Das Projekt PräVaNet soll zu einer verbesserten Versorgungsqualität bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und so zu einer Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse und diabetesassoziierter Folgeerkrankungen beitragen. Projektleiter Univ.-Prof. Dr. med. David M. Leistner stellt PräVaNet vor.

Der Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) fördert seit Juli 2021 das Projekt PräVaNet: Strukturiertes, intersektoral verNetztes, multiprofessionelles, digitalisiertes Programm zur Optimierung der kardiovaskulären Prävention. Ziel des Projekts ist, kardiovaskuläre Hochrisikopatienten mit Diabetes mellitus Typ 2 durch eine digitale Vernetzung vor kardiovaskulären Komplikationen besser zu schützen.

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist in den letzten vier Jahren deutlich vorangeschritten. Dennoch werden ihre Potenziale nicht ausreichend ausgeschöpft, um chronisch kranke Menschen effektiver und mit höherer Behandlungsqualität zu versorgen. Hier setzt das neue Innovationsfondsprojekt PräVaNet an, welches in Berlin und Brandenburg unter der Konsortialführung von Professor Dr. David M. Leistner und Professor Dr. Ulf Landmesser von der Charité – Universitätsmedizin Berlin umgesetzt wird.

Das Projekt wird seit 1. Juli 2021 bis zum 30. Juni 2025 gefördert und ist die erste randomisierte Studie, die eHealth-Komponenten zum kardiovaskulären Risikofaktorenmanagement in ein neuartiges interdisziplinäres Versorgungskonzept ("ePrevention") einsetzt. Als Konsortialpartner unterstützen die AOK Nordost und die KV Berlin sowie die evaluierenden Partner aQua (Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen), WIG2 (Wissenschaftliches Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung) und die Deutsche Stiftung für chronisch Kranke (DScK) das Projekt.

Risikofaktoreneinstellung bisher unbefriedigend

Bis zum Jahr 2040 werden in Deutschland 4,6 Mio. Patienten an Diabetes mellitus Typ 2 erkranken (Anstieg um zwei Drittel) [Jacobs 2019]. Zu den schwerwiegenden Krankheitsfolgen des Diabetes mellitus Typ 2 zählen neben einer hohen Sterblichkeit und dem Diabetischen Fußsyndrom (jährlich ca. 50.000 Amputationen) vor allem kardiovaskuläre Erkrankungen [Deutsches Ärzteblatt 2016, Jacobs 2017, Lawall 2019]. Der einzige evidenzbasierte präventive Ansatz dabei ist – bis dato – eine konsequente (leitliniengerechte) medikamentöse Einstellung aller kardiovaskulären Risikofaktoren, die bei Typ-2-Diabetikern häufig kumuliert auftreten und dadurch das Risiko potenzieren.

Trotz oder gerade wegen einer hohen Subspezialisierung in der vaskulären Medizin im deutschen Gesundheitssystem werden die Zielwerte der Risikofaktoreneinstellung im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern leider nur unzureichend erreicht [Wilkins 2017]. Ein Großteil dieser Hochrisikopatienten entwickelt in der Folge kardiovaskuläre Ereignisse, die Krankenhausaufenthalte und schwerwiegende Folgeerkrankungen verursachen (z. B. Herzinsuffizienz, Myokardinfarkt, Schlaganfall) und häufig einen frühen Tod bedingen [Deutsche Diabetes Gesellschaft 2019, Tschöpe 2019]. Eine leitlinien- und bedarfsgerechte Therapie kardiovaskulärer Risikofaktoren ist daher für Typ-2-Diabetiker unerlässlich.

Inzidentes Vorhofflimmern ist die häufigste Arrhythmie bei älteren herzkranken Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2; das Schlaganfallrisiko dieser Patienten ist fünffach und die Mortalität durch plötzlichen Herztod dreifach erhöht [Tschöpe 2019]. Diese Entwicklungen sind neben einer unzureichenden kardiovaskulären Risikofaktoreinstellung auf fehlende Präventionsangebote im mittleren Alter und eine mangelnde frühzeitige Erkennung von Vorboten kardiovaskulärer Erkrankungen bzw. eine darauf aufbauende Behandlung zurückzuführen.

