Diabetes-Schulung ist unabdinglich. Bei älteren Menschen kann das eine besondere Herausforderung sein. Dr. Nadine Kuniß berichtet.

Menschen mit Diabetes Typ 1 leben zumeist viele Jahrzehnte mit Ihrer Erkrankung und können im hohen Alter von ihren Erfahrungen profitieren. Dennoch kann es hin und wieder notwendig sein, bestimmte Themen aufzufrischen, wenn beispielsweise eine Therapiedeeskalation angestrebt wird oder Details in Vergessenheit geraten sind. Im Rahmen von strukturierten Diabetes-Schulungsprogrammen ist dies möglich.

Eine strukturierte Diabetes-Schulung im Alter - warum?

Betroffene mit Diabetes Typ 1 lernen in strukturierten Diabetes-Schulungsprogrammen mit ihrer Erkrankung im Alltag umzugehen. In Kleingruppen oder Einzelberatungen werden theoretische Inhalte vermittelt (z.B. welche Lebensmittel den Blutzucker erhöhen) und praktische Fertigkeiten geübt (z.B. das Insulinspritzen oder Blutzuckermessen). Dies spielt eine besonders große Rolle zu Beginn der Erkrankung. Wiederholte Teilnahmen im Laufe des Lebens können jedoch dazu beitragen, das Wissen aufzufrischen und Neuigkeiten beispielsweise auf dem Gebiet der Diabetestechnologie (Insulinpumpen, Smart-Pens oder CGM) zu erfahren.

Für Betroffene mit Diabetes Typ 1 stehen in Deutschland zwei Schulungsprogramme zur Verfügung, welche beide zwölf Schulungseinheiten à 90-120 min. umfassen: Das "Programm für Menschen mit intensivierter Insulintherapie" vom Deutschen Ärzteverlag und "PRIMAS" vom FIDAM. Beide Schulungsprogramme sind nicht speziell für ältere Menschen konzipiert. Die Inhalte müssen dementsprechend an die Bedürfnisse der Schulungsteilnehmenden angepasst werden.

Lernen im Alter ist nicht so einfach

Da die Gedächtnisleistung mit zunehmenden Alter abnimmt und das Erlernen von neuem Wissen immer schwerer wird, ist es wichtig, die Inhalte einer Diabetes-Schulung auf das Wesentliche zu reduziert und sich viel Zeit zu nehmen. Ständiges Wiederholen der Schulungsthemen soll dazu beitragen, dass daraus Routine wird. Durch den Austausch mit anderen Betroffenen innerhalb einer Gruppenschulung können die Schulungsteilnehmenden voneinander lernen, was maßgeblich zum Lernerfolg beiträgt.

Das Einbeziehen von Angehörigen oder des Pflegepersonals kann ebenfalls von großer Bedeutung sein, wenn beispielsweise andere Erkrankungen, wie Demenz oder motorische Einschränkungen, hinzukommen.

Man lernt niemals aus

Viele ältere Menschen fragen sich, warum sie in ihrem Alter nach so einer langen Krankheitsdauer noch an einer Schulung teilnehmen sollen. Dass die Teilnahme an einer Diabetesberatung aber zu verbesserten Blutzuckerwerten und weniger Hypoglykämien führt, haben bereits zahlreiche Studien zeigen können. Dabei geht es nicht um das Erreichen perfekter Blutzuckerwerte, wie junge Menschen dies anstreben, sondern vielmehr darum, Beschwerden durch stark erhöhte Glukosewerte (Polyurie, Polydipsie, Antriebslosigkeit, Müdigkeit) oder Hypoglykämien zu vermeiden. Kommt es durch eine Unterzuckerung zum Beispiel zum Sturz, könnte dies ein Grund sein, an einer Schulung teilzunehmen, dass eine solche Situation nicht noch einmal auftritt.

Aber auch der Wunsch nach einer Verbesserung der Lebensqualität könnte ein Grund für eine erneute Diabetes-Schulung sein. Wenn Betroffene das Gefühl haben, dass ihnen alles über den Kopf wächst und sie überfordert mit ihrer Erkrankung und deren Therapie sind, kann eine Teilnahme sinnvoll sein.

