Novo Nordisk hat eine moralische Verpflichtung gegenüber den Patienten, die bisher von Insulin degludec profitieren. Ein Kommentar von Dr. Martin Lederle.

Mitmachen: Aufruf an Novo Nordisk und an den G-BA
Unterstützen Sie die Forderungen von Dr. Martin Lederle? Dann beteiligen Sie sich an seinem Aufruf an Novo Nordisk sowie an den Gemeinsamen Bundesausschuss, den Patienten die weitere Behandlung mit Insulin degludec zu ermöglichen.

Am 1. Juli 2015 hat das Unternehmen Novo Nordisk mitgeteilt, dass der Vertrieb des Basalinsulins Tresiba® (Insulin degludec) in Deutschland Ende September eingestellt wird (1). Diese Nachricht war für mich ein ziemlicher Schock, denn das Unternehmen hatte in den Monaten zuvor immer wieder versichert, Insulin degludec in Deutschland dauerhaft zur Verfügung stellen zu wollen. Auf diese Aussage habe nicht nur ich mich verlassen.

Viele Patienten kommen mit Insulin degludec besser zurecht

Insulin degludec wurde im Mai 2014 in Deutschland eingeführt. In der Diabetespraxis Ahaus wurden im 2. Quartal 2015 mehr als 2 000 Patienten mit Diabetes mellitus auf Überweisung von Vertragsärzten mitbetreut, davon 432 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 und etwa 1 100 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2, die eine Insulintherapie durchführen. 164 Patienten erhielten im zurückliegenden Quartal Insulin degludec, 89 % dieser Patienten haben einen Diabetes mellitus Typ 1.

Ich habe diese Patienten seit Mai 2014 auf Tresiba® umgestellt, da sie mit dem vorher verwendeten Verzögerungsinsulin (die meisten dieser Patienten hatten Lantus® oder Levemir® im Gebrauch) ihre Therapieziele nicht erreichen konnten. Insulin degludec ist natürlich kein „Wunderinsulin“, aber viele dieser Patienten haben am eigenen Körper erfahren, dass sie mit diesem Insulin im Vergleich zu den bisher im Gebrauch befindlichen Verzögerungsinsulinen deutlich besser zurechtkommen:

  • Der Blutglukoseverlauf ist viel stabiler.
  • Die Schwankungsbreite der Blutglukosewerte ist geringer.
  • Es sind weniger Hypoglykämien aufgetreten, insbesondere in der Nacht; dies hat dazu geführt, dass die Patienten selbst und auch die Angehörigen in der Nacht wieder beruhigter und damit besser schlafen konnten.
  • Die nur einmal tägliche Gabe des Verzögerungsinsulins ist für viele Patienten eine deutliche Erleichterung im Alltag und damit ein Zugewinn an Lebensqualität.

Viele dieser Patienten, die in den letzten Jahren in einem intraindividuellen Setting häufig schon drei verschiedene Verzögerungsinsuline (protaminverzögertes Insulin, Insulin glargin U 100 und/oder Insulin detemir und zuletzt Insulin degludec) verwendet haben, antworten auf die Frage, mit welchem Verzögerungsinsulin sie am besten zurechtgekommen sind: „Mit Tresiba®.“ Dieses Urteil der Patienten hat für mich ein großes Gewicht.

„Mama, geht es dann wieder los mit den schweren Unterzuckerungen?“

Ich möchte exemplarisch eine Patientin aus der Diabetespraxis Ahaus vorstellen: Frau Ü. ist heute 46 Jahre alt und hat seit ihrem 19. Lebensjahr einen Diabetes mellitus Typ 1. Seit 14 Jahren stellt sie sich alle drei Monate zur Befundkontrolle vor. Seit Diagnosestellung hat sie eine intensivierte konventionelle Insulintherapie durchgeführt und als Basalinsulin bis April 2004 ein protaminverzögertes Insulin verwendet, das sie zuletzt dreimal täglich applizierte.

Bei der Patientin besteht seit Jahren eine Hypoglykämiewahrnehmungsstörung. Von April 2004 bis Januar 2005 verwendete sie Insulin glargin und anschließend bis Juli 2014 Insulin detemir, das sie zuletzt morgens und vor dem Schlafen applizierte. In diesen Jahren traten immer wieder schwere Hypoglykämien auf. Eine Insulinpumpentherapie hat sie bisher abgelehnt. Seit Juli 2014 verwendet Frau Ü. Insulin degludec – und seither ist keine schwere Hypoglykämie mehr aufgetreten.

Ihr eindeutiges Statement im August 2015: Tresiba® ist für sie das beste Verzögerungsinsulin, das sie bisher im Gebrauch hatte. Der Blutglukoseverlauf ist viel stabiler im Vergleich zu den anderen Verzögerungsinsulinen und das Hypoglykämierisiko ist viel geringer. Sie nahm im letzten Jahr an einer Gruppenschulung zur Verbesserung der Hypoglykämiewahrnehmung teil. Während der Schulung trat bei einem anderen Teilnehmer eine schwere Hypoglykämie auf.

Frau Ü. war davon sehr beeindruckt, um nicht zu sagen geschockt; ihr Kommentar dazu: „Mir ist dabei bewusst geworden, wie ich mich selbst in einer solchen Situation verhalten habe und was mein Ehemann und meine Tochter dabei erleben mussten. Das will ich nicht mehr haben.“ Und sie sagte weiter: „Als meine heute 16-jährige Tochter jetzt gehört hat, dass Tresiba® Ende September in Deutschland nicht mehr erhältlich sein soll, sagte sie spontan zu mir: ‚Mama, geht es dann wieder los mit den schweren Unterzuckerungen?‘“ Frau Ü. und ihre Familienangehörigen denken mit großer Sorge an Ende September und an das, was dann möglicherweise wieder auf sie zukommen wird.

Vergleichstherapie Humaninsulin ist weltfremd

Was ist von Mai 2014 bis zum 1. Juli 2015 passiert? Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat am 30. Juli 2014 die Dossierbewertung zu der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) angeforderten Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V für den Wirkstoff Insulin degludec (Tresiba®) veröffentlicht (2).

Für die Beurteilung des Zusatznutzens von Insulin degludec bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 wurde vom G-BA als zweckmäßige Vergleichstherapie Humaninsulin, also protaminverzögertes Insulin vorgegeben. Das ist für mich weltfremd. Ich denke, die meisten Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1, die in Deutschland eine intensivierte konventionelle Insulintherapie durchführen, verwenden inzwischen ein langwirksames Insulinanalogon (Lantus® oder Levemir®).

Zusatznutzen fehlt aus formalen Gründen

Die Begründung des IQWiG für einen fehlenden Beleg eines Zusatznutzens für diese Patientengruppe waren unvollständige Daten: „Damit ist der vom pU (Anm. d. Autors: pharmazeutischer Unternehmer, hier Novo Nordisk) vorgelegte Studienpool für das Anwendungsgebiet Diabetes mellitus Typ 1 unvollständig.

Zudem hat der pU nicht alle notwendigen Informationen in den Modulen 1 bis 4 zur Verfügung gestellt und der Verwendung der Informationen aus Modul 5 widersprochen. Damit ist der Zusatznutzen von Insulin degludec bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 nicht belegt.“


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