Die Vorgaben der Nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) Typ-2-Diabetes sehen eine nicht-medikamentöse Basistherapie als Grundlage der Behandlung vor [1].Diabetes-freundliche Lebensstiländerungen umzusetzen und beizubehalten, ist jedoch eine große Herausforderung. Wie Technologien dabei unterstützen, erläutert Dr. Dr. Torsten Schröder.

Es war ein ganz normaler Check-up, den Ingo (63) jedes Jahr bei seinem Hausarzt machen ließ, im Jahr 2014. Der Maschinenbauingenieur hatte keine Beschwerden, doch dann präsentierte ihm sein Arzt stark erhöhte Blutzuckerwerte. Die Diagnose: Diabetes mellitus Typ 2. Obwohl er sich fest vorgenommen hatte, für seine damals noch vier- und siebenjährigen Söhne gesund zu bleiben und auf seinen Lebensstil zu achten, verfiel er immer wieder in alte Ernährungsmuster, die den Blutzucker unmerklich in die Höhe trieben. Es vergingen weitere Jahre ohne nennenswerte Symptome, in denen Ingo seine Erkrankung mehr und mehr verdrängte. Der tückische Diabetes schlummerte, bis an seinen Augen die erste Folgeerkrankung aufflammte. Sein Augenarzt erklärte ihm, was der Diabetes "im Geheimen" anstellte, und erinnerte ihn daran, welche Auswirkungen die Erkrankung auf lebenswichtige Organe haben kann. Ingo erzählt: "Da habe ich mir ausgerechnet, wie alt ich werden muss, damit ich meine Kinder erlebe, wenn sie 30 sind. Und welche Chancen ich eigentlich habe, so alt zu werden?"

So wie Ingo geht es Millionen anderen Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes. Und alle Berufsgruppen, die mit Typ-2-Diabetes-Betroffenen zu tun haben, erleben deren täglichen Kampf mit dem Lebensstil. Die Aufnahme ins Disease Management Programme (DMP) und angebotene Ernährungsschulungen stellen wichtige Beratungsleistungen dar, jedoch sind diese oft nicht ausreichend, um allen Patienten eine erfolgreiche Lebensstilumstellung zu ermöglichen. Uwe (59) aus Wattenheim hat Ähnliches erlebt und erzählt: "Man lernt zwar viel bei den Schulungen und bekommt Unterlagen mit nach Hause. Aber wenn es darum geht, seinen Alltag nachhaltig diabetes-freundlicher zu gestalten, bringt das nichts."

Auf der Suche nach einer gesunden Routine, die auch Genuss erlaubt, fanden beide Patienten vor etwa einem Jahr den Weg in die Studie einer digitalen Therapie namens glucura. Die Diabetes-App, die inzwischen als digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) zugelassen ist, kombiniert eine digitale Therapiebegleitung mit personalisiertem Mahlzeitenfeedback auf Basis einer kontinuierlichen Glukosemessung über CGM-Systeme. Wie hilfreich dieses Biofeedback auch bei nicht insulinpflichtigen Betroffenen ist, untermauert die besondere Symbiose von glucura mit dem CGM.

Der Einsatz von CGM und DiGA wirkt sich bei Patientinnen und Patienten in vielerlei Hinsicht positiv aus. So können die Nutzerinnen und Nutzer in Echtzeit beobachten, was nach einer Mahlzeit oder auch bei Bewegung mit ihrem Blutzucker passiert. Der Glukosesensor macht mit der DiGA-Technologie sichtbar, was die Betroffenen nicht fühlen können, aber was ihre Erkrankung negativ oder positiv beeinflussen kann. Über die Selbstbeobachtung merken sie, wo bei schwankendem Blutzucker noch Herausforderungen liegen. Ebenso lernen sie, wo es Erfolge gibt, wenn die DiGA einen stabilen Glukosespiegel meldet.

Ingo erzählt: "Den Ingenieur in mir hat das Konzept sofort überzeugt, denn Zahlen und Messwerte helfen mir enorm. Dadurch habe ich meinen Stoffwechsel erst richtig kennengelernt, vieles ausprobiert und immer sofort Feedback bekommen. Das übersichtliche Ampelsystem der DiGA hat mir vor Augen geführt, wenn ich Katastrophen mit meinem Blutzucker anrichte, oder wenn etwas gut für mich ist."

