Diabetes Im aktuellen Gesundheitsbericht ist dieser Artikel zum Thema „Diabetes-Technologie: neue Entwicklungen“ erschienen. „Time in Range“, das ist die neue Zielgröße in der Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus.

Die Blutzuckerkontrolle ist wesentlicher Bestandteil der Therapie des mit Insulin behandelten Diabetes mellitus. Als Zielparameter für die langfristige Glukoseeinstellung hat sich das Glykohämoglobin A1c (HbA1c) etabliert und wird in allen nationalen und internationalen Diabetes-Leitlinien als Surrogat für eine optimale Blutzuckereinstellung und den Erfolg einer Behandlung angesehen.

Da der HbA1c die durchschnittliche Blutglukosekonzentration der letzten 8 bis 12 Wochen darstellt, werden "kurzfristige" Blutzuckerschwankungen wie Hypoglykämien und postprandiale Hyperglykämien jedoch nicht erfasst (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Schematischer CGM-Glukoseverlauf von drei Patienten mit identischem Mittelwert (d. h. HbA1c), aber deutlich unterschiedlicher Variabilität (Bereich in der Mitte: Zeit im Zielbereich, TIR).

Die seit einigen Jahren verfügbaren Systeme zur kontinuierlichen Messung der interstitiellen Glukose schließen diese offensichtliche Lücke und werden in verschiedenen technischen Ausführungen angeboten.

Kontinuierliches Glukose-Monitoring

Das kontinuierliche Glukose-Monitoring in "real time" (rtCGM) liefert nahezu Echtzeit-Glukosedaten; das intermittierende kontinuierliche Glukose-Monitoring (iscCGM, "Flash Glucose Monitoring") verwendet eine ähnliche Methodik, um kontinuierliche Glukosemessungen retrospektiv zum Zeitpunkt der Überprüfung zu zeigen. Jedoch kann nur rtCGM die Benutzer warnen, wenn die Glukosespiegel zu Hypoglykämie oder Hyperglykämie tendieren.

Mit iscCGM wird der aktuelle Glukosewert nur mit einem aktiven Scan des Lesegerätes über den Sensor zusammen mit einem Trendpfeil und einer 8-Stunden-Verlaufsgrafik angezeigt. Es ist oft schwierig, zwischen den Technologien zu unterscheiden, etwa in Bezug auf Kalibrierungen, Alarme, praktischen Aspekte beim Anbringen und Tragen von Sensoren oder die Kosten, die gerätespezifisch sind.

Da diese technologischen Details ständigen Änderungen unterliegen, wird der Begriff CGM für alle Aspekte verwendet, die mit der Geräteklasse zusammenhängen, sofern nicht anders angegeben.

Limitationen des HbA1c

Der HbA1c ist aktuell der wichtigste Surrogatparameter für die langfristige Glukoseeinstellung, wird u. a. zur Diagnostik eines Diabetes mellitus verwendet und korreliert positiv mit dem Auftreten diabetesbezogener Komplikationen.

Allerdings hat der HbA1c-Wert mehrere Einschränkungen:
  1. Er liefert nur einen Durchschnitt der Glukosespiegel über die letzten 2 bis 3 Monate;
  2. er erkennt keine Hypoglykämie oder Hyperglykämie im täglichen Diabetes-Management;
  3. er ist ein unzuverlässiger Parameter bei Patienten mit bestimmten Grundkrankheiten sowie während der Schwangerschaft und zeigt ethnische Unterschiede in den
  4. Glykierungsraten, die die Genauigkeit der HbA1c-Messungen beeinflussen;
  5. er spiegelt schnelle Änderungen in der täglichen Blutzuckerkontrolle nicht wider und
  6. er liefert keine Informationen darüber, wie das Behandlungsschema anzupassen ist, wenn die HbA1c-Spiegel erhöht sind.

Bislang wird anhand des HbA1c und seiner Entwicklung in der Praxis die Entscheidung getroffen, ob eine eingeleitete Diabetestherapie ausreichend ist oder eine Anpassung der Medikation in Betracht gezogen werden muss. Eine Entscheidung auf Basis des HbA1c berücksichtigt aber per se nicht das Ausmaß von Schwankungen der Glukosewerte (Glukosestabilität bzw. -variabilität) im Tagesverlauf. Diese können, trotz möglicher Zielwerterreichung beim HbA1c, intra- und interindividuell erheblich sein.

Vergleicht man bei Patienten mit identischem HbA1c individuelle Glukoseprofile, so können diesem Mittelwert völlig unterschiedliche Profilverläufe zugrunde liegen. So kann – nicht zuletzt durch unterschiedliche Glykierungsraten – bei einem HbA1c von 8 Prozent der mittlere Glukosewert von 120 bis 201 mg/dl (6,7 bis 11,7 mmol/l) variieren. Um den beschriebenen Limitationen des HbA1c zu begegnen, wurde vorgeschlagen, zusätzlich verstärkt die regelmäßige Glukosemessung in den Vordergrund zu rücken.