Auch wenn die Erkrankung bereits seit Kindesalter den Alltag der Betroffenen bestimmt, können die verschiedensten Fragen auch noch im hohe Alter auftreten. Dies könnte zum Beispiel sein:

  • Wie kann ich meine Insulintherapie vereinfachen?
  • Welche Blutzuckerwerte soll ich anstreben?
  • Für welche Lebensmittel muss ich Insulin spritzen?
  • Wie vermeide ich zu niedrige oder zu hohe Blutzuckerwerte?
  • Was tue ich, wenn ich ins Krankenhaus muss?

Innerhalb einer Diabetes-Schulung können diese beantwortet werden.

Wenn der Diabetes Typ 1 erst im hohen Alter auftritt …

Diabetes Typ 1 tritt zumeist erstmalig in jungen Jahren auf. Dass sich diese Erkrankung aber auch in hohem Alter manifestieren kann, beweist folgendes Patientenbeispiel: Renate N. erhält mit 71 Jahren die Diagnose "Diabetes Typ 1". Der Nachteil daran ist, dass Renate N. nicht von jahrzehntelangen Erfahrungen profitieren kann, sondern von jetzt auf gleich sich viel Wissen und praktische Fähigkeiten aneignen muss. Dass dies aber möglich ist, hat Renate N. gezeigt.

Schulung lohnt sich

Nachdem Renate N. mit Beschwerden (Polyurie, Polydipsie) und einer deutlich zu hohen Blutglukose (23 mmol/l bzw. 414 mg/dl) von der Hausarztpraxis stationär eingewiesen wurde, wird ihr im Krankenhaus gesagt, dass sie nicht Diabetes Typ 2 – wie ihr Mann – hat, sondern die deutlich seltener Form "Diabetes Typ 1".

Ab sofort heißt es, mehrfach täglich Insulin spritzen, den Blutzucker messen, die Kohlenhydrate im Essen abschätzen, daraus die Insulindosis berechnen, Hypoglykämien erkennen und so weiter. Außerdem muss sie sich die Frage stellen, ob für sie eine Insulinpumpe oder ein Glukosesensor in Frage kommt. Renate N. ist überfordert. Für sie bricht eine Welt zusammen. Dachte sie doch, dass sie ihren Lebensabend gemeinsam mit ihrem Ehemann sorgenfrei verbringen kann.

Zu Beginn des Klinikaufenthaltes liegt der HbA1c bei 11,2%. Renate N. ist stark verunsichert, ob sie mit ihren 71 Jahren so viel neues Wissen erlernen und dies eigenständig im Alltag umsetzen kann. In ein Pflegeheim möchte sie deswegen keinesfalls. Renate N. ist hochmotiviert, sich das Wissen anzueignen, um weiterhin in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben.

Ihr Mann versucht sie dabei zu unterstützen und nimmt an allen Schulungseinheiten teil. Für ihn sind die meisten Schulungsthemen auch neu, da er nur mit Metformin behandelt wird. Insulinspritzen, Blutzuckermessen und das Abschätzen der Kohlenhydratmenge sind für ihn nicht nötig. Dies hat er bisher nicht gelernt.

Das Schulungspersonal auf Station gibt sich sehr große Mühe. Sie unterstützen die Patientin täglich beim Insulinspritzen, Blutzuckermessen sowie Schätzen der Kohlenhydratmenge und der damit verbundenen Berechnung der Insulindosis. Alle Inhalte werden solange wiederholt, bis Renate N. die notwendige Sicherheit im Umgang der Erkrankung erlangt hat.

Nach Entlassung stellt sich Renate N. in einer Diabetesschwerpunktpraxis vor. Dort wird sie weiterhin von Diabetesberaterinnen unterstützt.

Drei Monate später…

Nach drei Monaten kommt Renate N. wieder in die Hausarztpraxis. Sie berichtet, wie schwierig die letzten Wochen für sie waren, aber auch, wie glücklich sie nun ist. Sie hätte nie gedacht, in ihrem Alter noch einmal "wie in der Schule so viel Wissen zu pauken". Der HbA1c liegt nun bei 7,8%. Hypoglykämien treten zwar hin und wieder auf – wenn sie sich beispielsweise bei der Kohlenhydratmenge verschätzt hat – Renate N. hat aber gelernt, damit umzugehen.

SCHULUNG LOHNT SICH… auch im hohen Alter!


Autorin:
© UKJ, Michael Szabo
Nadine Kuniß
Universitätsklinikum Jena, Klinik für Innere Medizin III, FB Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen, Jena
MED:ON MVZ, Erfurt


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (7/8) Seite 48-49