Deutschland hat sich nicht nur zu einem bequemen Sitzenbleibervolk entwickelt, Deutschland wird auch immer älter. Bereits im Jahr 2050 wird jeder dritte Bundesbürger 60 Jahre und älter sein. Und mit den Jahren ändern sich dabei auch die Ansprüche des Körpers, im Hinblick auf Essen und Trinken.
Immer mehr Menschen als je zuvor, haben heute die Chance nicht nur alt und älter, sondern sehr alt zu werden. Demnach sind bereits heute etwa sechs Prozent der hiesigen Bevölkerung 80 Jahre und älter. 150 000 sind 95, rund 7 000 hundert und Schätzungen zufolge ungefähr 260 älter als hundertfünf Jahre. Es gibt also nicht nur im italienischen und asiatischen Raum Menschen, die auf ein beachtliches Lebensalter zurückblicken können, sondern auch bei uns.
"Etwa ein Drittel der Hochbetagten leben heute sogar noch überwiegend selbständig in ihrer Wohnung", erklärt Professor Helmut Heseker von der Universität Paderborn, auf einem Seminar zum Thema "70 plus na und?" der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass Hochbetagte bedarfsdeckend Essen und Trinken und sich regelmäßig altersgerecht Bewegen, um eine Pflegebedürftigkeit so lange es geht heraus zu zögern, erklärt Heseker.
Was im Alter anders ist
Der Körper verändert sich im Laufe der Jahre: die Sauerstoffversorgung der Zellen verlangsamt und die Funktion innerer Organe, wie Nieren und Leber, ändern sich. Auch die Funktion der Bauchspeicheldrüse wird häufig schwächer und so können sich Blutzuckerwerte verändern. Ebenso steigt die Tendenz zu erhöhten Harnsäure- und Blutfettwerten. Besonders zu schaffen macht vielen Alten eine abnehmende Knochendichte und veränderte Skelettmuskulatur. "Typisch sind beispielsweise Oberschenkelhalsbrüche, die oft der Einstieg in eine Pflegekarriere sind", erklärt Dr. Stefanie Gurk, Expertin für Geriatrie vom Medical Consulting in Krefeld.
Im Hinblick auf relevante, medizinische Veränderungen weiß man heute, dass körperliche Funktionseinschränkungen bereits mit dem 40 Lebensjahr beginnen. Deshalb empfiehlt Gurk regelmäßige Bewegung bis ins hohe Alter. "Wer seine Fähigkeiten und Funktionen nicht nutzt und ausschöpft, schränkt seine Beweglichkeit weiter ein, getreu dem Motto: wer rastet der rostet", so Gurk. Ziel medizinischer Prävention sei es, mindestens 20 Jahre den Zustand eines 40-jährigen zu halten.
Erschwerend kommt hinzu, dass Immobilität und Bettlägerigkeit dazu beitragen, dass die Kraft nachlässt. "Ist ein alter Mensch pflegebedürftig und überwiegend bettlägerig, verliert er im Schnitt etwa ein Prozent seiner Muskelmasse – und das täglich", warnt Dr. Rainer Wirth Chefarzt der Klinik für Akutgeriatrie des St. Marien Hospital in Borken.
Wirth erklärt, dass die Sturz-Anzahl mit der Menge an eingenommenen Medikamenten korreliert, insbesondere Psychopharmaka. Ein Großteil der Senioren hat eine lange Liste an Arzneien, die er täglich nehmen soll. Nur leider vertragen sich viele davon nicht miteinander, es entsteht eine Digitalis Intoxikation, die häufig Appetitlosigkeit zur Folge hat – der Beginn von Mangelernährung.
Wer zu wenig oder das Falsche isst, kann mit der Zeit einen Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen bekommen. Vitaminmangel gibt es bei folgenden:
Vitamine- B1, B2, B6 → 4 bis 5 Scheiben Vollkornbrot + 3 Kartoffeln oder 1,5 Tassen gekochter Reis/Nudeln + 200 g Gemüse
- B12 → Camembert, Makrele, Hering, Lachs
- C → 1 Glas Orangensaft, 100 % Frucht, ohne Zuckerzusatz/Tag + 2 Portionen Obst + Gemüse + Salat
- D → ¼ l fettarme Milch + 2 Scheiben fettarmen Käse
Auch in punkto Mineralstoffe kann auf natürlichem Wege etwas getan werden, damit die am häufigsten auftretenden Defizite gar nicht erst entstehen.
