert. In der STEP-1 [17] und STEP-2 Studie [18] war die Gewichtsreduktion unter Semaglutid jeweils signifikant stärker ausgeprägt als in der Kontrollgruppe. Nach Woche 68 (primärer Endpunkt) betrug die Körpergewichtsreduktion -14,9% in Semaglutid- und -2,4% in der Placebogruppe. Dabei wurden mit Semaglutid 2,4 mg Effektstärken erreicht, die weit über die Gewichtsreduzierenden Effekten bisheriger Adipositastherapien hinausgehen. In der STEP-1 Studie nahm ein Drittel der Probanden im Semaglutid-Arm mehr als 20% vom Ausgangsgewicht ab.

Die Weiterentwicklung Inkretin-basierter Pharmakotherapien führte 2022 zur ersten Zulassung eines dualen Inkretinagonisten, Tirzepatid, für die Indikation Therapie des Typ 2 Diabetes.

Die vor Kurzem publizierten Daten der SURMOUNT-1 Studie zur Tirzepatid-Therapie bei Menschen mit Adipositas ohne Diabetes belegen das enorme Potential dualer GIP/GLP-1 Rezeptoragonisten auch für die Therapie der Adipositas [20]. Bemerkenswert ist nicht nur die mittlere erreichbare Gewichtsreduktion von 22,5 % unter Tirzepatid 15 mg, sondern auch der hohe Anteil von Probanden, die mehr als 20 % vom Ausgangsgewicht mit Tirzeptid reduzieren konnten [20]. Damit könnte in Zukunft nicht nur Semaglutid, sondern auch Tirzepatid zu einer echten Therapiealterative für Menschen mit Indikation zur bariatrischen Chirurgie werden. Allerdings fehlen entsprechende Vergleichsstudien zwischen diesen Pharmakotherapien und der chirurgischen Therapie der Adipositas noch. Bisher ist Tirzepatid nicht zur Therapie von Menschen mit Adipositas (ohne Typ 2 Diabetes) zugelassen.

Chirurgische Therapie der Adipositas

Adipositas ist mit einer verringerten Lebenserwartung assoziiert. Die chirurgische Therapie der Adipositas ist die derzeit effektivste Therapie der Therapie der Adipositas, die zwar kurzfristig die perioperative Mortalität erhöht, aber langfristig zu einer verbesserten Lebenserwartung beitragen kann. Die Therapieprinzipien der Adipositaschirurgie sind Magenrestriktion und/oder Malabsorption. Zur operativen Therapie der Adipositas stehen verschiedene laparoskopische Verfahren zur Verfügung, von denen folgende am häufigsten angewendet werden:

  • Roux-en-Y-Magenbypass
  • Schlauchmagen
  • Adjustierbares Magenband

Gegenüber den Vorteilen einer chirurgischen Therapie der Adipositas müssen die kurzfristigen (perioperative Mortalität, Komplikationen der Operation) und längerfristigen (Mangelversorgung mit bestimmten Mikronährstoffen, Osteoporose, Hautfaltenbildung, Gewichtswiederzunahme, psychologische Probleme, erhöhte Suizidalität) Risiken individuell abgewogen werden. Die perioperative Mortalität bei Adipositas-Chirurgie liegt bei 0,1-0,3%; perioperative Komplikationen treten bei 5-30% der Operierten auf [4, 7]. Erst vor Kurzem haben die Studienleiter der Swedish Obese Subjects (SOS) Studie haben nun die Mortalität und Lebenserwartung zwischen Patienten mit Adipositas die chirurgisch oder konservativ therapiert wurden über einen 20-Jahrszeitraum und zusätzlich mit einem zufällig generierten Datensatz der Allgemeinbevölkerung verglichen [21].

Insgesamt verstarben 457 Patienten (22,8%) in der Chirurgie-Gruppe und 539 Patienten (26,4%) in der Kontrollgruppe. Die adjustierte mediane Lebenserwartung in der chirurgisch therapierten Gruppe war 3,0 Jahre länger als in der Kontrollgruppe, aber 5,5 Jahre kürzer als in der Allgemeinbevölkerung. Die 90-Tage postoperative Mortalität lag bei 0,2% und 2,9% der Patienten in der chirurgischen Gruppe hatten wiederholte Eingriffe [21].

In einer weiteren präspezifizierten Metaanalyse zu Überlebensdaten im Zusammenhang mit der chirurgischen Therapie der Adipositas wurden Daten von insgesamt 174.772 Teilnehmern von Studien oder Registern aus 1.470 publizierten Arbeiten ausgewertet [22]. In der Zusammenfassung der Arbeiten zeigte sich eine Reduktion des relativen Mortalitätsrisikos für Patienten nach metabolisch-bariatrischer Operation von 49,2% wobei die mediane Lebenserwartung um 6,1% länger war als vergleichsweise konservative oder keine Therapien der Adipositas. Adipositas-Chirurgie hat aber auch kurz- und langfristige Komplikationen, die durch eine konsequente Nachsorge mit Substitution von Mineralien, Vitaminen und Spurenelementen versucht werden zu minimieren. Adipositas ist eine chronische Erkrankung, die einer lebenslangen Therapie bedarf. Insbesondere nach chirurgischer Adipositastherapie kommt der Nachsorge nach einem Eingriff besondere Bedeutung zu. Eine lebenslange interdisziplinäre Betreuung der Patienten nach bariatrischer Operation soll unerwünschten Spätfolgen oder Komplikationen wie Mangel an Vitaminen, Spurenelementen und Nährstoffen, Dumping-Syndrom, Osteoporose, psychologische Probleme (Depressivität, Suchtverhalten) u.a. vorbeugen.

Fazit

Adipositas ist eine chronisch fortschreitende, behandelbare Erkrankung. Unbehandelt geht Adipositas mit einer verringerten Lebenserwartung einher. Die klassische konservative Behandlung der Adipositas basierend auf dauerhaft reduzierter Kalorienzufuhr und erhöhter körperlicher Aktivität ist nur selten erfolgreich. Auch deshalb erfordert Adipositas eine lebenslange Verhaltensänderung und zielgerichtete Therapie. Chirurgische Adipositastherapien können die Gesamtmortalität reduzieren, bedürfen aber der lebenslangen Nachsorge. Medikamentöse Ansätze können in Zukunft einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das Menschen mit Adipositas ein gesünderes Körpergewicht erreichen und halten können.


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Autor:
Prof. Dr. Matthias Blüher
Helmholtz-Institut für Metabolismus-, Adipositas- und Gefäßforschung (HI-MAG)
Helmholtz Zentrum München an der Universität Leipzig und dem Universitätsklinikum Leipzig AöR
Philipp-Rosenthal-Straße 27

Interessenkonflikte

Der Autor erklärt, dass er Honorare für Vortrags- und Beratertätigkeit von Amgen, AstraZeneca, Bayer, Boehringer Ingelheim, Daiichi-Sankyo, Lilly, MSD, Novartis, Novo Nordisk, Pfizer und Sanofi erhalten hat.


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (1/2) Seite 11-14