"Rundum da sein für die verschiedensten Themen und individuell reagieren", so fasst Karen Kreutz-Dombrofski prägnant ihren Berufsalltag zusammen. Sie gehört einer in Deutschland noch raren, aber dringend benötigten Berufsgruppe an; denn sie ist eine sogenannte Schulgesundheitsfachkraft.

Die gelernte Kinderkrankenschwester mit jahrzehntelanger Berufserfahrung betreut seit fünf Jahren rund 1.200 Schüler:innen an einer integrierten Gesamtschule in Hessen mit unterschiedlichen Bedarfen. Ob Akutversorgung, die Behandlung von "Bauchschmerzen" vor einer Klassenarbeit oder die Unterstützung von chronisch erkrankten Kindern, der Arbeitsalltag einer Schulgesundheitsfachkraft ist vielfältig. "Das ganze System Schule hat sich beruhigt, weil Lehrkräfte nun sagen können, bei uns gibt es eine Person mit medizinischer Expertise, bei der ich in dringenden Fällen Rat holen kann und Schüler:innen eine Anlaufstelle haben", erklärt Kreutz-Drombrofski.

Aufgaben der Schulgesundheitspflege

Das Aufgabenspektrum von Pflegefachpersonal an Schulen reicht von der Akutversorgung bei physischen Beschwerden und Verletzungen über Gesundheitsmonitoring und Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention bis hin zur Sensibilisierung für psychische Erkrankung durch unabhängige Aufklärung und Information.

Schulgesundheitspflege wirkt damit als niedrigschwelliges Angebot und Schulgesundheitsfachkräfte vermitteln zwischen den verschiedenen Akteuren. Konkret heißt das, dass eine Schulgesundheitsfachkraft nicht nur Schüler:innen bedarfsgerecht versorgt, sondern auch eine kompetente Ansprechpartner:in für Lehrkräfte und Schulleitung ist und bis in die Elternhäuser wirkt.

Dass alle Beteiligten am Ökosystem Schule von einer Pflegefachperson vor Ort profitieren, hat nicht zuletzt die SARS-COV2-Pandemie in den vergangenen Jahren anschaulich gemacht. In dieser Zeit kam als zusätzliche Aufgabe für eine Schulgesundheitsfachkraft wie Karen Kreutz-Drombofski hinzu, auf die Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln zu achten, zur Pandemie zu informieren, Fehlinformationen entgegenzuwirken und Schüler:innen, Lehrpersonal und Eltern gleichermaßen Ängste zu nehmen und Mut zu machen.

Mütter Courage

In Deutschland hat erkrankt derzeit jedes 500. Kind an Diabetes Typ 1. Das Selbstmanagement dieser Erkrankung fordert Betroffenen viel ab; Kinder, insbesondere im Grundschalter, sind oft überfordert, wenn sie ihre Ernährung, körperliche Bewegung, belastende emotionale Situationen und die Insulindosierung aufeinander abstimmen müssen.

Die jüngste Entwicklung in der Diabetestechnologie, die sogenannten AID-Systeme, die kombiniert aus Insulinpumpe, Sensor zur kontinuierlichen Gewebeglukosemessung und einem Algorithmus automatisch Insulin abgeben, hat sicherlich einen immensen Mehrwert für Menschen mit Diabetes Typ 1 gebracht und vor allem die Zeiträume verlängert, in denen die Zielwerte eingehalten werden können. Nicht alle dieser Systeme sind jedoch für jedes Alter, d.h. insbesondere für Kinder, zugelassen.

In der Regel müssen die Eltern kompensieren und ihre chronisch erkrankten Kinder auch in der Schule betreuen. Nicht selten reduzieren Eltern deshalb ihre Berufstätigkeit oder geben ihre Berufstätigkeit sogar gänzlich auf. Meist sind es die Mütter. Die Diagnose Diabetes Typ 1 bringt somit nicht nur emotionale und psychische Belastungen, sondern auch finanzielle Folgen für die gesamte Familie und eine Benachteiligung von Frauen mit sich, wenn adäquate Unterstützungsmodelle fehlen.

