Selbstkontrolle Verbesserung der Blutzuckereinstellung und des Empowerments bei Patienten mit Diabetes durch Selbstkontrolle des HbA1c-Werts – eine nicht interventionelle Studie.



Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in Diabetes Stoffwechsel und Herz, 2020; 29: 9 – 15.


Abkürzungen
  • BOT – basalunterstützte orale Therapie
  • COPD – chronisch-obstruktive Lungenerkrankung
  • CT – konventionelle InsulintherapieI
  • CT – intensivierte Insulintherapie
  • ISI – inkretinunterstützte Insulintherapie
  • MW – Mittelwert
  • NPH – Neutrales Protamin Hagedorn
  • SIT – supplementäre Insulintherapie
  • STABW – Standardabweichung

Für die optimale Versorgung einer chronischen Erkrankung ist der selbstverantwortliche Umgang mit der Erkrankung (Empowerment) und das Einbeziehen der Patienten in Behandlungsstrategie und Kontrolle unabdingbar. Dieses gilt auch für Diabetes mellitus [Aquino 2018, Heisler 2005]. Viele Entscheidungen, die sich auf die Erkrankung auswirken, betreffen das Alltagsleben und werden von den Patienten selbst getroffen, z. B. in Bezug auf Ernährung oder körperliche Aktivität [Hernandez-Tejada 2012, McDuffie 2001].

Auch die tägliche Kontrolle von Zielwerten, die im Einvernehmen mit den behandelnden Ärzten festgelegt werden, kann den Patienten beim Umgang mit der Erkrankung helfen, bindet sie in die Behandlung und die Auswirkungen der Erkrankung ein und führt zu individuellen Therapieempfehlungen [Cox 2016, Ebrahimi 2016]. Jeder Patient erhält in Abhängigkeit von individuell bestehenden Einflussfaktoren wie Alter, Komorbidität oder Hypoglykämieneigung seine eigenen Zielwertvorgaben für Plasmaglukose, Körpergewicht und Blutdruck [Bundesärztekammer 2014, Haak 2019, Landgraf 2019].

Bei der glykämischen Kontrolle kommt dem HbA1c-Wert zusätzlich zu den gemessenen Blutzuckerwerten eine große Bedeutung zu. Er ist ein Indiz für die Blutzuckereinstellung der vergangenen 2 bis 3 Monate [Little 2013] und anerkannter Surrogatparameter für Folgeerkrankungen. Kurzfristige Blutzuckerschwankungen oder die frühzeitige Wirksamkeit einer Therapieanpassung erfasst der HbA1c-Wert jedoch nicht. Er sollte routinemäßig etwa alle 3 Monate durch den Arzt bestimmt werden.

Mit Senkung des HbA1c-Werts in die Nähe des Normbereichs lässt sich das Risiko für mikroangio- und neuropathische Folgeerkrankungen mindern [Reichard 1993, UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group 1998]. Es konnte zudem gezeigt werden, dass die Kenntnis des HbA1c-Werts einen Einfluss auf die Medikationsadhärenz und das Selbstmanagement der Patienten hat [Doggrell 2014, Heisler 2005].

Mit dem Blutzuckermessgerät MyStar Extra® kann zusätzlich zur Bestimmung des Blutzuckers auch der HbA1c-Wert geschätzt werden. Dieser kann den Patienten eine Orientierung über die Qualität der Blutzuckereinstellung zwischen den routinemäßigen HbA1c-Messungen in der Praxis bieten [Kress 2018]. Darüber hinaus bietet das Gerät Trendanzeigen und Trendpfeile als Hilfestellung für den Patienten im täglichen Umgang mit der Erkrankung.

In dieser nicht interventionellen Beobachtungsstudie wurde der Einfluss der selbstständigen HbA1c-Messung sowie der Anzeige des HbA1c-Trends durch das Blutzuckermessgerät MyStar Extra® auf das Empowerment der Patienten unter Alltagsbedingungen untersucht. Zusätzlich sollte untersucht werden, ob das patientengesteuerte Überprüfen des HbA1c-Werts eine Verbesserung dieses Werts ergibt. Zur Bestimmung des Empowerments wurde ein 11-Punkte-Fragebogen verwendet, der auf der englischsprachigen "Diabetes Empowerment Scale" basiert [Anderson 2000, Bergis 2012].