Mineralstoffe- Calcium → ¼ l fettarme Milch/Joghurt + 2 Scheiben fettarmen Käse, grünes Gemüse, Kräuter + Nüsse
- Kalium → 2 Portionen Obst + Gemüse + Salat
- Jod → Jodsalz, 2 x Seefisch/Woche
- Eisen → 3 bis 4 Scheiben Vollkornbrot + 2 Scheiben Schinken/Putenbrust
Praktisch: Qualität statt Quantität
Der Energiebedarf des Körpers sinkt jährlich im Schnitt um etwa ein Prozent. Deshalb ist es besonders für Best Ager wichtig auf eine adäquate Versorgung an Mikro- und Makronährstoffen zu sorgen. Wichtig ist ein moderater Fettkonsum. Besonders Pflanzenfette wie Raps-, Oliven- oder Maiskeimöl können zu guten Blutfettwerten – die häufig bei Menschen mit Diabetes erhöht sind – beitragen. Hinzu kommt, dass der Körper sie nicht selbst herstellen kann.
Als Faustregel gilt: ein bis zwei Esslöffel täglich. Alternativ Pflanzenmargarine mit entsprechend hohem Anteil an einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Auch etwas Hartschalenobst wie Wal- oder Haselnüsse, Mandeln oder Kürbiskerne bieten sich an.
Damit nicht mehr Muskelmasse verloren geht, als ohnehin schon, empfiehlt sich bei gesunder Nierenfunktion 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht. Besteht bereits eine diabetische Nephropathie, muss nach Rücksprache mit dem Diabetes behandelnden Arzt eventuell eine Veränderung der Eiweißmenge in Betracht gezogen werden.
Doch auch hier ist es wichtig, den Menschen individuell anzusehen. Ist der Allgemeinzustand des Hochbetagten schlecht, besteht Appetitlosigkeit oder Untergewicht, sollte die Eiweißmenge bereits in kleiner Menge sehr hochwertig ausgewählt sein. Beispielsweise Pellkartoffeln mit Ei, Bauernomelette, Nudeln mit Ei, Aufläufe mit Ei und Milchprodukten oder Brot mit Käse.
Ja zu komplexen Kohlenhydraten
Im Hinblick auf Kohlenhydrate sollten diese gleichmäßig auf alle Mahlzeiten verteilt werden. Besonders sinnvoll sind beispielsweise Vollkornprodukte. Bei Kau- und Schluckproblemen sollte immer ein Getränk mit dabei sein. Feingemahlene Vollkornbrote wie beispielsweise Grahambrot sind hier geeignet. Ebenso Obst und Gemüse das nicht zu hart von seiner Struktur ist. Beispielsweise Beerenfrüchte, Melonen, Kiwi, auch mal eine kleine Banane, gekochtes Gemüse und Suppen.
Hülsenfrüchte: kein Problem, wenn sie durchgegart sind
Sogar Hülsenfrüchte sind möglich, wenn sie gut durchgegart sind. Sinnvoll sind für alle älteren Diabetiker kohlenhydrathaltige Lebensmittel mit eiweißreichen zu kombinieren. Praktisch ist das Quark mit Früchten oder Kartoffeln, Pasta, Reis oder Kartoffeln mit Fisch, Fleisch oder Eiern. Zucker, wenn überhaupt, in einer maximalen Menge von 30 bis 50 Gramm täglich, so wie es die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) empfiehlt. Und dann am besten verpackt, also in Form von Kuchen, Gebäck oder als Brotaufstrich. Zucker in Kaffee, Tee oder Kakao ist nicht empfehlenswert.
Kauprobleme sind (k)ein Tabuthema
Wenn das Kauen nicht mehr so reibungslos funktioniert, ist es häufig ein Tabuthema und wird über lange Zeit verschwiegen. Doch dieses Problem ist keine Schande! Denn auch jüngere Menschen haben ab und zu Probleme mit ihren Zähnen. Kauprobleme können als Ursache einer schlecht sitzenden Prothese, mangelnder Mundhygiene und dadurch bedingten Entzündungen im Mundraum sein.
Schlecht heilende Wunden machen sich bei Diabetes auch im Mundraum bemerkbar. Neben einer sorgfältigen, täglichen Zahn- und Prothesenreinigung sollte auch der Sitz vom Zahnarzt überprüft und falls nötig angepasst werden. Bei Entzündungen im Mund- und Rachenraum kann Aloe-Vera-Gel Linderung verschaffen. Dazu das Gel mehrmals täglich mit einem Wattestäbchen auf die entzündete Wunde im Mund tupfen.
Tipps bei Kauproblemen
- Rinde vom Brot abschneiden
- Statt grobem Körnerbrot Graham-, Knäckebrot oder Vollkorntoast
- Zum Frühstück Vollkornbrei oder Vollkornflocken. Warm wird er sehr gerne gegessen.
