„Diabetes STOPPEN – jetzt!“ Unter diesem Motto gingen rund 500 Demonstranten – Diabetiker und Angehörige, Ärzte und Diabetesberater – beim Diabetes Kongress 2013 in Leipzig auf die Straße – für die Interessen aller Menschen mit Diabetes.

Pünktlich um 18.30 Uhr, als die Protestaktion begann, setzte ein starker Regenschauer ein. Diabetiker nicht weiter im Regen stehen zu lassen, forderten dann auch der DDG-Präsident Prof. Dr. Stephan Matthaei (sein Nachfolger ist inzwischen PD Dr. Erhard Siegel) und Prof. Dr. Thomas Danne, Vorstandsvorsitzender diabetesDE, von der Politik. Dafür gab es viel Beifall von den anwesenden Diabetespatienten und deren Angehörigen, von Diabetesberatern und Ärzten, die dem Wolkenbruch – und auch der Sparpolitik im Dia-betesbereich – mit Schirmen und Trillerpfeifen trotzten.

Merkel-Masken und Protest-Shirts

Einige trugen Merkel-Masken als Konterfei, die von den Veranstaltern ausgegeben worden waren; oder auch Protest-T-Shirts mit dem Aufdruck „Diabetes STOPPEN – jetzt!“, die sich die meisten Demonstranten spontan überstreiften. Fortgesetzte Therapiefreiheit und eine Nationale Diabetes-Strategie in Deutschland – so die Hauptforderungen der Protest-Demo, zu der die Verbände diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe, die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG), der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD), Deutsche Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes (DDH-M) und der Deutsche Diabetiker Bund (DDB) aufgerufen haben.

DDG: Therapiesicherheit bedroht!

Mit der Kundgebung sollte gemeinsam auf die Defizite in der Versorgung und Forschung aufmerksam gemacht werden. „Es gibt Bestrebungen, dass wir einige Medikamente nicht mehr verschreiben dürfen, nur damit Kosten reduziert werden“, stellte Stephan Matthaei auf dem Marktplatz klar. Sobald die Sicherheit der Therapie jedoch bedroht sei, gingen Ärzte auf die Straße. „Denn die Sicherheit und das Leben unserer Patienten ist das Allerwichtigste. Die Therapiesicherheit darf nicht wegen Kostenreduktion gefährdet sein.“

Anschließend machte er auf die Bewertung innovativer Diabetestherapien seitens des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) innerhalb des AMNOG-Prozesses aufmerksam und was deren Entscheidungen für die Therapie von Menschen mit Diabetes bedeuten könnte: Werden die Kosten für Diabetes-Medikamente wie Linagliptin­ und Dapagliflozin nicht mehr erstattet, müssen Patienten zwangsweise medikamentös auf billigere Alternativen mit höherem Unterzuckerungsrisiko umgestellt werden.

Seine Befürchtungen sind schon Realität geworden: Die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung des DPP-4-Hemmers Linagliptin (Handelsname: Trajenta) gegenüber Sulfonylharnstoffen haben im Februar dazu geführt, dass das Diabetes-Medikament nicht auf den deutschen Markt kommt (wir berichteten mehrfach). Auch für Dapagliflozin (Forxiga), die erste Substanz aus der völlig neuen Gruppe der SGLT-2-Hemmer – überflüssiger Zucker wird dabei durch den Harn ausgeschieden – sieht das IQWiG bei der frühen Nutzenbewertung keinen Zusatznutzen, wie es Mitte März bekanntgab. Die Entscheidung trifft der G-BA im Juni.

Überraschung bei Gliptin-Kombi

Eine Überraschung gab es im Mai bei den Gliptinen: Diabetikern bleibt für ihre Therapie eine moderne Gliptin-Kombination, obwohl es zunächst gar nicht so aussah. Das IQWiG hatte in seiner frühen Nutzenbewertung für die Kombination Saxagliptin und Metformin (Handelsname: Komboglyze) keinen Zusatznutzen bescheinigt, so die Ergebnisse des Instituts vom Februar.

Diese feste Wirkstoff-Kombination steht Patienten mit Typ-2-Diabetes doch weiterhin zur Verfügung: Das hat der G-BA Anfang Mai entschieden. „Dieses Ergebnis war möglich, nachdem auf Basis einer zusätzlich vorgelegten Studie zum direkten Vergleich von Saxagliptin plus Metformin mit Sulfonylharnstoffen Anhaltspunkte für die Nichtunterlegenheit sowie Verringerung von Unterzuckerungen abgeleitet werden konnten“, so die Begründung des Bundesausschusses.

Ansonsten wäre auch dieses Medikament, das im November 2011 zugelassen wurde, vom deutschen Markt verschwunden. Jetzt ist es zumindest für die kommenden zwei Jahre weiter in der Diabetestherapie verfügbar. Zwei weitere moderne Substanzen zur Diabetesbehandlung werden momentan aus dem Bestandsmarkt in geprüft: die GLP-1-Agonisten Liraglutide (Handelsname: Victoza) und Exenatide (Handelsnamen: Byetta, Bydureon). Abhängig vom Blutzuckerwert stimulieren diese Präparate die Insulinsekretion in der Bauchspeicheldrüse und unterdrücken die Glukagonausschüttung nach den Mahlzeiten.