Material und Methoden

In dieser offenen, prospektiven, multizentrischen, nicht interventionellen Beobachtungsstudie wurde die Nutzung des Blutzuckermessgeräts MyStar Extra® bei Patienten mit Diabetes mellitus über 24 Wochen unter Alltagsbedingungen in Deutschland untersucht. Vor Studienbeginn wurde die Studie von einer unabhängigen Ethikkommission begutachtet und positiv bewertet (Ethikkommission der Landesärztekammer Baden-Württemberg, F-2014-002).

Zwischen April 2014 und März 2015 wurden 2 262 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 oder 2 von 476 teilnehmenden niedergelassenen (allgemeinmedizinischen, internistischen und praktisch tätigen) Ärzten eingeschlossen. Einschlusskriterien waren ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ 1 oder 2, Fähigkeit zur Blutzuckerselbstmessung, Alter ≥ 18 Jahre, HbA1c-Wert ≤ 10,5 %, Vorliegen einer unterschriebenen Einwilligungserklärung und routinemäßige HbA1c-Bestimmung im Labor alle 3 Monate.

Mit Studienbeginn erhielten die Patienten das Blutzuckermessgerät MyStar Extra® als neues Messgerät inklusive einer Anwendungsschulung durch die Ärzte (≤ 30 min Dauer für 90 % der Patienten). Patienten konnten nicht an der Beobachtungsstudie teilnehmen, wenn mindestens eines der folgenden Ausschlusskriterien zutraf: Gestationsdiabetes, Insulinpumpentherapie, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Erkrankungen mit Einfluss auf den HbA1c-Wert (z. B. Anämien), Alkohol- oder Drogenabusus, Demenz.

Der parallel im Labor bestimmte und mit dem Blutzuckermessgerät geschätzte HbA1c-Wert wurde jeweils nach 4, 12 und 24 Wochen dokumentiert. Als weiterer Zielparameter wurde das Erfassen des allgemeinen Umgangs mit der Erkrankung (Empowerment) zur Eingangserhebung und am Ende der Studie (nach 24 Wochen) mittels Fragebogens untersucht. Hierzu wurde die Empowerment-Skala auf Grundlage der "Diabetes Empowerment Scale" von Anderson et al. verwendet [Anderson 2000, Bergis 2012]. Zu den 11 Fragen gibt es jeweils 4 Antwortmöglichkeiten, die mit 1 bis 4 Punkten bewertet wurden (1: trifft gar nicht zu, 2: trifft nicht zu, 3: trifft zu, 4: trifft sehr zu).

Je größer die Punktzahl ist, desto besser ist der Umgang mit der Erkrankung im Alltag. Die Summe aller Antworten ergibt das Empowerment, welches von 11 (alle Fragen sind mit "trifft gar nicht zu" beantwortet) bis maximal 44 (alle Fragen sind mit "trifft sehr zu" beantwortet) reichen kann.

Datenanalyse

Die Ärzte konnten zwischen direkter elektronischer oder Papierdokumentation wählen. Die statistische Analyse hatte explorativen Charakter. Es wurde nicht für multiples Testen korrigiert. Für kategorische Variablen wurden Tabellen mit Anzahl und Prozentangabe für jede Kategorie eines Parameters erstellt. Fehlende Daten wurden als Extra-Kategorie gewertet. Für kontinuierliche Variablen wurden Mittelwert, Median, Standardabweichung, Minimum und Maximum berechnet. Das 95-%-Konfidenzintervall (95 % KI) wurde, wo erforderlich, angegeben. Wenn erforderlich, wurden zusätzlich p-Werte berechnet.

Ergebnisse

Es wurden 2 262 Patienten rekrutiert, 2 173 Patienten konnten in die Analysen einbezogen werden (siehe Abb. 1). Die Mehrzahl der Patienten (79 %) hatte zuvor andere Blutzuckermessgeräte benutzt, die mittlere Patientenzufriedenheit mit dem vorherigen Messgerät lag bei einer visuellen Analogskala von 0 bis 100 bei 75 Punkten. Für 9 % war das Blutzuckermessgerät MyStar Extra® das erste Messgerät.

