Den Blutzucker rund um Mahlzeiten regelmäßig im Zielbereich zu halten, ist für viele Menschen mit Diabetes eine große Herausforderung. Nicht nur die Bestimmung der Nährwerte einer Mahlzeit verursacht Unsicherheiten, sondern auch die Quantifizierung von zusätzlichen potentiellen Einflussfaktoren wie Bewegung, Schlaf, Tageszeit und Zyklus. Ist eine stärker personalisierte, datenbasierte Therapieunterstützung zur postprandialen Blutzucker Kontrolle sinnvoll und umsetzbar?

Essen ist einer der Hauptfaktoren, die zu einem Anstieg des Blutzuckerspiegels führt. Diese Glukose-Schwankungen beeinträchtigen das kurzfristige Wohlbefinden und sind mit dem Risiko langfristiger Komplikationen verbunden [1].

Personalisierung

Trotz der Häufigkeit der Herausforderung sowie Unsicherheiten und Ängste, welche es bei den Betroffenen generiert, sind Therapieentscheide rund um Mahlzeiten nach wie vor wenig mittels der eigenen postprandialen Daten personalisiert. Moderne AID-Systeme wie MiniMed 780g oder Cam APS FX korrigieren und lernen kontinuierlich. Trotzdem ist die Eingabe der Kohlenhydrate manuell notwendig. Bei CSII mit älteren Algorithmen, bei ICT oder anderen Therapieformen finden die Anpassungen nach Analyse der Daten in Iterationen mit längeren Zyklen wie nach einem Arztbesuch statt.

Die limitierte Personalisierung der Therapie rund um Mahlzeiten steht im Gegensatz zu Erkenntnissen aus neueren Studien. Entsprechende Studien aus Israel und den USA zeigen, wie der Einfluss auf den postprandialen Blutzucker Verlauf vom exakt gleichen Lebensmittel je nach Person unterschiedlich ausfällt [2] und [3].

Die Autoren deuten darauf hin, dass universelle Ernährungsempfehlungen einen begrenzten Nutzen haben. Stattdessen konnte der von den Autoren entwickelte, auf künstlicher Intelligenz beruhender Algorithmus mittels Beizug zusätzlicher variablen wie Blutparameter, Ernährungsgewohnheiten, anthropometrischen Daten, körperlicher Aktivität und dem Mikrobiom die individuellen postprandialen Blutzuckerverläufe zuverlässig vorhersagen (Abb. 1).

Vorhersage möglich

Die in der Studie verwendeten Variablen werden in dem Umfang bei den meisten Betroffenen nicht vorhanden sein. Ist es daher möglich, in breiter verfügbaren Variablen wie CGM-Daten und Mahlzeit Informationen, Muster in der glykämischen Reaktion von Personengruppen zu erkennen? Folgende Darstellung zeigt die Vorhersage der postprandialen Zeit im Zielbereich, basierend auf dem Glukoseverlauf von vergangenen, ähnlichen Mahlzeiten [4], (Abb. 2).

Möglicherweise kann bei einer limitierten Verfügbarkeit der erklärenden Variablen eine stärkere Personalisierung des Diabetesmanagements rund um Mahlzeiten auch Schrittweise erfolgen. Nachvollziehbar ist, dass bei besserer Datenverfügbarkeit (Mikrobiom, Bewegung, Insulin, etc.) sich die Genauigkeit der Vorhersagen verbessert. Kritisch zu analysieren bleibt, ab welcher Schwelle die Mindestanforderungen an eine Vorhersage des postprandialen Blutzuckerverlaufs und damit verbundenen personalisierten Empfehlungen aus anwender, klinischer und regulatorischer Sicht erfüllt sind.

Herausforderungen und Lösungsansätze

Die Herausforderungen liegen nicht nur in einer genauen Bestimmung der Nährwerte, sondern auch in der Berücksichtigung von Variablen wie Bewegung, Mikrobiom, Insulin, Zyklus, etc. Insgesamt gibt es rund 42 Variablen die den Blutzuckerverlauf beeinflussen [5]. Sich die Faktoren und deren Wechselwirkung zu merken, ist für Menschen kaum möglich. Für Maschinen und Algorithmen aber ist es bereits heute in vielen Bereichen unseres Lebens völlig normal. Wieso sollten solche datengetriebene Methoden mittels teils auf künstlicher Intelligenz beruhenden Algorithmen nicht auch verbreiteter für die Diabetestherapie rund um Mahlzeiten angewendet werden?