© Perfood GmbH | Über die gesamte Laufzeit der App unterstützt glucura mit Hilfe von Glukosevorhersagen, so dass Betroffene von einer dauerhaften Selbstkontrolle profitieren.

Normalerweise endet eine Sensorphase je nach CGM-System nach bis zu zwei Wochen. Das Besondere an der glucura-Technologie ist jedoch, dass sie durch spezielle Algorithmen auch nach der Sensorphase personalisierte Blutglukosereaktionen vorhersagt – und das über die gesamte dreimonatige Laufzeit der DiGA. Indem glucura die Sensorphase mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz "verlängert", läutet die DiGA eine neue Generation von Diabetes- und Lebensstilmanagement ein. Das personalisierte, ganzheitliche Lebensstil-Coaching umfasst unter anderem individuelle Wochenziele, Experimentierideen zur Mahlzeiten-Modifikation, Rezepte und Bewegungstutorials.

Die glucura-Funktionen im Einzelnen:

1. Kontinuierliches Blutzucker-Feedback:
Zu Beginn des Programms tragen die Nutzerinnen und Nutzer bis zu zwei Wochen lang einen CGM-Sensor, testen ihre gewohnten Mahlzeiten und beobachten ihre postprandialen Blutzuckerreaktionen. Über die gesamte Laufzeit der App unterstützt glucura mit Hilfe von Glukosevorhersagen, so dass Betroffene von einer dauerhaften Selbstkontrolle profitieren. Experimentierideen helfen dabei, sich einem möglichst stabilen Blutzucker anzunähern, zum Beispiel: a. Zum Frühstück testet die Nutzerin bzw. der Nutzer unterschiedliche Müsli- und/oder Brotvariationen. Praktische Experimentiertipps regen dazu an, Müsli-Zutaten bzw. Brot und Belag zu variieren und Kombinationen zu finden, die auf die Gewohnheiten der Betroffenen zugeschnitten sind und dabei den Blutzucker stabil halten. b. Besonderes Augenmerk liegt u.a. auf gängigen Beilagen wie Nudeln, Reis oder Kartoffeln. Wer schon in der Sensorphase entdeckt, dass der Blutzuckerspiegel nach Verzehr einer bestimmten Beilage hochschnellt, findet in der App Hinweise, welche Alternativen die Ausschläge senken könnten.
2. Bewegungsanleitung und -motivation:
Mit der DiGA lassen sich körperliche Aktivitäten festhalten, indem die Nutzerinnen und Nutzer zum Beispiel ihre tägliche Schrittzahl eintragen oder die App mit einem Fitness-Tracker verbinden. glucura bietet darüber hinaus Videotutorials, die zu mehr Bewegung anleiten. Dabei geht es sowohl um die Steigerung von Alltagsbewegungen als auch um gezielte Übungen für mehr Kraft und Ausdauer.
3. Dynamische Wochenziele:
Im Anschluss an die Sensorphase erhalten die Nutzerinnen und Nutzer Wochenziele zu den Themen Ernährung und Bewegung, der genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Entsprechend der jeweiligen Wochenziele und auf Basis der persönlichen Vorlieben schlägt die App Diabetes-geeignete Rezepte vor oder regt zu mehr körperlicher Aktivität an.
4. Wissen & Verstehen:
Vielfältige Beiträge mit Hintergrundwissen zu Typ-2-Diabetes, ausgewogener Ernährung oder der gesundheitlichen Wirkung von Bewegung ergänzen die Lebensstil-Assistenz von glucura.
5. Personalisierter Drei-Monatszyklus:
Pro Verordnung steht die DiGA drei Monate zur Verfügung. Dabei werden die Produktinhalte dynamisch an den Fortschritt und die Gewohnheiten der jeweiligen Patientinnen und Patienten angepasst. Um die individuellen Therapieziele langfristig zu erreichen, sind mehrere Folgeanwendungen empfehlenswert.
6. Datenexport :
Die eingegebenen Daten und Messwerte können in einer PDF-Datei exportiert und so auch der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt bereitgestellt werden. Darüber hinaus verfügt glucura über einen interoperablen Datenexport, der es ermöglicht, Daten aus der DiGA in die jeweilige elektronische Patientenakte einzustellen.

