Kaum ist die Manifestationsschulung bei einem Grundschüler mit Typ-1-Diabetes (T1D) Vergangenheit, ist das Kind nicht nur körperlich herangewachsen, sondern beherrscht auch die neueste Diabetestechnologie souverän – schon stellt sich die Frage, wo es eine qualifizierte Diabetesbetreuung nach der Kinderklinik gibt und wie ein Wechsel vorbereitet wird.
Der gesetzlich mit dem 18. Geburtstag geforderte Wechsel des Behandlungsteams findet in einem Lebensabschnitt statt, der bei weitem nicht als ruhig und geordnet zu beschreiben ist. Jugendliche beschäftigt in dieser Zeit das Finden der eigenen Identität und die Ablösen vom Elternhaus sicher mehr als die Sorge um den Diabetes. Dank guter Schulungen und neuen Diabetestechnologien haben junge Menschen mit T1D heute gute Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben mit vielen positiven Perspektiven. Trotz aller Fortschritte geht es für sie aber noch immer auch darum, den Diabetes jeden Tag wieder zu akzeptieren, sich zur Therapie zu motivieren und dabei zunehmend selbst Verantwortung zu übernehmen.
Obwohl es der Mehrheit der jungen Menschen mit T1D heute gelingt, kontinuierlich ein HbA1c nahe oder sogar im Zielbereich zu erreichen, gibt es auch einen beträchtlichen Teil, dem es schwerfällt, die Anforderungen des Diabetes mit ihrem Leben zu vereinbaren (1).
Schwankende und unkontrollierbar erscheinende Glukosewerte gerade in der Pubertät führen schnell zu Überforderung, Frustration und Selbstzweifeln. Etwa 30% der Jugendlichen mit Diabetes berichten entsprechend über Symptome von Depressionen, Angst oder anderen psychischen Belastungen (2).
Schrittweise Verantwortungsübernahme
Während der Kindheit liegt die Therapieverantwortung bei den Eltern. Ältere Kinder können schon einbezogen werden, und Jugendliche sollten schrittweise lernen, für sich selbst zu sorgen. In der Adoleszenz sollten sie lernen, allein mit dem Behandlungsteam zu sprechen. Damit trainieren sie auch, sich im Gesundheitssystem zu behaupten. Zudem können in Abwesenheit der Eltern sensible Themen besprochen werden wie Sexualität, Suchtmittelkonsum und Therapiemüdigkeit. Später sollten dann auch Aufgaben wie die eigenständige Vereinbarung von Terminen und das rechtzeitige Beschaffen von Insulin und Verbrauchsmaterial dazukommen. Parallel lernen Eltern, in ihre neue Rolle als Berater hineinzuwachsen und ihren "Kindern" ein eigenständiges Leben zuzutrauen.
Übergang in die Erwachsenenmedizin
Mit dem 18. Geburtstag, in Ausnahmen etwas später, findet der Übergang in Versorgungseinrichtungen der Erwachsenenmedizin statt, die sogenannte Transition. Dem strukturierten Übergang stehen vielfältige Barrieren entgegen, sodass es in dieser ohnehin kritischen Lebensphase nicht selten zu einer geringeren Therapieadhärenz bis hin zu einem Abbruch der spezialisierten Versorgung kommt (3). Dies ist gerade beim Typ-1-Diabetes mit seinen raschen technologischen Entwicklungen äußerst problematisch. Die DPV-Daten belegen, dass der durchschnittliche HbA1c-Wert im Jahr nach dem Transfer signifikant steigt und sich die Raten der Ketoazidosen sowie schweren Hypoglykämien verdoppeln (4).
Viele Fachleute und auch Leitlinien sind sich darin einig (5), dass der Übergang zwischen den Versorgungseinrichtungen strukturiert und geplant erfolgen sollte, um gesundheitliche Risiken zu vermeiden. Trotz der gewünschten Standardisierung müssen dabei die jeweiligen regionalen Gegebenheiten und die individuelle Situation des jungen Patienten berücksichtigt werden: Sind die Stoffwechselwerte stabil? Ist er in der Lage, sich weitgehend selbständig um seine Therapie zu kümmern? Traut er sich, in der Sprechstunde Fragen zu stellen? Fühlt er sich noch wohl in der Pädiatrie? etc. Die Transitionskompetenz und -bereitschaft sollten für die Planung des Transfers deshalb maßgeblicher sein als das Alter.
Elemente einer erfolgreichen Transition
Bislang liegen wenig qualifizierte Studien zur Effektivität von Transitionsleistungen vor (6,7). Unter Leitung der Gesellschaft für Transitionsmedizin (GfTM) wurde eine S3-Leitlinie zur Transition publiziert (8). Die Abbildung zeigt das Zusammenspiel verschiedener dort empfohlener Transitionsleistungen. Der Kernprozess besteht darin, zunächst die Transitionskompetenz zu erfassen. Darauf baut eine Beratung zur Transition auf, mit anschließender strukturierter Epikrise und einem ausführlichen Aufnahmegespräch beim Weiterbehandler.
Abbildung: Elemente des Transitionsprozesses von chronisch kranken Jugendlichen von pädiatrischen zu erwachsenenorientierten Behandlungseinrichtungen.