Eine notwendige Grundlage zur breit abgestützten Entwicklung solcher Algorithmen ist das Vorhandensein der relevanten Daten. Die kontinuierliche Messung von Glukosedaten durch CGM’s, Erhebung der Aktivität durch Smartwatches, Insulindaten von Smart Pens oder Pumpen ermöglichen eine automatisierte Erfassung gewisser Daten. Dennoch gibt es weitere relevante Datenpunkte wie Mahlzeiten bei denen die Erfassung weitgehend manuell erfolgt und daher in geringerem Ausmaß vorhanden sind. Allerdings gibt es auch in diesem Bereich positive Entwicklungen die den Prozess der Erhebung von Mahlzeitdaten einfacher gestalten. Mittels der App SNAQ kann zum Beispiel ein Foto einer Mahlzeit (Abb. 3a, Abb. 3b, Abb. 3c) aufgenommen werden. Der Algorithmus der SNAQ-App analysiert das Foto und gelangt mithilfe von zusätzlichen Inputs des Anwenders zu einer Schätzung der Nährwerte. Die Mahlzeitdaten werden danach automatisch mit den Daten von CGM- oder BGM-Geräten verknüpft, um den Einfluss der Mahlzeiten auf den persönlichen postprandialen Blutzuckerverlauf aufzuzeigen. Leider sind Apps wie SNAQ bisher in Europa erst als Lifestyle App verfügbar und noch nicht als Medizinprodukt. Mit einer CE Zulassung wird 2023 gerechnet.

Eine bessere Verfügbarkeit der Mahlzeitdaten wird nicht nur die Entwicklung der Algorithmen beschleunigen, sondern auch die Kommunikation zwischen Patienten und Fachpersonen erleichtern. Zum Beispiel indem umfassendere und genauere Mahlzeitdaten auch im AGP-Reports vorhanden sind.

Schlussfolgerung

Insgesamt sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse bezüglich personalisierter Ernährung unter Verwendung von CGM‘s für Menschen mit und ohne Diabetes noch jung. Die Entwicklungen sind vielversprechend und haben das Potential die Korrelation zwischen unserer Ernährung und dem kurz- und langfristigen Einfluss auf unsere Gesundheit zunehmend empirisch zu erklären.


Literatur:
[1] Blaak EE, Antoine JM, Benton D, Björck I, Bozzetto L, Brouns F, Diamant M, Dye L, Hulshof T, Holst JJ, Lamport DJ, Laville M, Lawton CL, Meheust A, Nilson A, Normand S, Rivellese AA, Theis S, Torekov SS, Vinoy S. Impact of postprandial glycaemia on health and prevention of disease. Obes Rev. 2012 Oct;13(10):923-84. doi: 10.1111/j.1467-789X.2012.01011.x. Epub 2012 Jul 11. PMID: 22780564; PMCID: PMC3494382.
[2] Zeevi D, Korem T, Zmora N, Israeli D, Rothschild D, Weinberger A, Ben-Yacov O, Lador D, Avnit-Sagi T, Lotan-Pompan M, Suez J, Mahdi JA, Matot E, Malka G, Kosower N, Rein M, Zilberman-Schapira G, Dohnalová L, Pevsner-Fischer M, Bikovsky R, Halpern Z, Elinav E, Segal E. Personalized Nutrition by Prediction of Glycemic Responses. Cell. 2015 Nov 19;163(5):1079-1094. doi: 10.1016/j.cell.2015.11.001. PMID: 26590418.
[3] Mendes-Soares H, Raveh-Sadka T, Azulay S, Edens K, Ben-Shlomo Y, Cohen Y, Ofek T, Bachrach D, Stevens J, Colibaseanu D, Segal L, Kashyap P, Nelson H. Assessment of a Personalized Approach to Predicting Postprandial Glycemic Responses to Food Among Individuals Without Diabetes. JAMA Netw Open. 2019 Feb 1;2(2):e188102. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2018.8102. PMID: 30735238; PMCID: PMC6484621.
[4] Brown A. 42 Factors That Affect Blood Glucose?! A Surprising Update. Diatribe Online: https://diatribe.org/42-factors-affect-blood-glucose-surprising-update
[5] Haldimann D, Briner A, Previtali N, Pfyffer A. Predicting Time-in-Range Based on Past Glucose Responses From Similar Meals. Poster Session at Advanced Technologies & Treatments for Diabetes (ATTD). April 2022.

Quellen:



Korrespondenzadresse:

Aurelian Briner



Erschienen in: Diabetes-Forum, 2022; 34 (9) Seite 20-22