Wirkung von Schulgesundheitspflege
  • Stärkung des Gesundheitsbewusstseins und der Gesundheitskompetenz von Schüler:innen
  • Reduktion von Fehlzeiten, da Kinder und Jugendlichen nach einem Besuch im Raum der Schulgesundheitsfachkraft wieder in den Unterricht zurückkehren
  • Schulgesundheitskräfte entwickeln Projekte zur Gesundheitsförderung und Prävention, z.B. zu Suchtmittel- und Medienkonsum
  • Verbesserte Teilhabe von chronisch erkrankten Kindern am Bildungsprozess
  • Entlastung der Lehrkräfte, damit sie ihrem Bildungsauftrag nachgehen können
  • Emotionale und finanzielle Entlastung der Eltern
  • Kostenreduktion an verschiedenen Stellen der Solidargemeinschaft

Nachzügler Deutschland

Ende des vorherigen Jahrhunderts definierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der Jakarta-Erklärung (1997) öffentliche Schulen als bedeutsames Setting für Gesundheitsförderung und Gesundheitsedukation. Erst zwanzig Jahre später zieht Deutschland mit dem Präventionsgesetz von 2015 nach: Schule als zu schützende Lebenswelt und Ansatzpunkt für Prävention und Gesundheitsförderung.

Zu den potentiell gesundheitsfördernden Maßnahmen gehört auch das Konzept der Schulgesundheitspflege. Während beispielsweise in den USA oder Skandinavien Pflegefachpersonal an Schulen (auf English schlicht "school nurse" genannt) längst etabliert ist, gab es diese in Deutschland lange Zeit nur vereinzelt an internationalen oder privaten Schulen.

Erst in den letzten Jahren werden die Forderungen nach einer flächendeckenden Einführung von Schulgesundheitskräften lauter und ventilieren einige Bundesländer deren Einführung. Andere sind bereits in der Pilotierung. So hat Hamburg ein Projekt in diesem Jahr mit 15 SGFKs an 29 Schulen, insbesondere in sozial benachteiligten Stadtteilen, gestartet mit dem Ziel mit dem Ziel, die Gesundheitskompetenz sowohl der Schüler:innen als auch Lehrenden zu stärken und den Zugang zum Gesundheitssystem zu erleichtern.

Vorreitermodell

Auch Karen Kreutz-Dombrofski hat ihren Job einem länderübergreifenden Modellprojekt in Brandenburg und Hessen zu verdanken, das derzeit als Vorreiter in Deutschland gehandelt wird. Initiiert wurde es vom AWO Bezirksverband Potsdam e.V. und gemeinsam mit den jeweils zuständigen Länderministerien und der Gesetzlichen Krankenkasse AOK umgesetzt. Motivation war, u.a. der Kinderarmut entgegenzuwirken und an öffentlichen Schulen die Inklusion und Chancengleichheit in Bildung und Gesundheit zu fördern.

Im Zeitraum 2016 bis Dezember 2021 wurde in Brandenburg der Einsatz von 18 Schulgesundheitsfachkräften – in Hessen zehn –- erprobt und evaluiert. Während in Hessen die Schulgesundheitsfachkräfte verstetigt wurden, ist in Brandenburg nach dem Auslaufen des Modellprojektes Ende 2021 eine Weiterfinanzierung durch Landesmittel nicht gelungen. Gleichwohl haben einige Kommunen der Modellregionen zwischenfinanziert.

Wirksamkeit

Internationale Studien, aber auch die Evaluation des Modellprojektes belegen die Wirksamkeit von Schulgesundheitsfachkräften, die von der Inklusion chronisch erkrankter Kinder über Stärkung des Gesundheitsbewusstseins und der Gesundheitskompetenz von Schüler:innen bis hin zur Entlastung von Lehrkräften und Eltern reicht (s. Kasten).

Von der Sinnfälligkeit und Wirksamkeit der Schulgesundheitspflege sind eine Reihe von Akteuren im System Schule und im Gesundheitswesen schon lange überzeugt. So forderte die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) nicht zum ersten Mal auf einer Pressekonferenz im September 2022 bundesweit flächendeckende Maßnahmen zur Inklusion und Integration von Kindern mit der Diagnose Diabetes Typ 1 in Bildungseinrichtungen. Die DDG hatte bereits im Jahr zuvor im Schulterschluss mit zahlreichen anderen Fachgesellschaften ein Positionspapier zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen in der Schule am Beispiel des Diabetes Typ 1 verfasst und breit gestreut.