Mit den Ergebnissen ist ab Oktober zu rechnen. „Nur, wenn Ärzte die Freiheit haben, auf das gesamte heute zur Verfügung stehende Therapiespektrum zuzugreifen, können sie ihre Patienten auch künftig individuell und ihrer speziellen Situation angemessen behandeln“, betonte Matthaei.

DDB: Sparzwänge und Stigmatisierung

Der DDB-Bundesvorsitzende Dieter Möhler machte deutlich, dass Patienten heute in der Lage seien, mit modernen Therapien und Medikationen ihre soziale Teilhabe zu sichern. „Diese Sicherheit ist bedroht durch eine Politik, die ihre ökonomischen Sparzwänge über einen Gemeinsamen Bundesausschuss und ohne ethische Diskussion umsetzt“, kritisierte er. Damit sei die Therapiefreiheit der Ärzte auf dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft gefährdet. „Das, was der medizinische Instrumentenkoffer heute zu bieten hat, wird uns Patienten nicht mehr ausreichend zuteil“, so Möhler.

Ins Visier nahm er auch die Stigmatisierung von Typ 2-Diabetikern, die an ihrer chronischen Erkrankung angeblich selbst schuld seien, weil sie sich ungesund ernährten – und das dadurch eingetretene Zerrbild über die Ursachen der Krankheit. Zudem gestalte sich die Versorgung von Diabetikern mit neuen Hilfsmitteln wie der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) oder die Verordnungen von Insulinpumpen immer schwieriger.

CGM: nur 2-Jahres-Studien relevant?

Für die CGM liegt inzwischen der vorläufige Berichtsplan des IQWiG bei Diabetikern, die Insulin spritzen vor. Laut einer aktuellen Stellungnahme des DDB werden darin weder patientenrelevante Endpunkte wie Blutzuckerschwankungen und leichte Hypoglykämien, noch der HbA1c-Wert bei Typ 2 berücksichtigt. Darüber hinaus sollen in dem Bericht ausschließlich Studien mit einer Laufzeit von mindestens 24 Monaten berücksichtigt werden. Der Diabetiker Bund kritisiert dieses Kriterium „aus mehreren Gründen“ scharf, da es „willkürlich und teilweise sogar unmöglich umsetzbar ist“: So könnten z.B. Studien zur Feststellung eines Nutzens der CGM bei schwangeren Diabetikerinnen ja wohl kaum über 24 Monate andauern.

Die Sicherstellung einer ausreichenden Diabetesversorgung werde eines der Hauptthemen sein, mit denen sich der DDB in nächster Zeit auseinandersetzt, so Dieter Möhler. „Wir müssen unsere Rechte gemeinschaftlich durchsetzen!“, erklärte er. „Wir fordern von der Politik eine Nationale Diabetes-Strategie in Deutschland ein, damit die Versorgung der Diabetiker in Zukunft nicht gefährdet ist.“

Und Jan Twachtmann von der „Deutschen Diabetes-Hilfe – Menschen mit Diabetes“ ergänzte: „Es kann und darf im Gesundheitswesen doch nicht nur um Wirtschaftlichkeit gehen. Es muss auch um die Lebensqualität der Betroffenen gehen. Und die kommt zu kurz!“ Wichtig sei auch, „dass Kinder mit Diabetes zu Ausflügen und Klassenfahrten mit können – ohne dass deren Lehrer ein Haftungsrisiko eingehen.“ Daran fehle es in vielen Regionen Deutschlands.

VDBD: Berater sind Brückenbauer

Für eine rechtliche Anerkennung von Diabetesberatern in allen Bundesländern kämpft die VDBD-Vorsitzende Elisabeth Schnellbächer. Berater arbeiten im ambulanten und im stationären Bereich, in der Rehaklinik und im Akutkrankenhaus – sie nehmen also wichtige Aufgaben wahr, stellte sie klar. „Wir haben aber keinen Beruf, sondern lediglich eine gute Aus- und Weiterbildung“, betonte sie. „Wir Berater sind Brückenbauer zwischen Arzt und Patient, damit die Therapie optimal funktionieren kann.“

Prof. Dr. Thomas Danne erklärte in Leipzig, warum eine Nationale Diabetes-Strategie für Deutschland so wichtig ist und stellte die Kampagne „Diabetes STOPPEN – jetzt!“ genauer vor, die am 1. März an den Start ging (siehe Kasten). Im Wahljahr 2013 können sich Interessierte, Ärzte und Patienten z. B. Termine bei ihren Abgeordneten im Wahlkreis vereinbaren, um so mit der Politik in den Dialog zu treten.

„Machen Sie einen Termin mit Ihrem Abgeordneten und erklären Sie ihm das Problem, dass 60 Millionen Menschen mit Diabetes im Regen stehen, dass Medikamente, die ihnen vielleicht gut helfen, nicht mehr finanziert werden sollen, weil nur das kurzfristige Ziel der Kosteneinsparung gesehen wird und nicht, was langfristig Kosten eindämpft: die Verhinderung von Folgeerkrankungen“, so Danne. Einen Nationalen Diabetesplan hätten inzwischen 17 Länder in Europa. „Warum Deutschland nicht? Warum der Europameister im Diabetes nicht? Das müssen wir dringend ändern!“


von Angela Monecke, Berlin
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