- Statt rohem Gemüse, gedünstetes oder pürierte Gemüsesuppen
- Fleisch klein schneiden und falls nötig pürieren
- Mehlig kochende Kartoffeln bevorzugen und mit einer Gabel klein drücken
- Hartes Obst wie Äpfel und Birnen als Kompott ohne Zuckerzusatz
- Beerenobst und mittelgroße Bananen
- Generell gilt: pürieren statt weich kochen, das schont die Vitamine
- Blattsalate statt harter Rohkost essen
Vitalstoffe – hier darf es ruhig mehr sein
Neben Makronährstoffen ist besonders eine ausreichende Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen sehr wichtig. Sie stärken das Immunsystem auf natürliche Art. Auch wenn nicht alle Obst- und Gemüsesorten - auf Grund von dritten Zähnen oder empfindlichem Magen vertagen werden – gibt es zahlreiche gut bekömmliche Sorten. Beispielsweise kleine Bananen (mit etwa 20 bis 24 g Kohlenhydraten pro Stück), Äpfel und Birnen ohne Schale und wie erwähnt Beerenobst.
Auch Tiefkühlprodukte sind eine gute Wahl. Sie enthalten nahezu den vollen Gehalt an Vitaminen und Mineralstoffen von frischem Obst und Gemüse. Sinnvoll sind Produkte ohne Fett- und Gewürzzusätze. Sie sind in jedem Discounter und Supermarkt, meist in Beuteln, für kleines Geld zu haben.
Das sollte es täglich mindestens sein
Die oben genannten Mengenempfehlungen sind optimal. Nur wieviel ist täglich tatsächlich nötig und wichtig, damit alte Menschen mit wenig Appetit gut versorgt sind? Der Bonner aid Infodienst gibt dazu folgende Tipps:
- Eine warme Mahlzeit
- Eine Portion Gemüse
- Eine Portion Salat
- 1 Glas Milch, Quark, Joghurt oder Käse
- 1 Scheibe Vollkorn- oder Vollkornschrotbrot
- Fast täglich ein Stück Fleisch, Fisch oder ein Ei
- Mindestens 1,5 Liter alkoholfreie Flüssigkeit
Trinken – im Alter besonders wichtig
Bei vielen Menschen in den besten Jahren hapert es am Trinken. Besonders häufig sind es Frauen, die kaum eine Flasche Mineralwasser am Tag schaffen. Doch Trinken ist reine Trainingssache und lässt sich sogar im Alter ein Stück weit trainieren. Im Winter bieten sich dazu beispielsweise leckere Tees wie Roiboos- oder Kräutertees mit Weihnachtsaroma, Zimt- und Mandelgeschmack an. Auch eine Tasse heiße Brühe wird gerne von Senioren getrunken.
Neben stillem oder kohlensäurehaltigem Mineralwasser eignen sich auch Eistee ohne Zuckerzusatz mit Süßstoff gesüßt, kalorienreduzierte Fruchtsäfte, am besten mit Wasser verdünnt, sowie ab und zu ein light/zero-Getränk. Regelmäßiges Trinken trägt dazu bei, dass alle Körperfunktionen reibungslos ablaufen können. Außerdem kann es helfen, dass sich Hochbetagte weniger schlapp fühlen und Kopfschmerzen verschwinden – ein typisches Zeichen von Flüssigkeitsmangel.
- Zu einseitige Lebensmittelauswahl
- Essen und Trinken entspricht nicht dem tatsächlichen Bedarf an Makro- und Mikronährstoffen
- Herabgesetzter Energiebedarf
- Weniger Durstempfinden
- Veränderungen von Hunger, Appetit und Sättigung
- Verändertes Geschmacks- und Geruchsempfinden
- Abnahme des Sehvermögens
- Mundtrockenheit
- Zahnverlust
- Schlecht sitzende Zahnprothesen o.ä.
- Kau- und Schluckprobleme
- Zu wenig gebildete Magensäure
- Mangel am Intrinsic-Faktor
- Abnahme der Muskelmasse
- Immobilität
- Veränderung/Behinderungen an oberen Extremitäten
- Veränderung zahlreicher Blutwerte wie Blutzucker, Blutfette, Harnsäure, Blutdruck
- Vergesslichkeit, Verwirrtheit, Demenz
- Einsamkeit
- Depression und Essensverweigerung
- Wirtschaftliche Nöte: Wohnung, Geld, Versorgung
- Gewichtsveränderungen, meist starke Gewichtsabnahme
- Verdauungsstörungen
- Erhöhter Nährstoffbedarf
- Hohe Nährstoffverluste
- Digitalis Intoxikation
- Osteoporosegefahr
Und was ist mit Alkohol?
Gegen maßvollen Genuss von Alkohol, nach Rücksprache mit dem behandelnden Diabetologen und in Kombination mit kohlenhydrathaltigen Mahlzeiten, ist in der Regel nichts einzuwenden. Besteht Übergewicht, ist auf den hohen Energiegehalt alkoholischer Getränke zu achten.
Da es sich jedoch nur um allgemeingültige Richtlinien handelt, sind Modifikationen je nach individueller Situation besonders nötig. Im Einzelfall kann eine etwas gelockerte Ernährungstherapie Betroffenen eher das bieten, was ihnen schmeckt – auch wenn es den Grundprinzipien teilweise widersprechen kann.
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2015; 27 (11) Seite 18-21