Mängel in der Versorgungsstruktur begünstigen Folgeerkrankungen

Zudem sind sich Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 im mittleren und höheren Alter der Auswirkungen ihres Lebensstils häufig nicht bewusst und schlecht geschult. Die bisherige Versorgungsstruktur bildet den Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus Typ 2 und kardiovaskulären Folgeerkrankungen nur unzureichend ab. Dadurch entstehen Versorgungsdefizite, die spätestens im höheren Alter zu Zustandsverschlechterungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und hohen systemischen Kosten führen.

Zwei Drittel der Kosten für Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 entfallen auf die Behandlung diabetischer Folgeerkrankungen, darunter Nephropathie, chronische Herzinsuffizienz, Myokardinfarkt oder ischämische Herzerkrankung [Tschöpe 2019]. Kardiale Komplikationen führen bei den Patienten häufig zu einem schwerwiegenden Krankheitsverlauf mit langfristigen Folgen wie Arbeitsunfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit.

Personalisierte Prävention und Früherkennung durch "ePrevention"

PräVaNet verfolgt das Ziel, die Zustandsverschlechterungen bei Patienten mit Typ-2-Diabetes zu verhindern und im Besonderen eine Früherkennung und Vermeidung kardiovaskulärer Folgeerkrankung sicherzustellen. Dies erfolgt durch eine leitlinien- und bedarfsgerechte Patientenbehandlung sowie durch die Anwendung digitaler Technologien.

PräVaNet verbindet dabei erstmals Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 mit unterschiedlichen ambulanten Facharztdisziplinen (Diabetologie, Kardiologie, Nephrologie und Lipidologie) über ein digitales Ärzte-Cockpit, das PräVaNet-Board und eine Patienten-App. Daneben werden Patienten erstmals personalisiert behandelt durch "ePrevention", einem auf digital-kompatiblen Messgeräten und Telemedizin basierenden Konzept zur effektiven, kontinuierlichen und individuell angepassten kardiovaskulären Risikofaktoreneinstellung. Unterstützt wird der Patient dabei durch eine speziell geschulte PräVaNet-Nurse, welche den Patienten durch regelmäßige Kontaktaufnahme bei allen Fragen unterstützt und das Bindeglied zwischen Arzt und Patient darstellt. Dadurch sollen die Gesundheit und die Zufriedenheit der Patienten verbessert und die Kosten für das Gesundheitssystem gesenkt werden.

Ziele von PräVaNet
  • Festlegung einer interdisziplinären Präventionsstrategie/gefäßmedizinischen Therapiestrategie durch ein ambulantes, digitales ärztliches PräVaNet-Board (Diabetologe, Kardiologe, Nephrologe, Angiologe, Hausarzt, Lipidologe)
  • "ePrevention" – ein auf engmaschiger Kontrolle der kardiovaskulären Risikofaktoren mithilfe von Sensoren, Wearables und Telemedizin basierendes digitales Präventionskonzept zur intensivierten, personalisierten kardiovaskulären Risikofaktorkontrolle
  • strukturierter Einsatz weiterer digitaler Technologien unter Nutzung "artifizieller Intelligenz" (AI) und digitaler psychologischer Motivation zur personalisierten Kontrolle individueller Risikoprofile
  • engmaschige Patientenführung durch medizinische Fachangestellte in ambulanter Schwerpunktpraxis ("PräVaNet-MFA/Nurse", Schulungscurriculum Charité), regelmäßig Patientenkontakt/-beratung zu Lebensstil, Selbstmanagement, Therapieadhärenz

