Ein Verzicht auf Kohlenhydrate oder auch eine Reduzierung der Kohlenhydrataufnahme wird zunehmend populärer. Darunter fallen alle Ernährungsempfehlungen von low carb über very low carb, bis hin zu ketogenem Essen. Welche Vorteile bietet eine solche Ernährung? Gibt es Grenzen für eine untere Kohlenhydratmenge im Besonderen bei Menschen mit Typ-1-Diabetes?

In den aktuellen Ernährungsempfehlungen wird Menschen mit einem Typ-1-Diabetes klar davon abgeraten, sich ketogen zu ernähren. Viele Patienten kommen aber in die Beratung und möchten darüber aufgeklärt werden, welche Risiken mit einer solchen Ernährungsweise einhergehen könnten. Durch die Medien und dadurch, dass viele Fachpersonen Menschen mit einem Typ-2-Diabetes oder bei Übergewicht zu einem Verzicht auf Kohlenhydrate raten, werden viele Menschen mit Typ-1-Diabetes stimuliert, sich zu informieren.

Indikation und Kontraindikation der ketogenen Ernährung

Die ketogene Diät (kD) wird ursprünglich seit den 1920er Jahren als Therapie bei refraktärer Epilepsie vor allem im Kindesalter angewandt. Weitere Anwendungsgebiete der kD sind Formen der Epilepsie, wie das West-Syndrom, Dravet-Syndrom, FIRES (Febrile infection-related epilepsy syndrome), Doose Syndrom (myoklonisch-asiatische Epilepsie), Fokale pharmakoresistente Epilepsie oder bei Mitochondriopathien, mit isoliertem Komplex-I Defekt der Atmungskette. Die Durchführung einer kD liegt in der Verantwortung des behandelnden Arztes und wird unter sehr strengen klinischen Bedingungen durchgeführt. Sie kann Anfälle reduzieren oder manchmal vollständig beseitigen. Zum Teil kann auch der Bedarf an Medikamenten verringert werden. Folgende Krankheiten gelten nach medizinischen Empfehlungen als Kontraindikation: Fettsäureoxidationsstörungen, Ketogenese-Defekte oder Ketolyse-Defekte, Gluconeogenese-Defekte, Hyperinsulinismus und Pyruvatcarboxylase-Mangel beziehungsweise eine mangelnde Adhärenz von Patienten und Familie. Beim Thema Hyperinsulinismus scheiden sich heute die Meinungen. In einigen Typ-2- Diabetes-Studien wurde gezeigt, dass sich der HbA1c-Wert verbesserte und der Insulinbedarf sank.

Ketogen oder low carb?

Die klassische ketogene Diät besteht zu 90 Prozent aus Fett. Hierbei bekommen die Patienten Öle zu trinken, um auf diesen hohen Anteil von Fett zu kommen. Kohlenhydrate werden dabei vollkommen eliminiert. Diese Form der ketogenen Diät ist jedoch nicht die "ketogene" Ernährung, wie sie in den Medien propagiert wird. Die Durchführungsformen reichen von low carb mit einem Anteil von 50 bis 150 Gramm Kohlenhydraten täglich und "very low carb"-Formen mit unter 50 Gramm Kohlenhydraten täglich. Ketogene Diät bedeutet also eine Ernährungsform, bei der Ketone erzeugt werden. Hierbei wird unterschieden zwischen der klassischen ketogene Diät, der modifizierten Atkins Diät (MAD) und der niedrig-glykämischen Index-Therapie (LGIT). Der Fettanteil liegt – je nach Verhältnis – bei 82 bis 90 Prozent. Bei Kindern über zwei Jahren wird meist das Verhältnis vier zu eins Lipid zu Nicht-Lipid festgelegt. Bei Kindern unter zwei Jahren und Kindern, die durch eine hohe Ketose gut auf die ketogene Diät ansprechen, oder bei Kindern mit schwieriger Compliance, kann das Verhältnis auf drei zu eins festgelegt werden. Die Atkins-Diät ist weniger restriktiv, aber dennoch weiterhin sehr kohlenhydratarm und fettreich. Hier liegt der Eiweißweißanteil bei etwa 35 Prozent täglich. Die Kohlenhydratzufuhr ist auf zehn bis 20 Gramm täglich bilanziert. Die Fettmenge soll bei 60 bis 65 Prozent der Gesamtenergie liegen. Bei der niedrig-glykämischen Index-Therapie werden insbesondere komplexe Kohlenhydrate, etwa 40 bis 60 Gramm pro Tag mit einem glykämischen Index kleiner 50 zu jeder Mahlzeit mit Proteinen und Fett kombiniert. Diese sollten möglichst gleichmäßig über den Tag verteilt gegessen werden. Der Fettanteil sollte bei rund 60 Prozent und der Eiweißanteil etwa bei 30 Prozent liegen. Ähnlich wie bei der modifizierten Atkins-Diät werden lediglich die gegessenen Kohlenhydrate berechnet. Der Gesamtenergiebedarf richtet sich bei beiden Formen nach den Empfehlungen der D-A-CH-Referenzwerte und muss nicht zusätzlich berechnet werden.

