Verhulst CEM, Fabricius TM, Nefs G et al; Department of Internal ­Medicine, Radboud University Medical Center, Nijmwegen, Niedrelande; Diabetes Care 2022; 45: 2103 – 2110.

Fragestellung: Hypoglykämie bedeutet eine unmittelbare Bedrohung für die kognitive Funktion. Wegen der Assoziation mit akuter kognitiver Störung definiert die International Hypoglycemia Study Group (IHSG) eine Blutglukosekonzentration von < 3,0 mmol/l als „Level 2 Hypoglykämie“. Die Studie untersuchte, ob Diabetes, der Diabetes-Typ oder die Hypoglykämiewahrnehmung diese Assoziation verändert.

Studiendesign und Methoden: Erwachsene mit Typ-1-Diabetes mit normaler (n = 26) oder eingeschränkter (n = 21) Hypoglykämiewahrnehmung oder Insulin-behandelter Typ-2-Diabetes (n = 15) und altersgematchte Kontrollpersonen ohne Diabetes (n = 32) wurden einem hyperinsulinämischen-euglykämischen-hypoglykämischen Glukose-Clamp unterzogen (2,80 ± 0,13 mmol/l [50,2 ± 2,3 mg/dl]). Vor und während der Hypoglykämie wurden Rechenvermögen, Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis und kognitive Flxeibilität gemessen mit dem Paced Auditory Serial Attention Test (PASAT) und dem Test of Attentional Performance (TAP).

Resultate: In der gesamten Gruppe reduzierte Hypoglykämie den mittleren ± SD-Anteil an korrekten Antworten beim PASAT um 8,4 ± 12,8 %, erhöhte die Reaktionszeit beim TAP Alertness Task um 32,1 ± 66,6 ms und erhöhte die Summe der Fehler und Ausfälle beim TAP Arbeitsgedächtnis-Test um 2,0 ± 5,5 (alle p < 0,001). Hypoglykämie-induzierte kognitive Einschränkungen waren unabhängig vom Vorliegen und Typ des Diabetes, dem Ausmaß der symptomatischen Wahrnehmung, der Diabetesdauer oder HbA1c.

Schlussfolgerung: HSG-Level 2-Hypoglykämie behindert die kognitive Funktion bei Menschen mit und ohne Diabetes unabhängig vom Diabetes-Typ und der Hypoglykämiewahrnehmung. Diese Ergebnisse bestätigen den Cutoff von Hypoglykämie von < 3,0 mmol/l (< 54 mg/dl) als klinisch relevant für die meisten Menschen mit Diabetes.

Kommentar: Eine ausreichende Versorgung der Zellen, vor allem auch des Gehirns, mit Glukose ist für den Organismus essentiell. Dies ist lange bekannt genauso wie die protektiven Mechanismen bei fallender Blutzuckerkonzentration. Debattiert wurde dagegen immer wieder die Definition der Hypoglykämie, besonders bei Menschen mit Diabetes, deren Systeme auf eine Hypoglykämie wegen der antidiabetischen Therapie anders reagieren können als die der Menschen ohne Diabetes. Hypoglykämien provozieren Symptome durch eine Aktivierung des Sympathikus und neuroglukopenische Symptome. Diese Studie verdeutlicht, dass die neuroglukopenischen Symptome, d. h. eine Einschränkung der kognitiven Funktionen, gesteuert werden durch die Höhe der Blutglukose, unabhängig davon, ob das betreffende Individuum eine diabetische Stoffwechselstörung aufweist oder nicht. Anders als angenommen, spielen auch Diabetes-Typ, Diabetesdauer, Einstellungsqualität und Hypoglykämiewahrnehmung dabei keine nennenswerte Rolle. Wird eine kritische Blutglukosekonzentration unterschritten, reagieren alle Personen gleich. Die arbiträre Definition der Level 2-Hypoglykämie der IHSG wird damit bestätigt. Nicht untersucht wurden rezidivierende Hypoglykämien, die nachweislich die Reaktionen des Organismus verändern können.



Autorin:
Priv.-Doz. Dr. med. Kornelia Konz

Erschienen in: Diabetes-Congress-Report, 2022; 22 (5) Seite 47