Abb. 1: Flowchart Patientenrekrutierung.

Die Patientencharakteristika der Patienten sind in Tabelle 1 dargestellt. Im Durchschnitt waren die Patienten 61 Jahre, die überwiegende Mehrheit (> 90 %) älter als 40 Jahre. Die Mehrzahl der eingeschlossenen Patienten war männlich (55,7 %) und hatte einen erhöhten Body-Mass-Index (Median 31,3 ± 6,3 kg/m²). Die meisten Patienten (86,5 %) hatten einen Typ-2-Diabetes, die durchschnittliche Diabetesdauer betrug 11 Jahre. Vor Studienbeginn lag der HbA1c-Wert im Mittel bei 7,6 % und der Nüchternblutzucker bei 9,1 mmol/l.

Parameter Anzahl Patienten Wert (% oder MW ± STABW)
Alter (Jahre)
18 – 40 Jahre
> 40 – 65 Jahre
> 65 Jahre
2. 163
176
1.117
870
60,8 ± 13,7
Geschlecht
Frauen
Männer
 
960
1 .209
 
44,3
55,7
Body-Mass-Index (kg/m2) 2.157 31,1 ± 6,3
Körpergewicht (kg) 2.158 91,0 ± 20,4
Diabetestyp
Typ-1-Diabetes
Typ-2-Diabetes
 
292
1 865
 
13,5
86,5
Diabetesdauer (Jahre) 1.606 11,1 ± 9,1
HbA1c-Wert zu Studienbeginn (%) 2.074 7,6 ± 1,6
Nüchternblutzucker zu Studien­beginn (mmol/l) 1.818 9,1 ± 7,5
Tab. 1: Patientencharakteristika.

Die höchsten HbA1c-Ausgangswerte wiesen jüngere Patienten zwischen 18 und 40 Jahren auf (siehe Abb. 2). Nahezu die Hälfte der Patienten (46,5 %) erhielt bei Studienbeginn eine intensivierte Insulintherapie (ICT) oder eine basalunterstützte orale Therapie (BOT) (35,0 %) (siehe Tab. 2). Am häufigsten wurden langsam wirkende Insulinanaloga verwendet (73,6 %).

Parameter Anzahl ­Patienten Wert (%)
Insulintherapie 2.113
BOT 740 35,0
BOT plus 110 5,2
SIT 80 3,8
CT 188 8,9
ICT 982 46,5
ISI 13 0,6
Insulintyp 2.166
NPH 310 14,3
langsam wirkende Insulinanaloga 1.595 73,6
Normalinsulin 371 17,1
kurz wirksames Insulinanalogon 887 41,0
Mischinsulin mit Normalinsulin 93 4,3
Mischinsulin mit kurz wirksamem Insulinanalogon 50 2,3
Anzahl an Injektionen
Mahlzeiteninsulin-Injektionen pro Tag 1.644 2,2 ± 1,8
Mischinsulin-Injektionen pro Tag 1.226 0,2 ± 0,7
Tab. 2: Insulintherapie bei Studienbeginn (Mehrfachnennungen möglich); BOT: basalunterstützte orale Therapie, SIT: supplementäre Insulintherapie, CT: konventionelle Insulintherapie, ICT: intensivierte Insulintherapie, ISI: inkretinunterstützte Insulintherapie, NPH: Neutrales Protamin Hagedorn.

Abb. 2: Änderung des HbA1c während des Beobachtungszeitraums (Median).

Die Mehrzahl der Ärzte (86,7 %) empfahl ihren Patienten sowohl den Nüchternblutzucker (86,7 %) als auch den HbA1c-Wert (85,1 %) als Zielparameter der Diabeteseinstellung (siehe Tab. 3). Nach 12 Wochen wandten noch 96 % der Patienten das Messgerät MyStar Extra® an, nach 24 Wochen noch 93 % der Patienten. Ein Drittel der Patienten, die Angaben zur Nutzung der HbA1c-Schätzfunktion machten, nutzten diese Funktion einmal pro Monat (32,6 %), 19,0 % wandten die Funktion mehrmals pro Monat an, 31 % gar nicht.