© Perfood GmbH | Die eingegebenen Daten und Messwerte können bei glucura in einer PDF-Datei exportiert werden.

Ingo ist begeistert, eine Lebensstiltherapie gefunden zu haben, die wie ein ganzheitlicher Coach funktioniert – auch im Bereich Bewegung. Bevor er als Ingenieur viel auf Reisen ging und wenig Gelegenheit für ausreichend körperliche Aktivität hatte, war er sehr sportlich. Sich wieder an mehr Bewegung heranzutasten, unterstützt die DiGA ebenfalls. So konnte er sich mit Hilfe des Blutzucker-Feedbacks in der App nach einem Essen vor Augen führen, dass sein Glukosespiegel oft weitestgehend stabil blieb, wenn er nach dem Essen spazieren ging. Dass er schon mit mäßiger Bewegung hohe Blutzuckerschwankungen vermeiden kann, motivierte ihn ungemein. In Kombination mit sportlicher Betätigung weiß er heute, dass er sich auch mal etwas gönnen kann. "Unter digitaler, individueller Anleitung habe ich endlich einen Lebensstil gefunden, der zu mir passt", resümiert er.

Der Insulintherapie mit Selbstwirksamkeit zuvorkommen

Worüber sich Ingo und Uwe am meisten freuen, ist, dass eine Insulintherapie für sie kein Thema ist. Dass ihnen eine digitale Therapie "auf Rezept" darüber hinaus eine so hohe Selbstwirksamkeit ermöglicht, macht sie stolz und sorgt dafür, dass sie am Ball bleiben. Das schlägt sich auch in den Werten nieder: Ingo konnte seinen HbA1c mit Hilfe von glucura von 11 % auf 7,5 % senken und Uwe von über 8 % auf 6,5 %. Auch das Abnehmen fiel deutlich leichter, so dass beide im Nutzungszeitraum der App zehn Kilogramm Körpergewicht verlieren konnten. Auch wenn die Gewichtsabnahme langsamer geht als bei vielen Diäten, können sie ihr Gewicht endlich in einem Rahmen halten, den sie sich vorgenommen haben.

Uwe Schneider, 59
"Nach zehn Jahren mit Diabetes habe ich mit glucura endlich etwas gefunden, was mir nachhaltig hilft. Die Kombination aus Selbstbeobachtung, individuellen Tipps und schrittweiser Anleitung für einen besseren Lebensstil hilft mir sehr. Man sieht die Herausforderungen, aber auch die Erfolge. Das macht einfach Spaß und Lust darauf, am Ball zu bleiben."

An der klinischen Studie2 zu glucura nahmen noch viele weitere Diabetes-Betroffene teil (n = 64 Personen). Es konnte gezeigt werden, dass unter der Anwendung von glucura der HbA1c-Wert um -0,79 nach 3 Monaten Nutzung im Vergleich zur Standardbehandlung verbessert werden konnte. Damit waren unter Anwendung der DiGA mit mehr als 60 %, im Vergleich zu ca. 30 %, ungefähr doppelt so viele Patientinnen und Patienten im therapeutischen Zielbereich von HbA1c < 7,0 %. Ein gutes Drittel (34 %) erreichte sogar einen HbA1c unter 6,5 % , was als Stoffwechselnormbereich gilt. 77 % der Studienteilnehmenden gaben an, dass sich ihr Allgemeinzustand nach Anwendung der DiGA (gemessen mit dem PGIC Fragebogen) verbessert hat. Weiterhin berichteten die Betroffenen über eine frequente Nutzung der App (6,6 von 7 Tagen pro Woche), über eine gute Verständlichkeit (4,5/5), hohe Zufriedenheit (7,7/10), gute Unterstützung bei der Auseinandersetzung mit der Erkrankung (4,1/5) und den Wunsch, die Therapie fortzusetzen (3,9/5)3. Derzeit läuft eine multizentrische randomisierte kontrollierte Studie mit dem Institut für Diabetes-Technologie (IfDT) in Ulm, um die Wirksamkeit von glucura zu bestätigen. Hierfür werden noch Betroffene mit Diabetes Typ 2 gesucht, die an der Studie teilnehmen möchten. Die Teilnahme ist rein digital möglich. Infos unter: www.glucura.de/studien/

© Perfood GmbH | Innerhalb von 3 Monaten konnte mithilfe von glucura der HbA1c-Wert im Vergleich zur Standardbehandlung um 0,79 Prozentpunkte gesenkt werden.

