Anfangs verläuft die diabetische Retinopathie fast ohne klinische Symptome, daher ist es sehr wichtig, dass Menschen mit Diabetes regelmäßig Augenuntersuchungen wahrnehmen. Worauf Behandler bezüglich Diabetes und Augenerkrankungen achten sollten, erklären Prof. Hans-Peter Hammes und PD Dr. Klaus D. Lemmen.

Die S03-Leitlinie zur diabetischen Retinopathie und Makulopathie stellt eine wissenschaftliche, solide Basis für die Versorgung von Menschen mit Diabetes dar. In Erweiterung zu den lange etablierten Vorgehensweisen hat sie empfohlen, dass
  • regelmäßige Augenuntersuchungen erfolgen sollen, da frühe Stadien zumeist symptomlos verlaufen,
  • Strukturveränderungen, z. B. Gefäßneubildungen, häufig vor einer Sehverschlechterung auftreten und
  • eine frühzeitige ophthalmologische Therapie bessere Visusergebnisse bringen kann.

Ein Großteil der Menschen mit Diabetes, vor allem mit Typ-2-Diabetes, wird in der hausärztlichen Praxis betreut. Ca. 20 – 40 Prozent der Betreuten entgehen aber aus verschiedensten Gründen einem leitliniengerechten Screening.

Frühformen vermindern die Sehkraft nicht

Es gibt klinisch einige Zeichen, die ein Patient mit Retinopathie wahrnimmt (s. folgenden Kasten), jedoch sind diese Zeichen fast immer Ausdruck eines fortgeschrittenen Stadiums der Retinopathie. Bei früher Retinopathie sind kaum jemals klinische Symptome wahrzunehmen, daher die Notwendigkeit zu Screeninguntersuchungen.

Warnzeichen einer höhergradigen Retinopathie
  • plötzlich auftretende Veränderung des Sehvermögens
  • eine Verschlechterung des Sehvermögens, die durch ­Brillengläser nicht korrigiert werden kann
  • Leseschwierigkeiten bis zum Verlust der Lesefähigkeit
  • Störung des Farbsinns
  • eine allgemeine Sehverschlechterung, verschwommenes Sehen
  • verzerrtes Sehen
  • „Rußregen“ vor dem Auge

Weltweit ist die diabetische Retinopathie hinter den drei häufigsten Augenerkrankungen (Glaukom, Katarakt und altersabhängige Makuladegeneration) immer noch sehr präsent. Die Prävalenz beträgt ca. 35 Prozent, 7 Prozent für die proliferative diabetische Retinopathie, 6,8 Prozent für ein diabetisches Makulaödem und 10,2 Prozent für eine visusbedrohende Retinopathie.

In Deutschland schwanken die Angaben zur Prävalenz der Retinopathie in Abhängigkeit davon, ob die Daten im Bereich der Primärversorgung oder in Zentren erhoben wurden. In der Gutenbergstudie – mit einer Stichprobe von Menschen mit Diabetes (n = 1 124) aus einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe (n = 15 010) – fand sich eine Prävalenz der Retinopathie von ca. 22 Prozent; die DPV-Studie mit einem Umfang von ca. 64 700 Patienten mit Typ-2-Diabetes hatte eine Prävalenz der Retinopathie von 20 Prozent bei einer durchschnittlichen Diabetesdauer von neun Jahren und einem mittleren HbA1c-Wert von 6,1 Prozent. Ca. 9 Prozent zeigten fortgeschrittene Stadien einer Retinopathie, nur 0,8 Prozent eine Makulopathie.

Aus Untersuchungen großer Krankenkassen geht inzwischen hervor, dass nach Neufeststellung eines Typ-2-Diabetes nur ein Drittel aller Menschen augenärztlich untersucht wird, und dass nach etwa zwei Jahren Diabetesdauer nur 50 Prozent untersucht sind. Dies steht nicht nur im Widerspruch zur Leitlinie, sondern auch zu den Daten der Gutenberg-Gesundheitsstudie, in der bei den durch Screening entdeckten Menschen mit Typ-2-Diabetes mehr als jeder 5. bereits Netzhautveränderungen aufwies.