Parameter Patienten (%) empfohlene Werte (MW ± STABW)
Empfohlene Blutzuckerzielwerte
Nüchternblutzucker (mmol/l) 86,7 6,5 ± 4,78
postprandialer Blutzucker * (mmol/l) 65,1 8,4 ± 1,2
HbA1c (%) 85,1 6,6 ± 1,1
Art der empfohlenen Messung
Nüchternblutzucker 88,4
in besonderen Situationen ** 61,7
7-Punkte-Tagesprofil *** 54,5
präprandial zur Bolusberechnung 47,6
Tab. 3: Empfohlene Zielwerte und Art der Messung (Mehrfachnennungen möglich); * < 1,5 – 2 h nach Mahlzeit, ** z. B. vor dem Autofahren, bei sportlichen Aktivitäten, bei unbekanntem Essen, bei Krankheit, bei Verdacht auf Hypoglykämien, *** z. B. 1 – 2 x pro Woche, monatlich oder vor den Arztbesuchen.

In den 4 Wochen vor Start der nicht interventionellen Studie hatten 23 % der Patienten ihre basale Insulindosis angepasst. Nach 12 Wochen Beobachtungsdauer war dies bei 51,7 % der Patienten notwendig und nach 24 Wochen Studiendauer bei 41,4 % der Patienten. Das entspricht etwa einer Verdopplung der Anpassungshäufigkeit der basalen Insulindosis während der Nutzung des Messgeräts. Patienten, die während der Studie ihre Basalinsulindosis veränderten, waren signifikant jünger als Patienten, die dies nicht taten (59 vs. 63 Jahre).

Empowerment

Zum Start zeigte der Empowermentwert zwischen den Altersgruppen deutliche Unterschiede mit höheren Werten bei jüngeren Patienten (p-Wert für den Unterschied = 0,0003). Die Altersgruppe 18 bis 40 Jahre startete mit einem medianen Wert von 32, diese Patienten hatten häufiger einen Typ-1-Diabetes. Da für sie die Folgen der Erkrankung noch relevanter sind als für ältere Patienten, sind sie wahrscheinlich intensiver geschult worden und zeigen eine höhere Eigenverantwortung. In der Altersgruppe > 40 bis 65 Jahre betrug der Ausgangswert 31 und in der Altersgruppe > 65 Jahre 29,7 (Minimum – Maximum der Skala jeweils: 11 – 44). Patienten > 65 Jahre wiesen somit das niedrigste Empowerment zum Beobachtungsbeginn auf.

Lineare Regression Referenzwert Parameter Schätzer Standard­fehler p-Wert
Änderung ­Empowerment – Häufigkeit der Nutzung der HbA1c-Schätzfunktion Funktion nicht benutzt/­Benutzung nicht auswertbar täglich 1,142 0,857 0,1831
mehrmals pro Monat 1,463 0,391 0,0002
einmal pro ­Monat 1,364 0,336 < 0,0001
einmal pro ­Quartal 1,174 0,437 0,0073
Tab. 4: Änderung des Empowerments – Häufigkeit der Nutzung der HbA1c-Schätzfunktion.

Nach 24 Wochen stieg in allen Altersgruppen das Empowerment an, von 29,9 ± 6,4 Punkten auf 31,9 ± 5,0 Punkte (95 % KI 1,73 – 2,37, p < 0,0001) und war deutlicher bei Patienten, die ihre basale Insulindosis während der Studie änderten, als bei Patienten ohne Anpassung der basalen Insulindosis (Wilcoxon-Two-Sample-Test p < 0,0001).

Weibliches Geschlecht, Diabetes Typ 2 und ein höherer Ausgangs-HbA1c-Wert korrelierten in der multivariaten Regressionsanalyse mit der Verbesserung des Empowerments. Die Art der Insulintherapie vor Studienbeginn und das Alter der Patienten zeigten keine Korrelation mit einer Verbesserung des Empowerments. Zusätzlich zeigte die Häufigkeit der Nutzung der HbA1c-Funktion eine signifikante Korrelation mit der Verbesserung des Empowerments (p < 0,0001), lediglich die tägliche Nutzung blieb ohne Einfluss auf das Maß der Eigenverantwortlichkeit innerhalb der Studiendauer.

