Bis zu acht Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), der sogenannten „Schaufensterkrankheit“. Doch nur etwa die Hälfte dieser Patienten mit Durchblutungsstörungen in den Beinen erhält ein preisgünstiges Statin, das Schlaganfall, Herzinfarkt, Amputation und Tod um 30 Prozent reduziert. Stattdessen zeichnet sich ab, dass Ärzte zunehmend neue Medikamente verordnen, die um den Faktor 100 teurer, aber nicht wesentlich wirksamer oder sicherer als Statine sind. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e. V. (DGG) anhand neuer Daten hin. „Die mangelhafte Statinverordnung verursacht unnötige Gesundheitskosten“, betont DGG-Experte Privatdozent Dr. med. Christian-Alexander Behrendt. Jeder pAVK-Patient sollte ab Diagnosestellung ein Statin einnehmen, auch um schweren Folgeerkrankungen vorzubeugen.

Hauptursache der Schaufensterkrankheit ist eine Verkalkung der Gefäße, die das Bein mit Blut versorgen. Die Verengung führt bei körperlicher Belastung zu einem Sauerstoffmangel in der Muskulatur, der sich wie ein Muskelkrampf oder Muskelkater anfühlt und die Betroffenen zum Stehenbleiben zwingt – so, als wollten sie die Auslagen in Schaufenstern betrachten. In späteren Krankheitsstadien kann es auch zu Schmerzen in Ruhestellung oder Wundheilungsstörungen kommen. PAVK-Patienten sind Risikokandidaten für Amputationen, aber auch für andere lebensbedrohliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen: 70 Prozent der pAVK-Patienten erleiden langfristig einen Herzinfarkt, weitere fünf Prozent erliegen einem Schlaganfall.

Wirksamkeit weltweit eindeutig bewiesen

Ein Faktor, der zur Verstopfung der Arterien führt, ist die Einlagerung von ungünstigen Blutfetten – von LDL-Cholesterin – in den Gefäßwänden. Statine reduzieren diese LDL-Blutfette und hemmen gleichzeitig Entzündungen in den Gefäßwänden. „Damit halten Statine das Voranschreiten der Schaufensterkrankheit auf und senken die Rate von Herzinfarkten, Schlaganfällen, Amputationen und Tod um 30 Prozent“, erklärt Behrendt, der als Gefäßchirurg an der Klinik und Poliklinik für Gefäßmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf tätig ist. „Ihre Wirksamkeit ist in vielen hochwertigen Studien weltweit belegt“, fügt der Gefäßexperte hinzu. Aus diesem Grund empfehlen alle involvierten medizinischen Fachdisziplinen die Verordnung von Statinen für pAVK-Patienten in ihren Leitlinien.

Statine sind sehr sicher – Nebenwirkungen im Promillebereich

Statine sind aber nicht nur wirkungsvoll, sie sind zugleich sehr sicher. So wurde in einer Analyse mit 22.208 Patienten neben der Effektivität die Sicherheit der Blutfettsenker untersucht. Ergebnis: Es gibt keinen Hinweis, dass Statine Diabetes mellitus oder behandlungsbedürftige Muskelerkrankungen fördern. Auch die Furcht vor Beinschmerzen als Nebenwirkung ist in vielen Fällen unbegründet. „Studien haben gezeigt, dass die Beinschmerzen bei Einnahme von Statinen häufig auf einem Placebo-Effekt beruhen – sie stellten sich auch ein, wenn die Patienten ein wirkungsloses Schein-Präparat erhielten“, so Behrendt. Insgesamt sei die Rate der schweren Nebenwirkungen bei Statinen verschwindend gering. „Sie liegt im Promillebereich“, erläutert der Gefäßspezialist. Als weiterer Pluspunkt kommt bei den Statinen der Preis hinzu: Eine Tagesdosis kostet nur etwa zwanzig Cent.

7.000 Euro pro Jahr und Patient für moderne Präparate

Trotz dieser Vorteile werden zu wenig Statine verordnet und eingenommen. Wie eine umfassende, aktuelle Auswertung von Daten der Barmer Ersatzkasse zeigt, erhielten im Jahr 2018 nur etwa die Hälfte der pAVK-Patienten einen Blutfettsenker. „Stattdessen zeichnet sich ein Trend ab, wonach Ärzte zunehmend neue Lipsenker verschreiben, die 100-fach teurer als Statine sind“, kritisiert Behrendt. Während sich die Kosten für Statine pro Jahr und Patient auf etwa 100 Euro belaufen, sind beispielsweise für moderne PCSK-9-Hemmer 7.000 Euro fällig.

Gefahr von Mehrausgaben in Milliardenhöhe

Insgesamt gaben die gesetzlichen Krankenkassen laut Arzneimittelverordnungsreport im Jahr 2019 für die Versorgung von 14.000 Patienten mit neuen Fettsenker-Präparaten knapp 100 Millionen Euro aus – allein im Jahr 2019 schnellte die Verschreibungsquote um fast 29 Prozent hoch. „Setzt sich die Tendenz zu neuen Medikamenten ungebremst fort, kommen bald zusätzliche Milliarden-Kosten auf unser Gesundheitssystem zu – und damit unnötige Belastungen für jeden Beitragszahler“, warnt DGG-Experte Behrendt. „Denn wir könnten das Gleiche mit sehr viel weniger Geld erreichen, indem Ärzte Statine verordnen. Die Daten für Statine sprechen in Bezug auf Wirksamkeit, Anwendungssicherheit und Preis eine klare Sprache.“

Ärzte sollen Patienten intensiver aufklären

Auch für den Präsidenten der DGG, Professor Dr. med. Dittmar Böckler, liegen die Konsequenzen klar auf der Hand. „Jeder Arzt, insbesondere jeder Hausarzt, und jeder Patient sollte wissen: Sobald die Diagnose pAVK vorliegt, muss täglich ein Statin eingenommen werden“, so Böckler. „Ängste vor Nebenwirkungen sind dabei unberechtigt. Wir müssen dazu verstärkt das Gespräch suchen, denn nur der informierte Patient arbeitet mit.“ Neue Präparate sollten nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen.


Quellen:
(1) C.-A. Behrendt, F. Peters: Statine in der Behandlung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Weltweit am häufigsten verschrieben, nur eben nicht bei denen, die sie am meisten benötigen, Gefässchirurgie, published online: 05 November 2020. https://doi.org/10.1007/s00772-020-00721-5
(2) Frederik Peters, Jenny Kuchenbecker, Thea Kreutzburg, Ursula Marschall, E. Sebastian Debus, Christian-Alexander Behrendt: Long-Term Effectiveness and Safety of Initiating Statin Therapy After Index Revascularization In Patients With Peripheral Arterial Occlusive Disease, J Am Heart Assoc. 2020;9:e018338. DOI: 10.1161/JAHA.120.018338
(3) Frederik Peters, Thea Kreutzburg, Henrik C. Rieß, Franziska Heidemann, Ursula Marschall, Helmut L’Hoest, Eike S. Debus, Art Sedrakyan, Christian-Alexander Behrendt: Optimal Pharmacological Treatment of Symptomatic Peripheral Arterial Occlusive Disease and Evidence of Female Patient Disadvantage: An Analysis of Health Insurance Claims Data, Eur J Vasc Endovasc Surg (2020) 60, 421e429. https://doi.org/10.1016/j.ejvs.2020.05.034
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Quelle: Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e.V. (DGG)