Ein vergleichbarer Hinweis ergab sich auch aus der DR-Barometer-Studie, bei der ca. 40 Prozent aller Menschen mit Diabetes nicht leitliniengerecht untersucht werden. Als wesentliche Barrieren wurden fehlende Information und Schulung sowie lange Wartezeiten auf Termin und Untersuchung festgestellt.

Angemessenes Screening vermeidet Über- und Unterversorgung

Angemessene Screeningintervalle sind in der S03-Leitlinienerstellung unter Berücksichtigung von Aspekten der Über- und Unterversorgung der betroffenen Menschen formuliert worden:

Menschen ohne Veränderungen im Sinne einer Retinopathie und ohne allgemeine Risiken wie erhöhtes HbA1c oder Hypertonie kann empfohlen werden, die Screeningintervalle auf zwei Jahre zu verlängern. Andernfalls wird ein einjähriges Intervall empfohlen. Auch wenn unvollständige Daten zum allgemeinen Risikoprofil übermittelt werden, schlägt die Leitlinie ein einjähriges Intervall vor. Problematisch ist nur, dass das DMP ein einjähriges Intervall vorsieht. Daher sollte durch Flexibilisierung des DMP Sorge getragen werden, dass die Empfehlung auch umgesetzt werden kann.

Basis der Kommunikation an dieser wichtigen Schnittstelle sind zwei Befundbögen: der Hausärztlich/diabetologische Befundbogen sowie derAugenärztliche Befundbogen. Die Überweiser verantworten die Risikostratifizierung auf internistisch-diabetologischem Gebiet und weisen die ophthalmologischen Partner auf wichtige Risikokonstellationen hin und fassen das Ergebnis der Einschätzung zu einem eher niedrigen bzw. einem eher erhöhten Risiko zusammen.

Wichtige allgemeine Risikofaktoren einer diabetischen Retinopathie sind:

  • Diabetesdauer
  • Ausmaß der Hyperglykämie (HbA1c)
  • Vorliegen/Grad der arteriellen Hypertonie
  • Nephropathie
  • hormonelle Umstellung (Schwangerschaft, Pubertät)
  • Rauchen (bei Typ-1-Diabetes)
  • männliches Geschlecht (bei Typ-1-Diabetes)

Auch kürzlich eingetretene Veränderungen spielen eine wichtige Rolle: schnelle Blutzuckersenkung, geplante oder eingetretene Schwangerschaft, Behandlung mit Sitagliptin, Behandlung mit GLP-1-Rezeptoragonisten, bariatrische Operation. Im Gegenzug informieren die ophthalmologischen Kollegen über neu aufgetretene Veränderungen, rasche Progredienz, Therapiebedarf und zukünftig empfohlene Kontrollintervalle.

Bei der individuellen Risikostratifizierung gewinnt die Erinnerung daran Bedeutung, dass der Diabetes eine Systemerkrankung ist – mit speziellem Komplikationsspektrum und entsprechender Dynamik. Dazu zählt, dass eine gleichzeitige Nephropathie den Verlauf der Retinopathie sehr ungünstig beeinflussen kann. Die gegenseitige Beeinflussung beruht auf der Annahme, dass die Risikofaktoren Blutzucker und Hypertonus Auge und Niere gleichsinnig schädigen.

Derzeit ist nicht abschließend geklärt, ob die Hyperglykämie selbst, reaktive Metabolite, veränderte Scherkräfte (die hypertoniebedingt auf die Gefäße wirken) oder sekundäre Effekte von Wachstumsfaktoren oder inflammatorische Mediatoren getrennt oder gemeinsam die Folgekrankheiten induzieren bzw. unterhalten.

Eine Retinopathie im frühen Verlauf der Diabeteserkrankung hat dabei besondere prognostische Bedeutung: Es besteht ein mehr als auf das Doppelte erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.
Wichtig ist für die diabetologisch Tätigen, diese Patienten im Sinne einer individualisierten Medizin zu identifizieren, um sie gerechtfertigterweise sinnvoll intensiviert polypragmatisch zu behandeln.
Vorsicht aber, wenn auch die Niere betroffen ist!