Blutzuckermessverhalten

Die Mehrheit der Patienten maß während der Erhebung 7-mal pro Woche den Blutzuckerwert. Mit dem neuen Gerät wurde der präprandiale Blutzucker häufiger als zuvor gemessen, der Anteil an Patienten, der diesen niemals zuvor gemessen hatte, reduzierte sich um fast 50 % während der Beobachtung. Auch die Häufigkeit der Nüchternblutzuckermessung erhöhte sich und war mit einer Reduktion der Werte von 8,1 mmol/l zum Start auf 7,2 mmol/l nach 24 Wochen assoziiert. Die Trendpfeilfunktion für den Nüchternblutzucker wurde von 62 % der Patienten als Entscheidungshilfe zur Therapieadaptation genutzt.

HbA1c-Wert im Studienverlauf

Die zusätzliche HbA1c-Schätzfunktion wurde von > 60 % der Patienten genutzt und von 92 % dieser Patienten in der Arzt-Patienten-Kommunikation verwendet. Die erhobenen Werte differierten mit den aus einem Labor gewonnenen Werten um −0,1 % im Median.

Der mediane HbA1c-Wert verbesserte sich während der Beobachtungsdauer von 7,5 % auf 7,0 % (p < 0,0001, Wilcoxon-Signed-Rank-Test) bei auffällig höheren Werten sowohl zum Start als auch zum Studienende in der Altersgruppe 40 bis 56 Jahre (siehe Abb. 2). Allerdings erreichten nur 22,5 % aller auswertbaren Patienten ihr vereinbartes HbA1c-Ziel, hierunter häufiger Patienten, welche die HbA1c-Schätzung täglich benutzten. Diese Patienten waren älter (64 vs. 62 Jahre, p = 0,0052), häufiger männlich (60 vs. 53 %, p = 0,0085) und wiesen einen höheren Ausgangs-HbA1c-Wert auf als Patienten, die ihr HbA1c-Ziel nicht erreichten. Die Art der Insulintherapie hatte keinen Einfluss auf das HbA1c-Zielerreichen. Ein erreichter HbA1c-Zielwert spiegelte sich in einer höheren Zufriedenheit mit dem neuen Blutzuckermessgerät wider.

Patientenzufriedenheit

Nach 24 Wochen nutzten noch mehr als 90 % der Patienten das Gerät und 85 % würden es empfehlen. Als "sehr gut" oder "gut" bewerteten es mehr als 80 % bzgl. der allgemeinen Handhabung und > 70 % bzgl. der HbA1c-Zusatzfunktion.

Im Median erhöhte sich die Patientenzufriedenheit mit dem Blutzuckermessgerät von 75 Punkten am Beobachtungsbeginn auf 85 Punkte nach 12 Wochen (p < 0,0001, Wilcoxon-Signed-Rank-Test) unabhängig vom Alter, aber positiv korrelierend mit der Häufigkeit der Gerätenutzung (p < 0,0001). Die ebenfalls gemessene Zufriedenheit der Ärzte mit dem Messgerät lag mit 90 Punkten etwas höher mit positiver Korrelation zwischen der ärztlichen und der Patienteneinschätzung (Korrelationskoeffizient nach Spearman = 0,4, p < 0,0001).

Diskussion

In der durchgeführten Beobachtungsstudie wurde der Einsatz eines Blutzuckermessgeräts mit zusätzlicher HbA1c-Schätzfunktion von Patienten mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes unter Alltagsbedingungen getestet. Es sollte geprüft werden, ob Patienten durch die Möglichkeit der regelmäßigen zusätzlichen HbA1c-Information ihre Verhaltensweisen bzw. die Therapie optimieren.

Die in diese Beobachtungsstudie eingeschlossenen Patienten entsprechen in ihren demographischen Charakteristika dem typischen Patientenkollektiv mit Diabetes in Deutschland. Die meisten Patienten sind älter als 40 Jahre, übergewichtig und haben Typ-2-Diabetes.

Es konnte gezeigt werden, dass 57 % der Patienten ihr Empowerment mittels zusätzlicher HbA1c-Schätzung verbesserten. Die Steigerung fiel mit einer medianen Zunahme von 2 Punkten der Rankingskala (11 – 44 mögliche Punkte) aus.