Transitionsgespräche
Mit ausreichend zeitlichem Vorlauf vor dem Wechsel soll die ‚Transition readiness‘ des Jugendlichen überprüft werden. Gemeinsam mit ihm und ggf. seinen Eltern wird überlegt, wie der Wechsel vonstattengehen soll (u.a. Zeitpunkt, Weiterbehandler, Transitionshilfen) und was bis dahin noch erforderlich ist (z.B. Ausgleich von Wissens- und Fertigkeitsdefiziten). Im optimalen Fall werden die beschlossenen Maßnahmen in einem schriftlichen Transitionsplan definiert und terminiert. Zur Vereinfachung der Gespräche existieren standardisierte Checklisten, Fragebögen und Informationsmaterialen (anzufragen bei der GfTM; www.transitionsmedizin.net). Ein ebenso ausführliches Gespräch sollte dann beim übernehmenden Arzt erfolgen, bei dem die Abläufe in der neuen Praxis erklärt und gemeinsam die Ziele für die weitere Behandlung festgelegt werden.
Transitionsprogramme und -hilfen in Deutschland
Mit Hilfe des Behandlungs- und Schulungsprogramms der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie können krankheitsrelevantes Wissen und Fertigkeiten der Jugendlichen vertieft werden (9). Fallbeispiele aus dem Alltag von Jugendlichen mit Diabetes garantieren die zielgruppengerechte Ansprache.
Der ModuS-Transitionsworkshop "Fit für den Wechsel" (10) beschäftigt sich als Gruppenschulung mit praktischen und sozialrechtlichen Themen wie Übernahme der Therapieverantwortung, Arztwechsel und Krankenkassenleistungen. In einem parallelen Workshop werden die Eltern für ihre neue Aufgabe als Berater gestärkt. Er wird ergänzt durch die Website www.between-kompas.de für Jugendliche und www.between-elterncoach.de für Eltern.
Das Berliner Transitionsprogramm (BTP) (11) bietet einen Fahrplan für die Transition, einen sogenannten integrierten Versorgungspfad, der eine geregelte und von vielen Kostenträgern finanzierte Transition strukturiert. Der Versorgungspfad umfasst Transitionsgespräche, gemeinsame Sprechstunden/ Fallkonferenzen sowie Epikrise. Ein Fallmanagement durch speziell qualifizierte Mitarbeiter steuert den Transitionsprozess über einen Zeitraum von zwei Jahren. Es sichert den Informationsfluss, koordiniert Termine und dient als Ansprechpartner für alle Beteiligten. Die Kontakte zu den Patienten und ihren Eltern finden über Briefkontakte und elektronische Medien statt (E-Mail, Telefon, App).
Neue Konzepte
In drei Innovationsfonds-Projekten wurden verschiedene Maßnahmen zur Unterstützung der Transition von chronisch kranken Jugendlichen erprobt (s. https://innovationsfonds.g-ba.de/).
AOKTrio (Konsortialführung AOK Niedersachsen):
verfolgte einen niederschwelligen Ansatz, bei dem sich Jugendliche unterstützt durch ein Online-Coaching selbstbestimmt mit dem anstehenden Arztwechsel auseinandersetzen und ihre Gesundheitskompetenz erweitern konnten. Der Prozess umfasste zusätzlich Transitionsgespräche mit dem Pädiater und später dem übernehmenden Diabetologen, eine schriftliche Epikrise und eine gemeinsame Fallbesprechung bei Bedarf.
TransFIT (Konsortialführung Techniker Krankenkasse):
hatte einen Fallmanagement-Ansatz zur Stärkung der Selbständigkeit der jungen Patienten. Ein ausführliches Assessment trug initial dazu bei, Versorgungs- und Unterstützungsbedarfe der Jugendlichen zu erkennen. Daraus wurden Empfehlungen für entsprechende Angebote abgeleitet, wie z.B. Schulung oder Transitionsbegleitung. Ein persönlicher Fallmanager begleitete dann den Jugendlichen für 6-12 Monate via App, Telefon oder Videochat.
TRANSLATE NAMSE (Konsortialführung TRANSLATE NAMSE-Konsortium):
erprobte einen strukturierten Versorgungspfad für Jugendliche mit seltenen Erkrankungen. Er sollte den Informations- und Kompetenztransfer vom Pädiater zum Patienten sowie zur neuen Versorgungseinrichtung sicherstellen. Dazu wurden Fragebogen zum Beratungsbedarf, darauf basierende Einzelschulungen durch den Pädiater, eine Epikrise sowie Übergangssprechstunden mit Vertretern beider Versorgungseinrichtungen eingesetzt.
Diese verschiedenen krankheitsübergreifenden Ansätze bieten eine gute Grundlage, um geeignete Transitionsangebote für die eigene Einrichtung oder Praxis zu entwickeln.
Fazit
Obwohl Fachgesellschaften schon lange eine Standardisierung und angemessene Finanzierung von Transitionsleistungen fordern, mangelt es vielerorts noch an den strukturellen und personellen Voraussetzungen. Erfreulicherweise gibt es aber inzwischen erfolgreiche und von etlichen Kostenträgern finanzierte Transitionsmodelle, die es lohnen in der Beratung erprobt zu werden.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2023; 35 (11) Seite 18-20