Sich des eigenen Gesundheitsverhaltens bewusst zu werden und etwas daran zu verändern, zählt zu den schwierigen Aufgaben, die es beim Diabetesmanagement zu meistern gilt. Verhaltensänderung geschieht nicht von jetzt auf gleich, sondern ist ein langwieriger, anstrengender und zeitintensiver Prozess, der einer persönlich sinnstiftenden Bedeutungsreaktion bedarf.
Ratsuchende kommen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen in die Diabetesberatung. Vielen Klienten ist nicht immer wohl dabei, beispielsweise ihre Ess- und Trinkgewohnheiten einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen. Es ist ein sehr sensibles und privates Thema.
Gefühle von Unbehagen, aber auch von Inkompetenz oder Unzulänglichkeit wie "Ich habe wohl bisher alles falsch gemacht", bis hin zur nicht seltenen Angst vor Veränderungen, müssen von der Beraterin aufgenommen und in einen motivierenden Kontext gebracht werden. Nur unter diesen Voraussetzungen lässt sich eine Allianz bilden. Zudem weckt die Aussicht den Typ-2-Diabetes wieder in die Remission zu bringen, Lust auf eine Lebensstilintervention.
Menschen mit Diabetes erwarten reflektiertes Handeln ihrer Beraterin
Die Beratung soll Betroffene unterstützen, Eigenverantwortung im Diabetesmanagement zu übernehmen. Hierbei dürfen Patientinnen und Patienten erwarten, am aktuellen Stand der Wissenschaft beraten zu werden. Leider werden Empfehlungen, beispielsweise zur Ernährung, häufig weder evidenzbasiert noch reflektiert weitergegeben.
Nur zu oft sind pauschale Anweisungen zu lesen, die insbesondere dem Großteil, nämlich insulinresistenten, übergewichtigen oder adipösen Menschen mit Typ-2-Diabetes (T2DM), nicht gerecht werden. Als Quelle wird hierbei die altertümliche Ernährungsleitlinie aus dem Jahr 2005 zitiert. "Eine spezielle Diabetesernährung ist nicht nötig, statt dessen eignet sich eine ausgewogene Mischkost mit bis zu 60 Prozent Kohlenhydrate, wie sie auch für Menschen ohne Diabetes gilt."
Soll das nun heißen, dass es bei T2DM keiner Ernährungstherapie bedarf und Ernährungsfachkräfte in die Behandlung gar nicht mehr eingebunden werden müssen? Wäre bei einer Glukosestoffwechselstörung zur Vermeidung hoher Blutzuckerwerte eine Reduktion der Kohlenhydrate nicht angebracht? Je mehr Kohlenhydrate gegessen werden, desto mehr blutzuckersenkende Medikamente müssen doch verordnet werden – wem nutzt das? Würde ich als Beraterin bei Laktoseintoleranz ebenfalls empfehlen, täglich einen Liter Milch zu trinken?
Für Typ-2-Diabetiker sollten eben nicht die grundsätzlich kohlenhydratreichen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) – der Fachgesellschaft für Gesunde – gelten.
Überlegungen der Beraterin zu Ernährungsempfehlungen
Denn mittlerweile ist doch hinreichend bekannt, dass in der heutigen bewegungsarmen Zeit die nicht verbrannten Kohlenhydrate in der Leber zu Fett umgewandelt werden (de novo Lipogenese - NAFLD, Lipotoxizität der Beta-Zellen etc.). Wird damit eine Insulinresistenz nicht weiter verstärkt und eine Gewichtsabnahme blockiert? Die Deutsche Akademie für Präventivmedizin (DAPM) und die Deutsche Gesellschaft für Adipositas (DAG) plädieren dafür, die Empfehlungen zu aktualisieren.
"Wir stellen bei jedem dritten Mann ab 45 Jahren bereits eine Fettleber fest, hier ist eine Kohlenhydratreiche Kost geradezu kontraindiziert", heißt es von Seiten der Fachexperten. Die Kritik reicht weiter: Selbst für stoffwechselgesunde Menschen sind diese Empfehlungen nicht nur durch fehlende Evidenz begründet, sie sind inzwischen auch widerlegt.
Wo bleibt die weggespritzte Glukose?
Typ-2-Diabetiker sollten ihre Mahlzeiten so gestalten, dass sie in den Alltag gut integriert werden, zur medikamentösen Therapie passen und ihren individuellen Gewohnheiten entsprechen. Häufig ergibt sich in der Beratung dazu allerding dieses Szenario: "Wenn ich Appetit auf etwas habe, dann esse ich es. Es bedeutet doch, dass ich auf mein Körpergefühl höre – oder? Praktisch werden dann, wenn der Blutzucker wieder einmal zu hoch ist, einfach die Insulineinheiten erhöht.
Stellt sich die Frage: Wo landet dann die weggespritzte Glukose – etwa als Fett in Leber und Pankreas? Es macht Sinn dies zu erklären, damit Patienten verstehen lernen, dass dies nicht den beste Weg in der Typ-2-Diabetestherapie darstellt. Häufig stellt sich auch die Frage, ob es Sinn macht spezielle Lebensmittel auszuwählen, damit der Blutzucker in Balance bleibt.