Da das Ausmaß der Eigenverantwortlichkeit in der vorliegenden Erhebung mittels Patientenfragebogens ermittelt wurde, spielt die Selbsteinschätzung der Patienten eine große Rolle. Die schlechtere subjektive Selbstreflexion von Frauen im Vergleich zu Männern zum Umgang mit ihrer Erkrankung ist aus früheren Erhebungen bekannt [Chiu 2011, Cooper 2008]. Sie könnte sowohl zu schlechteren Ausgangswerten bei Frauen beigetragen haben als auch zur stärkeren Verbesserung, da eine Beobachtungssituation besonders Frauen zu guter Compliance anregt.

Neben der Verbesserung des Empowerments war eine Verbesserung des HbA1c-Werts während der Verwendung des MyStar Extra® nachweisbar. Die Abnahme des HbA1c-Werts korrelierte mit männlichem Geschlecht und einem höheren Ausgangs-HbA1c-Wert. Dieser könnte Ausdruck eines mangelhafteren eigenverantwortlichen Umgangs mit der Erkrankung vor Studienbeginn sein als bei Patienten mit niedrigeren HbA1c-Ausgangswerten.

Während der Beobachtungsdauer wurden häufigere Anpassungen der Insulindosis dokumentiert als vor Studienbeginn. Dies spricht für engmaschigere Kontrollen während der Studie, was zur Verbesserung des HbA1c-Werts beigetragen haben könnte.

Die Patientenzufriedenheit mit dem neuen Blutzuckermessgerät wurde nach 12 Wochen Nutzungsdauer abgefragt. Erstaunlicherweise hatten Patienten, die eine Zufriedenheit von < 80 % hatten, eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Verbesserung des HbA1c-Werts als Patienten mit einer größeren Zufriedenheit. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die allgemeine Zufriedenheit mit dem Gerät nicht aussagt, wie intensiv die Patienten die HbA1c-Schätzfunktion benutzen bzw. wie zufrieden sie mit den einzelnen Funktionalitäten des Geräts waren. Da sich der untersuchte Parameter nur langfristig ändert, wirkt eine tägliche Schätzung wahrscheinlich nicht motivierend.

Eine Limitation der durchgeführten Studie ist die nur 24-wöchige Beobachtungsdauer. Sie erlaubt keine Aussagen, ob die Verbesserung des Empowerments und des HbA1c-Werts auch langfristig erhalten bleibt. Ein Patientenauswahlbias ist ebenfalls anzunehmen, da eher Patienten der Teilnahme an einer solchen Beobachtungsstudie zustimmen, die Interesse an einer Steigerung ihres Empowerments haben. Eine Kontrollgruppe, welche die Zusatzfunktion nicht nutzt, hätte Vergleichsdaten hierzu liefern können. Hier wäre einem Auswahlbias jedoch nur mit Zufallsrandomisierung vorzubeugen gewesen, was den Beobachtungscharakter der Studie gesprengt hätte.

Schlussfolgerung

Die Nutzung des Blutzuckermessgeräts mit Zusatzfunktion der HbA1c-Schätzung führte in einer nicht selektierten Patientenpopulation unter Alltagsbedingungen sowohl zur Verbesserung des Empowerments als auch zur Verbesserung des HbA1c-Werts im 24-Wochen-Beobachtungszeitraum. Die große Mehrheit der Patienten war mit dem Gerät zufrieden und empfiehlt seine Anwendung weiter.

Somit unterstützt die vorliegende Studie die Beobachtung, dass auch Menschen mit langjährigem Diabetes zu erhöhter Eigenverantwortlichkeit im Umgang mit ihrer Erkrankung motiviert werden können und das vorliegende Blutzuckermessgerät dazu geeignet ist.


Autoren:
Prof. Dr. Bernhard Kulzer, Dr. Helmut Anderten, Dr. Guido Freckmann und Dr. Anja Borck


Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Bernhard Kulzer
Forschungsinstitut Diabetes-Akademie Mergentheim (FIDAM)
Theodor-Klotzbücher-Str. 12, 97980 Bad Mergentheim


Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts: Claudia Zemmrich (Institut für Pharmakologie und präventive Medizin, München).


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2020; 32 (6) Seite 22-27