Time in Range (TIR)

Ein auf der Basis der aus rtCGM bzw. iscCGM verfügbaren Daten entwickelter Parameter zur kurz- als auch längerfristigen glykämischen Kontrolle eines Patienten ist die Time in Range (TIR) oder auch Time-in-Target-Range, d. h. die Zeit, in der sich die Glukose in einem vorab definierten Zielkorridor befindet.

Die TIR wird von den Auswertungssoftwares standardisiert ausgewertet und von einigen Systemen darüber hinaus visualisiert (Ambulantes Glukoseprofil, AGP). Sie wird von der FDA (U.S. Food and Drug Administration) angesehen als ergänzende Diagnostik zur Ermittlung der Dauer von hypo- und hyperglykämischen Phasen im Rahmen einer therapeutischen Intervention.

Ebenso wurde die TIR in den aktuellen, jährlich neu aufgelegten Behandlungsstandards der Amerikanischen Diabetes Gesellschaft (ADA) hinsichtlich ihres Zusatznutzens gegenüber einer alleinigen Blutzuckerselbstkontrolle und HbA1c-Messung erstmals ausdrücklich erwähnt.

Auch in der kürzlich erschienenen 2. Auflage der S3-Leitlinie zum Typ-1-Diabetes der Deutschen Diabetes Gesellschaft wird ausgeführt, dass CGM eine bessere Beurteilung der Glykämie ermöglicht und neben dem klassischen Surrogatparameter HbA1c jetzt neue Parameter wie die Zeit im Zielbereich TIR und Glukosevariabilität in den Fokus rücken.

Auch die bessere Beurteilbarkeit der Hypoglykämie durch Beschreibung der Dauer und des Minimalglukosewerts durch CGM ist seitens der DDG belegt. Allerdings wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass im Gegensatz zum HbA1c die prognostische Relevanz dieser Parameter aufgrund nicht vorhandener Endpunktstudien zum aktuellen Zeitpunkt nicht beurteilt werden kann.

Demgegenüber unterstützt die vorliegende Evidenz die empfundene größere diabetesspezifische Lebensqualität aus Patientensicht – durch die reduzierte Variabilität der Glukosewerte und zusätzliche subjektive Sicherheit hinsichtlich von Unterzuckerungen, die bei vielen Betroffenen mit einem besseren Allgemeinbefinden und gesteigerter Leistungsfähigkeit mit Auswirkungen auf viele Lebensbereiche assoziiert ist (siehe Abb. 2).

Abb. 2: Die Konsequenzen erhöhter glykämischer Variabilität bei T1D beeinträchtigen den Patienten sowohl körperlich wie auch mental.

Beurteilung der Time in Range

Zur Beurteilung der CGM-Ergebnisse definierten Bergenstal et al. einen Bereich von 70 bis 180 mg/dl (3,9 bis 10,0 mmol/l) als Zielkorridor, dessen Überschreiten mit steigendem Risiko für Hyperglykämien und damit auch für eine diabetische Ketoazidose bzw. dessen Unterschreiten mit einem erhöhten Risiko für Hypoglykämien verbunden ist.

Die relative Zeit innerhalb dieses Zielkorridors (oder hilfsweise auch die Stunden pro Tag) wurde in diesem Kontext als Time in Range (TIR) definiert. Je niedriger die TIR, desto höher die Glukosevariabilität und desto höher die Gefahr von hypo- und hyperglykämischen Komplikationen. Eine Reihe von Studien zeigt darüber hinaus (nicht ohne Ausnahme) einen Zusammenhang zwischen einer erhöhten Glukosevariabilität (bzw. niedriger TIR) und diabetesassoziierten Komplikationen wie Retinopathie, Mikroalbuminurie und Neuropathien.

TIR und HbA1c

Während das HbA1c den Mittelwert der Blutzuckerkontrolle über lange Zeiträume (Wochen bis Monate) reflektiert, spiegelt die TIR vor allem das Ausmaß einer möglichen Glukosevariabilität über einen oder mehrere Tage wider. Sowohl hohe als auch niedrige HbA1c-Werte können damit im Prinzip mit einer hohen als auch geringen Glukosevariabilität einhergehen. In der Beurteilung der Einstellungsqualität sollten daher der HbA1c und die Glukosevariabilität, z. B. in Form der TIR, herangezogen werden.

In Zusammenhang mit dem "Advanced Technologies and Treatments for Diabetes (ATTD) Congress" wurde eine Expertengruppe zusammengerufen, die zur Bedeutung eines kontinuierlichen Glukosemonitorings Stellung bezogen hat. Dabei wird der "Zielbereich" bzw. der "therapeutic range" von der Expertengruppe identisch wie bei Bergenstal et al. als Glukosewerte von 70 bis 180 mg/dl (3,9 bis 10,0 mmol/l) definiert.

Darauf aufbauend wird dann von der "Zeit im Zielbereich" (Time in Range) und einer "Zeit außerhalb des Zielbereichs" (Time out of Range) gesprochen, die Zeiten von Hypo- und Hyperglykämien gleichzusetzen ist. Sowohl die TIR als Kurzzeitmarker als auch das HbA1c als Langzeitmarker der Glukosekontrolle sollten nach Meinung der Experten in der Patientenakte Erwähnung finden.

