Ein Screening auf Mangelernährung sowie – bei Bedarf – eine individuelle ernährungsmedizinische Begleitung sollten fester Bestandteil der klinischen Behandlung sein, fordert die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM). Nachdruck wird dieser Forderung durch eine aktuelle Übersichtsarbeit verliehen, die in der Fachzeitschrift Lancet erschienen ist. Dem Bericht zufolge, kann eine gezielte Ernährungstherapie die Heilungs- und sogar die Überlebenschancen der Betroffenen wesentlich steigern.

Menschen, die wegen akuter oder chronischer Erkrankungen in der Klinik behandelt werden müssen, seien häufig in keinem guten Ernährungszustand. Krebserkrankungen, Entzündungen, Krankheiten der Verdauungsorgane, aber auch Nebenwirkungen von Medikamenten können den Appetit oder die Nährstoffaufnahme so stark beeinträchtigen, dass Mangelzustände drohen, berichtet die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM).

Screeninginstrumente zur Bewertung des Ernährungszustandes

Die Häufigkeit, mit der Klinikpatienten und Klinikpatientinnen an einer Mangelernährung leiden, werde noch immer unterschätzt, so die DGEM weiter. Das aktuelle Körpergewicht sei nicht der einzige Faktor, an dem sich eine drohende Mangelernährung ablesen lasse – und nicht jeder mangelernährte Patient sei auch untergewichtig, erklären die Experten der DGEM.

„In die Bewertung des Ernährungszustandes sollte auch die Gewichtsentwicklung der vergangenen Tage oder Wochen, das aktuelle Essverhalten sowie der Allgemeinzustand des Patienten einfließen“, sagt Professor Dr. oec. troph. Dr. med. Anja Bosy-Westphal, Leiterin der Abteilung Humanernährung an der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel und Präsidentin der DGEM. Besonders ein plötzlicher und unbeabsichtigter Gewichtsverlust gelte als bedenklich.

Validierte Screeninginstrumente, wie die DGEM und internationale Fachgesellschaften sie empfehlen, beziehen darüber hinaus auch die Schwere der Krankheit mit ein – denn wer das Bett nicht verlassen kann oder gar auf der Intensivstation behandelt werden muss, sei noch einmal stärker von Mangelernährung bedroht als Menschen, die durch ihre Erkrankung weniger stark eingeschränkt sind.

„Ein solches Screening nimmt nur wenige Minuten in Anspruch und sollte spätestens innerhalb von zwei Tagen nach jeder stationären Neuaufnahme vorgenommen werden“, so Bosy-Westphal.

Verschiedene US-amerikanische und europäische Studien hätten gezeigt, dass bis zu einem Drittel der stationären Patienten und Patientinnen von Mangelernährung bedroht seien; diese sollten in einem zweiten Schritt genauer untersucht werden, um die Verdachtsdiagnose zu erhärten oder zu verwerfen. Spätestens in dieser Phase sollten die Betroffenen auch einem Ernährungsmediziner oder einer Ernährungsmedizinerin vorgestellt werden, berichtet die DGEM.

Vielfältige Ursachen für Mangelernährung

Die Ursachen für eine Mangelernährung seien vielfältig – mangelnder Appetit aufgrund von Schluckbeschwerden, Übelkeit, hormonellen Störungen, Entzündungen oder Therapie-Nebenwirkungen können ebenso zugrunde liegen wie ein erhöhter Energieverbrauch, Verdauungsstörungen mit verminderter Nährstoffaufnahme oder ein hormonell, durch Immunprozesse oder durch Bettlägerigkeit gesteigerter Muskelabbau.

„Entsprechend unterschiedlich kann auch der individuelle Nährstoffbedarf sein“, sagt Bosy-Westphal. In einem Ernährungsplan werde deshalb detailliert festgehalten, wie viel Kalorien, Mikronährstoffe und insbesondere wie viel Eiweiß der Patient oder die Patientin benötigt.

„Im Idealfall können diese Ernährungsziele mithilfe von Mahlzeiten, Snacks und proteinreichen Shakes erreicht werden, die den Vorlieben des Patienten angepasst sind“, so die DGEM-Vorsitzende weiter. Bei speziellen Indikationen müsse unter Umständen aber auch eine (zusätzliche) Ernährung per Magensonde oder gar einer Infusion in Betracht gezogen werden.

Unterstützung der Genesung

Der von einem internationalen Autorenteam verfasste Lancet-Artikel soll einen Überblick über eine Vielzahl von Studien geben, die zeigen, dass eine individuelle ernährungsmedizinische Betreuung die Genesung von Klinikpatienten und Klinikpatientinnen wirksam unterstützten könne.

Als besonders große und aussagekräftige Studie greift Professor Dr. med. Diana Rubin, Leiterin des Vivantes-Zentrums für Ernährungsmedizin in Berlin und Vorstandsmitglied der DGEM, die sogenannte EFFORT-Studie aus der Schweiz heraus, an der über 2000 Patienten und Patientinnen teilgenommen haben.

Während die eine Hälfte mit dem regulären Klinikessen versorgt wurde, erhielt die andere Hälfte eine nach ernährungsmedizinischen Kriterien individuell zusammengestellte Kost. Während des Klinikaufenthalts wurde die Einhaltung des individuellen Speiseplans von geschulten Diätassistenten und Diätassistentinnen überprüft, bei der Entlassung bekamen die Teilnehmenden zudem einen Ernährungsplan für zu Hause mit.

„Dieser Aufwand ist hoch, aber er lohnt sich“, sagt Rubin. Denn in der ernährungsmedizinisch betreuten Gruppe war das Risiko für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes und auch das Sterberisiko deutlich niedriger. Außerdem fühlten sich die Teilnehmer im Vergleich zu den regulär versorgten fitter und bewerteten ihre Lebensqualität als höher, so die Ergebnisse der Studie.

„Gutes Essen ist von zentraler Bedeutung für Wohlbefinden und Lebensqualität. Das gilt unumstritten für Gesunde – noch viel mehr muss es für Menschen gelten, die mit einer Krankheit zu kämpfen haben“, sagt Rubin. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, müsse die ernährungsmedizinische Expertise an den Krankenhäusern deutlich gestärkt werden. Ein wichtiges Anliegen der DGEM sei es daher, die Aus- und Weiterbildung im Bereich der Ernährungsmedizin zu intensivieren und so für den dringend benötigten qualifizierten Nachwuchs zu sorgen.



Lancet-Artikel
Quelle: Schuetz P. et al.: Management of disease-related malnutrition for patients being treated in hospital. Lancet Online


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. | Redaktion