Besonderheiten

Fehlt Glukose im Stoffwechsel, kann nicht genügend Oxalacetat produziert werden. Nach drei bis vier Tagen ohne ausreichende Kohlenhydratzufuhr ist das zentrale Nervensystem gezwungen, eine alternative Energiequelle zu finden: In Form von Ketonkörpern wie Beta-Hydroxybutyrat, Acetoacetat und Aceton. Diese Ketone entstehen aus der Überproduktion von Acetyl-CoA in den Mitochondrien (Beta-Oxidation). Wenn die Ketonkörper eine Konzentration von etwa 4 mmol/l erreichen, wird das Acetyl-CoA direkt in den Zitratzyclus eingeschleust und zur Energiegewinnung herangezogen. Während der Ketose bleibt der Blutglukosespiegel trotzt reduzierter Kohlenhydratzufuhr in physiologischen Spiegeln (Glukoneogense) konstant. Bei der physiologischen Ketose erreicht die Ketonämie ein Maximum von 7 bis 8 mmol/l. Die dafür erforderlichen Enzyme werden durch Insulin gehemmt und durch Adrenalin und Glukagon stimuliert. Unter Vorliegen von genügend wird die Ketonämie aber nicht stärker, da die Betaoxidation bis zum Zitratzyklus weiterlaufen kann.

Unterschiede: Typ-1-Diabetes

Da Menschen mit Typ-1-Diabetes kein eigenes Insulin produzieren und von außen injizieren müssen, liegt hier die Besonderheit im Stoffwechsel. Solange ausreichend Insulin zur Verfügung steht, kann auch hier eine physiologische Ketose erzielt werden. Wird jedoch zu wenig Insulin zugeführt, ist das Risiko gegeben, dass aus der Ketose schnell eine Ketoazidose werden kann. Unter Energiemangel werden vermehrt Glukosetransporter (Post-Rezeptor-Effekte) produziert und damit vermehrt Glucose dem Mitochondrium zugeführt. Ähnlich wie beim Fasten funktioniert dieser Mechanismus unter einer Azidose. Sollte jedoch ein Insulinmangel vorliegen und durch die Ketoazidose die hormonsensitive Lipase enthemmt werden, erhöht sich die Insulinresistenz. Das ist auch der Grund warum Menschen mit Typ-1-Diabetes unter Ketoazidose im Therapieregime 20 Prozent mehr Insulin (berechnet am Gesamtinsulin) beziehungsweise doppelte Korrekturen abgeben müssen.

Da normalerweise bei einer kohlenhydratbetonten Ernährung 50 Prozent für Basalinsulin und 50 Prozent für das Mahlzeiteninsulin kalkuliert werden, verschiebt sich bei Reduzierung der Kohlenhydrate der Anteil vom Mahlzeiteninsulin hin zum Basalinsulin. Patienten müssen daher das Basalinsulin erhöhen (vermehrt Glykogenolyse bzw. Glukoneogenese) beziehungsweise zusätzliche Korrekturen berechnen. Eine strenge ketogene Ernährung sollte nur unter klinischer Aufsicht erfolgen. Bei den modifizierten Formen, sowie bei very low carb mit einem Kohlenhydratanteil von 20 bis 50 Gramm täglich sollten Menschen mit einem Typ-1-Diabetes ihre Insulintherapie anpassen und regelmäßig Ketone messen. Ein Insulinmangel ist dringend zu vermeiden. Gegen "low carb"-Ernährung mit über 50 Gramm Kohlenhydraten am Tag spricht nichts, wenn der Patient den Wunsch dazu hat. Jedoch sollte darauf geachtet werden, dass komplexe Kohlenhydrate, pflanzliches Fett und Proteine unter Vermeidung von rotem Fleisch und verarbeiteten Wurst- und Fleischwaren, Prinzipien der Kost sein sollten.


Autorin:
Dr. oec. troph. Astrid Tombek
Leiterin Diabetes- und Ernährungsberatung
Diabetes Zentrum Mergentheim
Theodor-Klotzbücher-Straße 12, 97980 Bad Mergentheim


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (3) Seite 14-15