Wie die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn berichtet, haben Forschende der Universitäten Bonn und Regensburg die Struktur eines zentralen zellulären Entzündungs-Schalters aufgeklärt. Ihre Arbeit zeigt, an welchen Ort des riesigen Proteins namens NLRP3 Hemmstoffe binden können. Dadurch werde der Weg zu neuen Pharmaka frei, die gegen entzündliche Erkrankungen wie Gicht, Typ-2-Diabetes oder auch Alzheimer helfen könnten.

Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zufolge haben sie in ihrer Studie ein Eiweiß-Molekül mit dem Kürzel NLRP3 untersucht. Dabei handelt es sich um eine Art Gefahrensensor in der Zelle: Er schlägt Alarm, wenn die Zelle in Stress gerät, etwa durch eine bakterielle Infektion oder durch Toxine.

Entstehung chronischer Entzündungskrankheiten

NLRP3 sorgt dann einerseits dafür, dass in der Zellmembran Löcher entstehen, was schließlich zum Tod der Zelle führt. Davor kurbelt das Sensor-Molekül aber noch die Bildung von Entzündungs-Botenstoffen an, die durch die perforierte Membran freigesetzt werden. Sie rekrutieren weitere Immunzellen an den Ort des Geschehens und sorgen dafür, dass Zellen in der Umgebung Selbstmord begehen – so kann sich zum Beispiel ein Bakterium oder Virus nicht weiter ausbreiten, heißt es in dem Bericht.

„Die Folge ist eine massive Entzündungsreaktion“, erklärt Prof. Dr. Matthias Geyer vom Institut für Strukturbiologie der Universität Bonn, der die Studie geleitet hat. „Zur Abwehr von Erregern ist das auch sehr sinnvoll. Wird sie aber überdosiert oder schon durch harmlose Auslöser getriggert, können chronische Entzündungskrankheiten die Folge sein – etwa Diabetes vom Typ II, Gicht, Morbus Crohn oder selbst Demenzerkrankungen wie Alzheimer“, so Geyer weiter.

Entzündungen gezielt eindämmen

Rund um den Globus würden Forschende daher nach Wegen suchen, gezielt auf Entzündungsprozesse einzuwirken, ohne dabei den gesamten Mechanismus der Immunantwort auszuhebeln. Man wisse schon seit einigen Jahren, dass bestimmte Wirkstoffe die Freisetzung von Zytokinen – den wichtigsten Entzündungs-Botenstoffen – verhindern. Wie diese CRIDs (Cytokine Release Inhibitory Drugs) das machen, sei aber bislang unbekannt.

„Wir haben nun herausgefunden, auf welche Weise sie diese Wirkung entfalten“, erklärt Geyers Mitarbeiterin Inga Hochheiser. Wie aus der Studie hervorgeht, wurden dazu große Mengen NLRP3 aus Zellen isoliert, aufgereinigt und mit dem Hemmstoff CRID3 versetzt. Winzige Portionen dieser Mischung wurden auf einen Träger getropft und dann direkt eingefroren.

Bei dieser Methode entsteht ein dünner Eisfilm. Er enthält Millionen von NLRP3-Molekülen, an die CRID3 gebunden ist. Diese lassen sich mit dem Elektronenmikroskop betrachten. Da die Moleküle beim Auftropfen unterschiedlich fallen, sind unter dem Mikroskop verschiedene Seiten von ihnen zu sehen, so der Bericht. „Diese Ansichten lassen sich zu einem dreidimensionalen Bild kombinieren“, erklärt Hochheiser.

Die Kryo-EM-Bilder erlauben einen genauen Einblick in die Struktur des durch CRID3 inaktivierten Gefahrensensors. Auf ihnen ist zu erkennen, dass sich NLRP3 in seiner inaktiven Form zu einem Mega-Molekül zusammenfindet. Es besteht aus zehn NLRP3-Einheiten, die zusammen eine Art Käfig bilden, erläutern die Forschenden. „Das spannendste Ergebnis unserer Arbeit ist aber, dass wir die CRID3-Bindungsstellen identifizieren konnten“, freut sich Geyer.

Hemmstoff verhindert die Entfaltung des Riesenmoleküls

Die Bindungsstellen (Strukturbiologen sprechen auch von Taschen) liegen demnach im Innern des Käfigs. Jede der zehn Einheiten verfügt über eine dieser Taschen. Ist sie von CRID3 belegt, blockiert der Hemmstoff einen Klapp-Mechanismus, der für die Aktivierung von NLRP3 nötig ist. Ähnlich wie bei einer aufblühenden Rose, die nur in diesem Zustand von einer Biene besucht werden kann, gelangen beim Umklappen bestimmte Teile des NLRP3-Proteins auf die Oberfläche des Käfigs und werden dadurch zugänglich, so das Ergebnis der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

NLRP3 ist ein Vertreter einer ganzen Familie ähnlicher Proteine. Jedes von ihnen erfüllt vermutlich bei verschiedenen Entzündungsvorgängen seine ganz spezifische Aufgabe, so die Studie weiter. „Wir glauben aufgrund unserer Untersuchungen, dass sich die Taschen all dieser NLRPs unterscheiden“, sagt Geyer. Für jede lässt sich daher vermutlich ein eigener Hemmstoff finden, so die Schlussfolgerung.

Die aktuelle Arbeit ermögliche zum Beispiel, gezielt nach wirksameren Alternativen zu CRID3 zu suchen, die zudem weniger Nebenwirkungen haben. Das sei aber nur der Anfang, meint Geyer, der auch Mitglied im Exzellenzcluster ImmunoSensation2 der Universität Bonn ist. „Ich bin davon überzeugt, dass unsere Studie ein fruchtbares neues Forschungsfeld eröffnet, das die Wissenschaft noch Jahrzehnte beschäftigen wird“, so Geyer weiter.

Die Ergebnisse der Arbeit sind in der Zeitschrift Nature erschienen.

Beteiligte Institutionen und Förderung:
  • Die Studie wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) sowie durch EU-Mittel im Rahmen der iNEXT-Discovery- und der Instruct-ERIC-Initiativen gefördert.
  • Die Kryo-EM-Bilder zur Strukturaufklärung wurden am EMBL in Heidelberg aufgenommen.

Originalpublikation:
Inga V. Hochheiser, Michael Pilsl, Gregor Hagelueken, Jonas Moecking, Michael Marleaux, Rebecca Brinkschulte, Eicke Latz, Christoph Engel & Matthias Geyer: Structure of the NLRP3 decamer bound to the cytokine release inhibitor CRID3; Nature; DOI: 10.1038/s41586-022-04467-w

Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn | Redaktion