Das Ärzte-Cockpit ermöglicht den Ärzten die aktive Therapiesteuerung. Über eine Patienten-App werden verschiedene medizinische Parameter erhoben und gespeichert. Die App dient der Kommunikation zwischen PräVaNet-Praxis und dem Patienten. Sie enthält einen individuellen Therapie- und Medikationsplan, die Vitalparameter-Datenbank, die Kommunikation mit der digitalen Sensordiagnostik (EKG-fähige Pulsuhr, digitales Blutzucker- und -druckmessgerät) und die elektronische Patientenakte (ePA). Die regelmäßige Dateneingabe in die App erfolgt automatisch über die digitale Sensordiagnostik. Über die App kann der Patient Feedback zum Therapieverlauf und Wohlbefinden geben.

Ein Telemedizinzentrum übernimmt die Patientenbetreuung außerhalb der Praxisöffnungszeiten und stellt einen Rufbereitschaftsdienst durch Fachärzte bereit (Alarmreaktion). Ein AI (Artifizielle Intelligenz)-basiertes Decision-Support-System gleicht Patientendaten und Therapieempfehlungen des Boards mit den gültigen Leitlinien ab und unterstützt die Ärzte so bei einer leitliniengerechten Therapieentscheidung. Gleichzeitig können so individualisiert Wechselwirkungen und Interaktionen zwischen kardiovaskulärer Therapie und anderen Komorbiditäten erkannt und vermieden werden, was gerade bei älteren Patienten von entscheidender Bedeutung ist. Die digitale Versorgungsstruktur verbessert die patientenindividuelle Krankheitseinsicht, verstärkt das Selbstmanagement und führt zur besseren Therapieempfehlung.

Neue Versorgungsform

Zielgruppe der neuen Versorgungsform sind kardiovaskuläre Hochrisikopatienten mit Diabetes mellitus Typ 2. Es sind Patienten, die bereits im Disease-Management-Programm (DMP) Diabetes Typ 2 behandelt oder zu Beginn der neuen Versorgungsform hierfür eingeschrieben werden. Die Patienten befinden sich bereits unter einer medikamentösen Diabetestherapie und leiden zudem entweder unter einem Metabolischen Syndrom oder einer mikro-/makrovaskulären Diabetesmanifestation.

Kern der neuen Versorgungsform ist das PräVaNet-Board, in dem für die Versorgung von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 relevante niedergelassene Fachärzte gemeinsam einen Therapieplan für die Risikofaktorenkontrolle abstimmen. Die interdisziplinäre Fallbesprechung erfolgt per Videokonferenz bei Patienteneinschluss und nach der Hälfte der Interventionszeit, um etwaige Therapieanpassungen vorzunehmen.

Die ärztliche Zusammensetzung des Boards ist abhängig vom Risikoprofil des Patienten. Eine digitale Versorgungsstruktur mit Telemonitoring und Patienten-App fördert die Umsetzung der neuen Versorgungsform und ermöglicht über ein engmaschiges Monitoring der Risikofaktoren eine optimale Patientenbetreuung. Eine beim PräVaNet-Primärarzt angestellte und speziell geschulte PräVaNet-Nurse betreut die Patienten während der Interventionszeit (u. a. regelmäßiger telefonischer Routinekontakt). Insbesondere ältere Patienten dürften von der intensiven Begleitung profitieren, da sie mit den verschiedenen Risikofaktoren und sonstigen Schulungsinhalten in der Regel wenig vertraut sind.

PräVaNet wird medizinisch, gesundheitsökonomisch und prozessual evaluiert. Die Hypothesen werden in einer zweiarmigen, parallelgruppengeführten, randomisierten, kontrollierten, multizentrischen Studie untersucht. Die Prozessevaluation analysiert als prospektive Beobachtungsstudie die Abläufe in der Interventionsgruppe. Patienten werden zufällig entweder der Interventions- oder der Kontrollgruppe zugeordnet (jeweils 1.275 Patienten). Durch die Randomisierung auf Patientenebene versorgen circa 50 beteiligte diabetologische und kardiologische Praxen in Berlin und Brandenburg sowohl Patienten der Kontroll- als auch der Interventionsgruppe. Die Güte der Risikofaktoreneinstellung wird zu Beginn der Intervention sowie nach 10 und 20 Monaten erfasst.