Wenn eine Nephropathie sich neu entwickelt, ist eine sorgfältige Überwachung der Retinopathie in kürzeren Abständen als die jährlichen Kontrollintervalle erforderlich, weil es hier auch zu einer Progredienz kommen kann. Vor allem wenn sich eine renale Anämie hinzugesellt oder der Patient eine therapierefraktäre Hypertonie entwickelt, ist die Funduskontrolle wichtig. Vor Einleitung einer Nierenersatztherapie ist wegen der Antikoagulation eine ophthalmologische Kontrolle auch außerhalb der üblichen Intervalle angeraten. Im Regelfall wird aber eine diabetische Retinopathie VOR einer Nephropathie festgestellt.

Vor allem bei Patienten mit einer Diabetesdauer von mehr als 10 Jahren, bei denen sich eine Proteinurie oder eine Funktionsverschlechterung entwickelt hat, sollte besonders sorgfältig nach einer Retinopathie gefahndet werden, da sich sonst der Verdacht auf eine diabetesunabhängige Nierenerkrankung stellt, die die Indikation für eine Nierenbiopsie darstellt. Daher ist in solchen Fällen die ophthalmologisch-diabetologisch-nephrologische Kommunikation sehr bedeutsam.

Diagnostik der Retinopathie

Wenn eine Überweisung zur Augenuntersuchung erfolgt, soll der Betroffene darauf hingewiesen werden, dass für einige Stunden das Führen eines Fahrzeuges nicht erfolgen darf, weil der Visus durch die erforderliche Pupillenerweiterung beeinträchtigt sein kann.

Untersucht werden müssen:
  • Sehschärfe
  • vorderer Augenabschnitt
  • Augenhintergrund mit binokular-biomikroskopischer Funduskopie (bei erweiterter Pupille)
  • Augendruck bei schwerer nicht proliferativer oder proliferativer Retinopathie, bei Iris-Neovaskularisationen
  • optische Kohärenztomografie (OCT) optional zur Differenzialdiagnose einer Makulopathie oder obligat bei Vorliegen einer therapiebedürftigen diabetischen Makulopathie
  • Fluorescein-Angiografie bei bestimmten Konstellationen einer fortgeschrittenen diabetischen Retinopathie oder Makulopathie

Die Stadieneinteilung, der ophthalmologische Befund und die ophthalmologische Therapie der diabetischen Retinopathie sind in folgender Tabelle auf der vorherigen Seite dargestellt:
Stadium ophthalmologischer Befund ophthalmologische Therapie
1.1 nichtproliferative diabetische Retinopathie
milde Form Mikroaneurysmen keine Laserkoagulation
mäßige Form zusätzlich einzelne intraretinale Blutungen, perlschnurartige Venen (venöse Kaliberschwankungen) keine Laserkoagulation
schwere Form „4-2-1-Regel“ > 20 einzelne Mikroaneurysmen, intraretinale Blutungen in 4 Quadranten oder perlschnurartige Venen in 2 Quadranten oder intraretinale mikrovaskuläre Anomalien (IRMA) in 1 Quadrant Laserkoagulation nur bei ­Risikopatienten
1.2 proliferative diabetische Retinopathie
Papillenproliferation, Papillenfeme, Proliferation Laserkoagulation
Glaskörperblutung, Netzhautablösung Laserkoagulation wenn möglich; sonst eventuell Vitrektomie
2. diabetische Makulopathie
2.1 diabetisches Makulaödem punkt-/fleckförmige Zone(n) von Ödem, intraretinalen Blutungen oder harten Exsudaten am hinteren Pol keine Laserkoagulation
visusbedrohend, wenn makulanah = klinisch signifikant
ohne Beteiligung der Fovea gezielte Laserkoagulation
mit Beteiligung der Fovea intravitreale operative Medi­kamenteneingabe, optional gezielte Laserkoagulation
2.2 ischämische Makulopathie Diagnose durch Fluorescein-Angiografie: Verschluss des perifovealen Kapillarnetzes keine Therapie möglich

Verhinderung der diabetischen Retinopathie – aber wie?