Wären hier beispielsweise kohlenhydratreduzierte Nudeln oder Eiweißbrote eine probate Alternative? Dank ihres hohen Ballaststoffgehalts – bei zugleich 70 Prozent weniger Kohlenhydraten lassen sie den Blutzucker kaum oder gar nicht ansteigen. Oder zum Beispiel Bitterschokolade mit mindestens 80 Prozent Kakaoanteil? Würde ein Austausch von Weizenmehl durch Mandelmehl oder ein Ersatz von Zucker durch Erythrit bei Gebäck eine Blutglukoseerhöhung eindämmen und somit das Problem hoher postprandialer Zuckerwerte an der Ursache behandeln?
Kommunikationsregeln im Beratungsgespräch
Zu Beginn jeder Beratung gilt es, eine gute Basis für den Dialog zu schaffen und das Einverständnis für die weitere Vorgehensweise einzuholen. Folgende Fragen müssen geklärt werden:
- Wie läuft das heutige Gespräch ab?
- Mit wem habe ich es zu tun?
- Welche Aufgaben und Rollen muss ich selbst übernehmen?
- Können wir eine gemeinsame Basis finden?
- Wichtig ist zudem den Patienten da abzuholen, wo er steht.
- Ein vorgefertigtes Konzept, ohne individuell auf den Beratenden einzugehen, macht wenig Sinn und wird erfolglos bleiben.
Es geht darum, die Positionen klarzustellen, Transparenz zu zeigen und somit die Basis für eine erfolgreiche Kommunikation zu legen. Ziel ist es auch, den Klienten dabei zu unterstützen, dass er Verantwortung für sein weiteres Vorhaben übernimmt. Mögliche Einwände, Nachteile oder Zeitbedarf müssen realistisch eingeschätzt und aufgezeigt werden.
Die Abwicklung der gemeinsam vereinbarten Maßnahmen soll überprüfbar sein und der Klient muss befähigt werden, wie er weiter vorgehen muss, um mögliche Hindernisse aus den Weg zu räumen. Kommunikation, welche an verschiedenen Punkten Wahlmöglichkeiten zulässt, wird nicht nur die beste Wirkung erzielen, sondern auch die Motivation der Klienten fördern. Ein gängiger Fehler in der Beratung ist die Annahme "Alles wird gut", das entspricht leider nicht der Realität.
Schönreden ist keine Lösung
Klienten erwarten in der Diabetesberatung verschiedene Optionen, Entscheidungsfreiheit sowie Mitspracherecht und nicht, dass ihnen gesagt wird, was sie zu lassen und zu tun haben! Der genaue Weg wird dabei nicht von der Beraterin vorgegeben, sondern kommt vom Betroffenen selbst. Es geht darum, Betroffenen einerseits so viel Beistand wie nötig anzubieten, dabei aber so wenig wie möglich in die Eigenverantwortung einzugreifen.
Hierbei bewährt es sich, unterschiedliche Maßnahmen anzubieten und Dinge ausprobieren zu lassen, welche einen Wandel fördern. Ein mögliches Angebot könnte da heißen: "Die Europäischen Diabetesleitlinien empfehlen mittlerweile die Menge an Kohlenhydraten beim Essen deutlich einzusparen, da hierdurch eine Reduktion der Medikamente bewirkt wird. Möchten auch Sie einen Versuch wagen und beobachten, wie sich Ihr Blutzucker verhält, wenn Sie Kohlenhydrate auf dem Teller deutlich verringern?"
Die aktuellen Guidelines legen Sie dem Patienten vor und bestätigen somit evidenzbasiertes Handeln. Nun liegt die Aufgabe beim Patienten, offen und ehrlich zu entscheiden, was er möchte und was nicht, für welche Maßnahmen er bereit ist und was er nicht verändern kann oder will. Dies gilt es zu respektieren.
Zeigt der Beratende deutliche Signale zur Veränderungsbereitschaft und bittet um Ihre Unterstützung, so ist es an der Zeit, weitere Hilfestellung anzubieten. Hier bieten sich Fragen wie: "Wo sehen Sie Möglichkeiten Kohlenhydrate einzusparen und wie würde Ihre Einkaufsliste und Ihr Essen dann ausschauen?"
Am Puls der Zeit
Menschen mit Diabetes erwarten von ihrer Beraterin ein Mitspracherecht sowie Therapieoptionen am Puls der Zeit und keineswegs Ernährungsempfehlungen aus den 80er Jahren. Eine neue, für 2020 erwartete Ernährungsrichtlinie der DDG, wird künftig eine Kohlenhydratreduktion voranstellen. Veranlassen Sie Ihre Patientinnen und Patienten selbst zu beurteilen, ob ihnen der bisher beschrittene Behandlungsweg guttut oder es Alternativen braucht, um die Krankheit an der Ursache zu bekämpfen.
Noch nie waren die Chancen besser, einen insulinresistenten Typ-2-Diabetes wieder in die Remission zu bringen – vorausgesetzt die Ernährung wird als kausaler Therapieansatz genutzt. Bis zu 60 Energieprozent in Form von Kohlenhydraten anzubieten ist hierbei obsolet und steigert laut ADA lediglich den Medikamentenverbrauch. Sich als Beraterin stetig weiterzuentwickeln bedeutet auch, die Bereitschaft für lebenslanges Lernen und die damit verbundene kritische Selbstreflexion.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2020; 32 (5) Seite 16-18