Die TIR sollte als Anteil der Glukosebestimmung im Zielbereich (in Prozent) oder als Stunden bzw. Minuten pro Tag (24 h) angegeben werden. Für Glukosewerte im Bereich einer Hypoglykämie wird man vor allem "Minuten pro Tag" verwenden.

  • Als "Zielbereich" für die TIR wird 70 bis 180 mg/dl (oder 3,9 bis 10,0 mmol/l) definiert.
  • Hypoglykämie: Werte < 54 mg/dl (< 3,0 mmol/l) werden als ernste Hypoglykämie (Level 2), Werte zwischen 54 und 70 mg/dl (3,0 bis 3,9 mmol/l) als relevante Hypoglykämie (Level 1) eingestuft.
  • Hyperglykämie: Werte > 250 mg/dl (>13,9 mmol/l) werden als ernste Hyperglykämie (Level 2), Werte zwischen 181 und 250 mg/dl (10,1 bis 13,9 mmol/l) als relevante Hyperglykämie (Level 1) definiert. Im Fall schwerer Hyperglykämien sollten unter bestimmten Voraussetzungen zusätzlich Ketonkörper im Blut oder im Urin bestimmt werden, um eine drohende Ketoazidose rechtzeitig zu erkennen.In Analogie zur Bewertung der Blutdruckeinstellung mit systolischem und diastolischem Blutdruck kann dieser Parameter durch zwei Werte ausgedrückt werden – die prozentuale Zeit im Zielbereich 70 bis 180 mg/dl (3,9 bis 10,0 mmol/l) in Relation zur Zeit im hypoglykämischen Bereich ("glucose pressure") (Abb. 3). Individuelle Zielwerte näher am physiologischen Normalbereich könnten in Abhängigkeit von Alter, Begleiterkrankungen oder der Compliance des Patienten definiert werden. Zusätzlich wird die Berechnung der Glukosevariabilität, deren zeitliche Dimension und die Amplitude der Ausschläge als relevante Zielgröße erachtet. Dabei wird der Variationskoeffizient gegenüber der Standardabweichung bevorzugt, da er von der mittleren Glukosekonzentration unabhängig ist. Ein Variationskoeffizient < 36 Prozent wird als stabile Glukose betrachtet und Koeffizienten ≥ 36 Prozent als instabil, da dieser Variationskoeffizient unabhängig von der Durchschnittsglukose mit einem erhöhten Risiko für Hypoglykämien einhergeht.

Abb. 3: Prozentuale TIR 70 – 180 mg/dl (3,9 – 10,0 mmol/l) in Relation zur TIR < 70 mg/dl (< 3,9 mmol) erlaubt eine handlungsrelevante Beurteilung der Stoffwechseleinstellung trotz gleichem HbA1c.

Als nächtliche Glukosekontrolle wird der Zeitraum zwischen Mitternacht und 6 Uhr am Morgen definiert. Für klinische Studien wird empfohlen, TIR und Variationskoeffizienten getrennt für die Nacht (0 bis 6 Uhr morgens), den Tag (6 Uhr morgens bis 0 Uhr) und über 24 Stunden auszuweisen.

Perspektive

Aus unserer Sicht ist eine Etablierung der TIR als zusätzlicher Marker für eine optimale Glukosekontrolle neben dem bereits etablierten HbA1c zu begrüßen. Über die Informationen des HbA1c hinaus gibt die TIR Aufschluss über das Ausmaß von Glukosestabilität und -variabilität, ist ohne aufwendige Labordiagnostik jederzeit für Arzt und Patient verfügbar und wird nicht durch externe und glukoseunabhängige Faktoren beeinflusst.

Mit dem Vorliegen der Empfehlungen der ATTD-Expertengruppe stehen darüber hinaus nun Vorschläge zur Standardisierung der TIR-Messparameter zur Verfügung, die eine breite Verwendung und Vergleichbarkeit erst möglich machen. Wir gehen davon aus, dass sich die TIR neben dem HbA1c als valider Parameter für die Glukoseeinstellung etablieren wird.

Es ist darüber hinaus zu erwarten, dass sich die TIR auch als Bestandteil kombinierter Endpunkte in klinischen Studien etablieren wird, wie z. B. in Kombination mit dem Auftreten von Hypoglykämien oder explizit als "Zeit außerhalb des Zielbereichs" (Time out of Range), die vor allem Zeiten von Hypo- und Hyperglykämien abbildet (Zeit < 70 mg/dl + Zeit > 180 mg/dl) oder Zeiten in schwerer Hypo- und Hyperglykämie (Zeit < 54 mg/dl + Zeit > 250 mg/dl).

Schwerpunkt Glukosemanagement


Autoren: Prof. Dr. Thomas Danne, Prof. Dr. Olga Kordonouri, Dr. Torben Biester, Dr. Thorsten Siegmund, Dr. Jens Kröger, Dr. Peter Bramlage, Prof. Dr. Thomas Haak
Kontakt: Redaktion Diabetes-Forum
Tel.: 06131/9607035

Erschienen in: Diabetes-Forum, 2019; 18 (6) Seite 22-25