Die chronische Hyperglykämie ist wichtigster Faktor der Retinopathie, also ist die möglichst normnahe Blutzuckereinstellung der bestverfügbare Schutz. Jedoch ist dieser Schutz nicht 100-prozentig, er wurde in der Vergangenheit in seiner Wertigkeit überschätzt. Beim Typ 1 wie beim Typ 2 sind klare Hinweise gegeben worden, dass die normnahe Blutzuckereinstellung in einem fortgeschrittenen Stadium der Retinopathie die weitere Progression nicht mehr verhindern kann. Auch in der Frühphase der Retinopathie beträgt die Gesamteffizienz der Therapie vermutlich nicht mehr als ca. 11 Prozent.

Grundsätzlich soll ein HbA1c-Wert von ca. 7 Prozent angestrebt werden. Vorsicht ist aber geboten, diese Zielsetzung zu übertreiben, z. B. durch ein Absenken des HbA1c auf wesentlich tiefere Werte: Damit steigt nicht nur das Hypoglykämierisiko, das vor allem bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und bestehenden Schäden an den großen Blutgefäßen ungünstig ist.

Neue Therapiekonzepte verlangen sorgfältige Kontrollen

Neuere Studien haben aufgrund ihrer ausgeprägten Wirkung auf die Blutzuckerregulation mit HbA1c-Reduktion deutlich über 1 Prozent innerhalb von Wochen eine Problematik aktualisiert, die zumindest in dieser Form bei Menschen mit Typ-2-Diabetes nicht im Fokus stand: das Phänomen des „euglycemic reentry“ oder „early worsening“, das aus der DCCT-Studie bei Typ-1-Diabetes bekannt ist und vor allem bei langer Diabetesdauer (> 10 Jahre), vorbestehender Retinopathie und schlechter Blutzuckerregulation (HbA1c > 10 Prozent) vermehrt festgestellt wurde.

Sowohl durch bariatrische Operation als auch durch hocheffektive blutzuckersenkende Therapien wie Semaglutid kommt es bei einem kleinen Anteil von Menschen mit Typ-2-Diabetes zur Verschlechterung einer vorbestehenden Retinopathie. Bemerkenswert ist nun aber die sich abzeichnende Diskrepanz zwischen den therapeutischen Effekten auf Auge und Niere (und Herz): Bislang war eine Blutzuckersenkung günstig für beide Zielgebiete der diabetischen Komplikationen.

Während Liraglutid, Semaglutid und Empagliflozin günstige Effekte auf kardiovaskuläre und renale Endpunkte zeigten, war der Effekt auf die Retina entweder neutral (Liraglutid, Empagliflozin) oder schädlich (Semaglutid). Interessant ist weiter, dass auch Sitagliptin, für das kein starker blutzuckersenkender Effekt in TECOS beschrieben wurde, eine 30-prozentige Verschlechterung der Retinopathie zeigte. Im Gegensatz zum Typ-1-Diabetes, bei dem sich die Verschlechterung der Retina nach einiger Zeit „erholt“, persistiert der schädigende Effekt bei Typ-2-Dia­betes.

Bei Typ-1-Diabetes wurde klar nachgewiesen, dass eine „schonende“ Senkung des HbA1c (z. B. 1 Prozent pro Monat) keinen Sinn macht (obwohl es immer noch praktiziert wird – „lost in translation“!) Für Menschen mit Typ-2-Diabetes ist ebenso zu erwarten, dass eine „schonende“ Blutzuckersenkung weder durchführbar noch effizient ist. Allerdings fehlen entsprechende Daten zu einer Empfehlung.

Auf den Blutdruck achten!

In Fällen rasch progredienter Retinopathie sind weitere andere Behandlungsaspekte sehr bedeutsam, vor allem der Blutdruckeinstellung. Hier unterscheiden sich Menschen mit Typ-1- von jenen mit Typ-2-Diabetes: Rascheres Fortschreiten und Entwicklung visusbedrohender Stadien sind vor allem bei Menschen mit Typ-1-Diabetes gegeben, wenn gleichzeitig eine diabetische Nierenerkrankung besteht. Menschen mit Typ-1-Diabetes entwickeln in ca. 30 Prozent eine Retinopathie und eine Nephropathie. Hier gewinnt die Bedeutung der Blutdruckeinstellung für die Begrenzung des Nierenschadens und auch des Netzhautschadens eine vorrangige Stellung. Der Augenarzt sollte informiert werden, ob gleichzeitig eine Nephropathie vorliegt! Daher wurde der Dokumentationsbogen für die diabetische Retinopathie und Makulopathie vor Längerem entsprechend modifiziert.