In wenigen Schritten zur T2DM-DiGA

Betroffene mit vorliegender Diagnose (nicht-insulinbehandelter Diabetes mellitus Typ 2; ICD-10-Code E11.-), können ein Rezept über ihre behandelnde Ärztin oder ihren Arzt erhalten und ganz unkompliziert den Rezeptservice von glucura nutzen (https://glucura.de/rezeptservice/). Sollte der Krankenkasse die Diagnose bekannt sein oder der/die Betroffene in einem DMP eingeschrieben sein, kann die DiGA auch direkt bei der Krankenkasse angefragt werden.

Das Rezept kann alternativ per App, E-Mail oder Post an die gesetzliche Krankenkasse geschickt werden, die daraufhin einen Freischaltcode bereitstellt. Diesen Code geben die Nutzerinnen und Nutzer auf der Website www.glucura.de ein. Anschließend wird der Glukosesensor mit weiterem Infomaterial per Post zugestellt.

Mitmachen!
Gestalten Sie Ihre Zukunft der Diabetes-Behandlung mit – nehmen Sie an der glucura-Studie teil unter: https://glucura.de/studien/

Die DiGA wird von allen gesetzlichen Krankenversicherungen erstattet, Zusatzkosten für den Sensor fallen nicht an. Darüber hinaus übernehmen viele private Krankenversicherungen die Kosten der DiGA. Sowohl Ärztinnen und Ärzten als auch Patientinnen und Patienten steht bei Fragen der kostenlose glucura-Support zur Verfügung.

1. Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes – Langfassung. Version 3.0. 2023 [cited: 2024-01-04]. DOI: 10.6101/AZQ/000503)
2. Wissenschaftliches Evaluationskonzept glucura vom 29.11.2023
3. Jeweils angegeben die Mittelwerte der Erhebung nach einem Monat

Zum Autor
Dr. med. Dr. rer. nat. Torsten Schröder (Jg. 1981) ist Facharzt für Innere Medizin, Diabetologe (DDG), Ernährungsmediziner und Chief Medical Officer (CMO) der Perfood GmbH. Als Mitgründer des Startups war er maßgeblich an der Entwicklung des Unternehmenskonzepts beteiligt. Seine Aufgabe im Unternehmen liegt in der Weiterentwicklung von Konzepten personalisierter Ernährungstherapien wie der Migräneprophylaxe "sinCephalea" und der Diabetes-Therapie "glucura", die als DiGA zugelassen sind.


Literatur:
Jancev, M. et al. Continuous glucose monitoring in adults with type 2 diabetes Diabetologia (2024) doi:10.1007/s00125-024-06107-6
Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). NVL Typ-2-Diabetes – Langfassung. Version 3.0. 2023 [cited: 2024-01-04]. DOI: 10.6101/AZQ/000503)
Laaksonen DE, Lindström J, Lakka TA, Eriksson JG, Niskanen L, Wikström K, et al. Physical activity in the prevention of type 2 diabetes. Diabetes. 2005 Jan;54(1):158–65.
Skurk T, Bosy-Westphal A, Grünerbel A, Kabisch S, Keuthage W, Kronsbein P, et al. Empfehlungen zur Ernährung von Personen mit Typ-2-Diabetes mellitus. Diabetologie und Stoffwechsel. 2022 Oct;16(S 02):S255–89.
Indikationsspezifische Berichte für die Gemeinsamen Einrichtungen bzw. Qualitätsberichte aus 16 Kassenärztlichen Vereinigungen. [Internet]. 2022. Available from: https://www.kbv.de/media/sp/DMP_Diabetes2_Ergebnisse_QS.pdf

Autor:
Dr. med. Dr. rer. nat. Torsten Schröder


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (7/8) Seite 26-29