Bessere Versorgungsqualität und Verhinderung von kardiovaskulären Folgeerkrankungen

Das Projekt soll zu einer verbesserten Versorgungsqualität bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten mit Diabetes mellitus Typ 2 beitragen. Zusätzlich soll gezeigt werden, dass es so zu einer Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse und diabetesassoziierter Folgeerkrankungen kommt. PräVaNet soll Versorgungsdefizite beheben, insbesondere die mangelnde Interaktion zwischen verschiedenen (Fach-)Arztgruppen sowie die reduzierte Behandlungssicherheit und -adhärenz der Patienten. Durch eine leitliniengerechte Therapie werden weitere positive Effekte auf die Versorgung und Lebensqualität erwartet.

Die neue Versorgungsform hat hohes Potenzial, nach der Projektlaufzeit in die Regelversorgung überführt zu werden. Sie stellt eine relevante Weiterentwicklung der sektorenübergreifenden und interdisziplinären Versorgung dar, indem sie bestehende Versorgungsdefizite systematisch behebt. Um das langfristige Umsetzungspotenzial zu erhöhen, werden Qualitätszirkel etabliert. Ein breit aufgestellter wissenschaftlicher Beirat und Fachbeirat mit einer Vielzahl von Projektpartnern aus verschiedenen Versorgungsbereichen unterstützen die Umsetzung der neuen Versorgungsform und beraten die Konsortialführung.


Literatur
Deutsche Diabetes Gesellschaft, diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe (Hrsg.): Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2020. Kirchheim, Mainz, 2019: 55-127
Deutsches Ärzteblatt: Diabetisches Fußsyndrom: Zu viele Amputationen. Dtsch Arztebl 2016; 113: A-332 / B-280 / C-280. http://https://www.aerzteblatt.de/archiv/175053/Diabetisches-Fusssyndrom-Zu-viele-Amputationen (Zugriff: 27.04.2020)
Jacobs E, Rathmann W: Epidemiologie des Diabetes in Deutschland. In: Deutsche Diabetes Gesellschaft, diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe (Hrsg.): Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2020. Kirchheim, Mainz, 2019: 9-16
Jacobs E, Hoyer A, Brinks R, Kuss O, Rathmann W: Burden of mortality attributable to diagnosed diabetes: a nationwide analysis based on claims data from 65 million people in Germany. Diabetes Care 2017; 40: 1703-1709
Lawall H, Lobmann R: Diabetischer Fuß – die Versorgung auch in der Zukunft sichern. In: Deutsche Diabetes Gesellschaft, diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe (Hrsg.): Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2020. Kirchheim, Mainz, 2019: 71-75
Tschöpe D, Ringelstein EB, Motz W: Diabetes mellitus – Herzerkrankungen – Schlaganfall. In: Deutsche Diabetes Gesellschaft, diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe (Hrsg.): Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2020. Kirchheim, Mainz, 2019: 61-70
Wilkins E, Wilson L, Wickramasinghe K, Bhatnagar P, Leal J, Luengo-Fernandez R, Burns R, Rayner M, Townsend N: European cardiovascular disease statistics 2017. European Heart Network, Brussels, 2017

Autor:
Univ.-Prof. Dr. med. David M. Leistner
Leitender Arzt Interventionelle Kardiologie, Geschäftsführender Oberarzt
Leiter klinisches Studienzentrum sowie TAVI Programm
Konsortialführer PräVaNet
Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin (CBF)
Hindenburgdamm 30 , 12203 Berlin


Erschienen in: Diabetes, Stoffwechsel und Herz, 2021; 30 (6) Seite 392-396