Beim Typ-2-Diabetes ist die Berücksichtigung von Blutdruck und Nierenschädigung bereits bei erster Erkennung der Retinopathie vonnöten:
Das Blutdruckziel liegt bei 140/80 mmHg. Das einzig bisher etablierte Prinzip zur Verhinderung bzw. Progressionsverzögerung einer diabetischen Retinopathie ist die Gabe eines ACE-Hemmers.
Bei der Vielzahl von Medikamenten, die Menschen mit Typ-2-Diabetes bereits einnehmen (s. u.), und bei der eher moderaten Effektstärke bei fortbestehenden Unklarheiten zum Wirkmechanismus entfällt eine generelle Empfehlung auch in der neuen Leitlinie.

Menschen mit Typ-2-Diabetes und gleichzeitiger Nephropathie profitieren von einer intensivierten Kombinationsbehandlung von Blutzucker, Blutdruck, Lipiden (Statine!) und Plättchenaggregationshemmung zusätzlich zur Lebensstilintervention eindeutig und nachhaltig. Diese Therapie ist angelehnt an die Sekundärintervention nach Herzinfarkt. Zahlreiche weitere Therapiekonzepte wurden in verschiedenen, zumeist kurzen Studien untersucht und als unwirksam befunden. Dazu gehören Calciumdobesilat, Aspirin in niedriger bis mittlerer Dosierung, Antioxidantien, Vitaminpräparate und Mineralien.

Die Informations- und Beratungsangebote durch Ärzte, DiabetesberaterInnen, Betroffenenverbände und Gesundheitsorganisationen sind umfassend und lassen keine relevante Frage unbeantwortet. Dieses Beratungsangebot kann auch verhindern, dass unnütze, kostenträchtige und möglicherweise schädliche Diagnostik- und Therapiekonzepte die Menschen unnötig belasten.

Fortgeschrittene (visusbedrohende) Stadien: Therapie?

Der Goldstandard bei proliferativer diabetischer Retinopathie ist die panretinale Laserkoagulation. Das Verfahren ist etabliert, an der Wirksamkeit gibt es keine Zweifel. Die ophthalmologischen Nebenwirkungen (Nachtblindheit, vermindertes peripheres Gesichtsfeld etc.) sind zu berücksichtigen.

Inzwischen zeigen Studien („Protocol T“ des DRCR.net und „Clarity“), dass sich die proliferative diabetische Retinopathie auch durch intravitreale Gabe von VEGF-Antikörpern eindämmen lässt. Diese Therapie hat unzweifelhaft Vorteile: a. periphere Netzhaut und damit Gesichtsfeld sowie Dämmerungs- und Dunkelsehen bleiben erhalten, b. das Risiko der Verschlechterung eines vorbestehenden oder sich neu entwickelnden Makulaödems wird vermindert.

Da die ursächliche Ischämie der Retina ohne Lasertherapie sich jedoch nur teilweise und auch nicht bei allen Patienten zurückbildet, kommt es zu Rezidiven, die über den gesamten bisherigen maximalen Nachbeobachtungszeitraum von fünf Jahren in gering abnehmendem Maße aber kontinuierlich Kontrolluntersuchungen und erneute Injektionen erfordern.

Es bleibt daher vor einer breiten Einführung noch Langzeitergebnisse abzuwarten – im Hinblick auf das Ausmaß von Folgebehandlungen und auch der Häufigkeit notwendiger Kontrolluntersuchungen.
Bei fortgeschrittener diabetischer Augenerkrankung mit nicht resorbierender Blutung in den hinteren Augenabschnitt oder Netzhautablösung und bestimmten Glaukomformen ist die Pars-plana-Vitrektomie die etablierte Therapie.