"Wir haben die Sozial- und Gesundheitsministerien, die Kultusminister der Länder, die Gesundheitsausschüsse der Parlamente angeschrieben und intensive Gespräche mit einzelnen Abgeordneten geführt, um das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Schulgesundheitspflege zu schaffen", erklärt Prof. Dr. med. Andreas Neu, derzeitiger Präsident der DDG. "Jetzt muss gehandelt werden. Wir fordern die flächendeckende Einführung von Schulgesundheitsfachkräften in einem ersten Schritt für Kinder im Grundschulalter", betont Neu.

Förderbedarf steigt

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) unterstützt die Forderung der DDG; denn der Bedarf an Förderung wächst. Nahezu ein Viertel der Kinder braucht eine weitergehende medizinische oder therapeutische Unterstützung. Chronisch erkrankten Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen, ist laut VBE weder Aufgabe noch Verantwortung von Lehrkräften. Sie können dem gar nicht gerecht werden, da sie dafür nicht ausgebildet sind. "Die Politik ist in der Pflicht, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen und ein professionelles Schulgesundheitsmanagement mit qualifizierten Schulgesundheitsfachkräften zu etablieren und zu finanzieren", unterstreicht Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des VBE, auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit der DDG.

Chancengleichheit

Auch der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e.V. (VDBD) setzt sich für Maßnahmen und proaktive Angebote zur Gesundheitsförderung und Prävention ein, damit betroffene Familien entlastet werden. Ohne Gesundheitsfachkraft an der Schule stehen Eltern in der Holpflicht. Sie müssen sich erkundigen, ob Lehrpersonal zu Diabetes mellitus geschult ist. Ist das nicht der Fall, die Schule jedoch an Weiterbildung interessiert, kann man sich von der behandelnden Diabetespraxis beraten lassen.

"Mit Schulgesundheitsfachkräften wären Kinder mit chronischen Erkrankungen nicht mehr davon abhängig, Eltern zu haben, die Zeit und Ressourcen für bessere Bildungsaussichten aufbringen können, oder auf williges Lehrpersonal angewiesen, das sich auf die herausfordernde Situation einlassen kann und möchte", so VDBD-Vorsitzende Dr. Nicola Haller.

(K)eine Frage des Geldes

Während Länder und Kommunen sich gegenseitig den Ball der Finanzierung zu spielen und gern auf fehlende finanzielle Ressourcen verweisen, bescheinigen internationale Studien und auch das Modellprojekt in Brandenburg und Hessen, dass der Einsatz von Schulgesundheitsfachkräften eigentlich refinanziert wird durch Kostenreduktion an verschiedenen Stellen: 1. Vermeidung direkter Kosten im Gesundheitswesen, wenn Kinder und Jugendliche frühzeitig durch verbessertes Gesundheitsbewusstsein ihr Risiko für spätere Erkrankungen senken; 2. Entlastung der Lehrer:innen von fachfremden Aufgaben und 3. volkswirtschaftlich, wenn Eltern ihren Arbeitsplatz nicht vorzeitig verlassen müssen, um ihr chronisch krankes Kind in der Schule zu versorgen.

Oder um es mit Schulgesundheitsfachkraft Karen Kreutz-Dombrofski zu sagen: "Die Investition lohnt sich; es geht um Lernerfolg der Kinder durch verbesserte Anwesenheit, um eine Entlastung der Eltern und um die Teilhabe von chronisch kranken Kindern. Das ist gut ausgegebenes Geld für die Zukunft! Wenn pro Monat drei Krankenwagen weniger gerufen werden müssen, ist mein Gehalt fast schon bezahlt."


Autor:
Dr. Gottlobe Fabisch
Geschäftsführerin des Verbands der
Diabetes-Beratungs- und Schulungs-
berufe in Deutschland (VDBD)
Habersaathstr. 31, 10115 Berlin
Tel.: 030/847122490
E-Mail: info@vdbd.de
Website: www.vdbd.de


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2022; 34 (10) Seite 6-8