Diabetische Makulopathie: intravitreale Injektionen zur Behandlung visusbedrohender Formen

Bei einem visusbedrohenden, klinisch signifikanten Makulaödem ohne Fovea-Beteiligung kann eine fokale Laserkoagulation empfohlen werden. Der Effekt tritt nach zwei bis drei Monaten ein mit Reduktion des Risikos eines Sehverlustes. Je besser der Ausgangsvisus, umso besser ist das erzielbare Ergebnis.

Bei klinisch signifikantem Makulaödem mit Fovea-Beteiligung sollte primär eine Therapie mit intravitrealen VEGF-Inhibitoren empfohlen werden, wenn der Makulabefund einen Effekt auf die Sehfähigkeit erwarten lässt. Nach Expertenkonsens kann bei unzureichendem oder fehlendem Ansprechen der Therapie mit VEGF-Inhibitoren der Wechsel zu einer intravitrealen Therapie mit Steroiden empfohlen werden. Alternativ zur Medikamentengabe kann individuell wegen des geringeren Aufwandes und der geringeren Nebenwirkungen bei allerdings auch geringerem Effekt eine Lasertherapie empfohlen werden.

Der Effekt der beiden zugelassenen VEGF-Inhibitoren (Aflibercept und Ranibizumab) oder des nicht zugelassenen Bevacizumab (Anwendung „Off-label“, d. h. nur nach individueller Beratung mit ausführlicher Darstellung der Risiken) ist bei der Verhinderung von Visusverlusten durch ein diabetisches Makulaödem gleich, wenn der initiale Visusverlust gering ist. Bei schlechterem Ausgangsvisus (ca. 0,5) sind Aflibercept und Ranibizumab dem Bevacizumab in Studien mit einem Nachbeobachtungszeitraum von zwei Jahren überlegen.

Die entsprechende Anwendung von Bevacizumab im Off-label-Modus ist zulässig, da die Kosten verglichen mit denen der anderen Medikamente niedriger sind. Die WHO hat daher Bevacizumab im Gegensatz zu Ranibizumab und Aflibercept als Ophthalmologikum zum Bestandteil der Liste unentbehrlicher Arzneimittel erklärt.

Das Fazit

Augenkomplikationen bei Menschen mit Diabetes sind nach wie vor nicht selten und betreffen die gesamte Retina als auch die Makula. Die möglichst normnahe Blutzucker- und Blutdruckeinstellung steht diabetologisch im Vordergrund.

Es besteht ein geringes Risiko einer vorübergehenden Verschlechterung einer bestehenden Retinopathie, weswegen abweichend von den leitliniengerechten Screeningintervallen Patienten mit schlechter Einstellung (HbA1c > 10 Prozent) und längerer Diabetesdauer (> 10 Jahre) vor Therapieintensivierung außerplanmäßig augenärztlich untersucht werden sollten. Ansonsten soll das Gefährdungspotenzial einer intensivierten Therapie gegen den Nutzen bei fortgeschrittenen Retinopathie-Stadien individualisiert betrachtet werden.

Die Symptomlosigkeit der Erkrankung verpflichtet zu Screening-Untersuchungen, deren Intervalle bei Menschen mit unkompliziertem Verlauf und geringerem Risiko verlängert werden können.

Goldstandard für fortgeschrittene Stadien der proliferativen Retinopathie ist die panretinale Laserkoagulation. Für das visusbedrohende Makulaödem ist die primäre intravitreale Injektionstherapie mit VEGF-Inhibitoren inzwischen etabliert.


Autoren:
Prof. Dr. Hans-Peter Hammes
Leiter der Sektion Endokrinologie
Habersaathstr. 31, 10115 Berlin
Universitätsmedizin Mannheim, Universität Heidelberg
Theodor-Kutzer-Ufer 1 – 3, 68167 Mannheim

PD Dr. Klaus Dieter Lemmen
Augenarztpraxis Lemmen & Vahdat
Habersaathstr. 31, 10115 Berlin
Blumenstraße 28, 40212 Düsseldorf


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2020; 32 (7/8) Seite 30-35