Die diabetische Nephropathie als mikrovaskuläre Erkrankung der Niere ist die häufigste zur Dialyse führende Erkrankung (Anteil 40 %) und eine der Hauptkomplikationen eines langjährigen Diabetes mellitus (DM).
Etwa 35 bis 45 % der Patienten mit Typ-1-Diabetes und 20 % der Patienten mit Typ-2-Diabetes entwickeln nach 10 bis 30 Jahren Krankheitsdauer eine Nephropathie.
Wird eine Nephropathie rechtzeitig erkannt, kann der Verlauf durch Lebensstiländerungen und optimale Blutzucker- und Blutdruckeinstellung mit Gabe von Hemmern des Renin-Angiotensin-Systems, in neuerer Zeit auch durch Gabe von SGLT-2-Hemmern, GLP-1-Agonisten und nicht-steroidalen Mineralkortikoid-Antagonisten günstig beeinflusst werden.
Hyperfiltration und Nierenhypertrophie wesentliche Faktoren
Es handelt sich um eine mikrovaskuläre Komplikation eines langjährigen Diabetes mellitus mit dem Zusammenspiel hämodynamischer, metabolischer und genetischer Faktoren.
Wesentliche Faktoren sind die Hyperfiltration verbunden mit einer Nierenhypertrophie, welche bei DM Typ 1 unmittelbar nach Krankheitsbeginn bei 34 bis 67 % der Patienten auftreten kann (1), bei DM Typ 2 aber nur in 20 % der Fälle gesehen wird. Die Hyperfiltration wird u.a. durch eine Angiotensin- 2-induzierte Vasokonstriktion des Vas efferens und durch eine multifaktorielle Dilatation des Vas afferens bedingt. So wird z.B. der Natrium-Glukose-Cotransporter (SGLT-1 und SGLT-2) früh im Krankheitsverlauf hochreguliert. Daraus folgt ein erniedrigtes Natriumangebot an der Makula densa, was wiederum zur Freisetzung von Stickstoffmonoxid und Prostanoiden führt und das Vas afferens dilatiert. Diese Hyperfiltration geht einher mit einem erhöhten intraglomerulärem Druck, der profibrotische Mediatoren freisetzt. Der fibrotische Untergang einzelner Glomerula hat eine weitere Hyperfiltration der verbliebenen Glomerula zur Folge.
Auch bei fehlender Mikroalbuminurie kann Nierenfunktionsverlust resultieren
Eine Hyperglykämie führt außerdem zur vermehrten Bildung von AGE´s (advanced glycation endproducts), die nach Bindung an AGE-Rezeptoren proinflammatorische Zytokine (TNF, IL6, IL-1ß) freisetzen. Dies führt zu einer Makrophagen-Infiltration und zur Freisetzung weiterer Zytokine wie TGF-ß, die wiederum zu Mesangialzell-Hypertrophie und Matrix-Akkumulation führen. Die Folge dieser Vorgänge ist eine Störung der Filterfunktion der Niere mit Auftreten einer Albuminurie. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer zunehmenden Glomerulosklerose mit Noduli (Kimmelstiel-Wilson-Läsion), welche durch einen systemischen Bluthochdruck und genetische Faktoren weiter gefördert wird. Obwohl die Albuminurie (>30 mg/g Kreatinin) mengenabhängig ein wesentlicher Progressionsfaktor ist, kann auch in Abwesenheit einer Mikroalbuminurie bei 39 bis 52 % ein Nierenfunktionsverlust resultieren.
Die Klassifikation von Mogensen, die für Patientinnen und Patienten mit DM Typ 1 entwickelt wurde, ist noch immer gebräuchlich (Tabelle 1). Inzwischen ist aber bekannt, dass bei Menschen mit Diabetes auch ohne Albuminurie eine Verschlechterung der Nierenfunktion eintreten und die Albuminurie-Rate auch ohne Intervention wieder sinken kann.
Gleichzeitige Retinopathie untermauert Diagnose Nephropathie
Die Nierenbiospie bleibt Goldstandard in der Diagnostik, dennoch wird nur eine Minderheit der Patientinnen und Patienten biopsiert. Bei Menschen mit DM Typ 1 gilt die Diagnose einer diabetischen Nephropathie als gesichert, wenn nach 10- bis 20-jährigem Krankheitsverlauf eine Proteinurie, eine Hypertonie und eine progrediente Abnahme der Nierenfunktion besteht. Beim Typ-2-Diabetes sprechen wir von einer diabetischen Nierenerkrankung (nicht Nephropathie), wenn eine Albuminurie oder eine eingeschränkte Nierenfunktion vorliegt, ohne dass damit das histologische Vorhandensein einer diabetischen Glomerulopathie nahegelegt wird. Tatsächlich wird eine typische diabetische Glomerulosklerose nur bei einem Drittel der Patienten mit DM Typ 2 gefunden, bei einem weiteren Drittel eher hypertensive Veränderungen und ansonsten ein Normalbefund. Der gleichzeitige Nachweis einer diabetischen Retinopathie untermauert die Diagnose sowohl bei Typ-1- als auch bei Typ-2-Diabetes.
GFR-Schätzung aus Kreatinin plus Cystatin höchste Übereinstimmung mit tatsächlicher GFR
Da Patienten mit einer Albuminurie mengenabhängig einen rascheren Progress aufweisen, kommt dieser Messung neben der GFR-Abschätzung eine besondere Bedeutung zu. Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes wird der Protein/Krea- und der Albumin/Krea-Quotient erstmals fünf Jahre nach Krankheitsbeginn, bei Patienten mit Typ-2-Diabetes sofort und anschließend ein- bis zweimal jährlich bestimmt. Bei positivem Testergebnis (Albumin > 30 mg/g Kreatinin) wird die Untersuchung nach drei bis sechs Monaten wiederholt. Bei zwei aufeinanderfolgend auffälligen Albuminwerten kann das Vorliegen einer persistierenden Albuminurie angenommen und entsprechende therapeutische Maßnahmen eingeleitet werden. Körperliche Anstrengung, hoher Eiweißkonsum, eine exazerbierte Herzinsuffizienz, Harnwegsinfekte oder Fieber können ebenfalls eine Albuminurie verursachen. Früher wurde bei einer Albuminurie zwischen 30 und 299 mg von einer Mikro- und bei Werten darüber von einer Makroalbuminurie gesprochen. Zusammen mit der Albuminurie wird auch immer der Kreatininwert bestimmt und aus diesem die GFR in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht geschätzt. Bei extrem übergewichtigen oder kachektischen Patienten kann die Bestimmung eines Cystatin C- Wertes zusätzliche Informationen zur aktuellen Nierenfunktion liefern. Die höchste Übereinstimmung mit der tatsächlichen GFR weist die kombinierte GFR-Schätzung aus Kreatinin plus Cystatin auf (2).
Nicht-diabetische versus diabetische Nephropathie
Eine nicht-diabetische Nephropathie sollte bei diesen Konstellationen erwogen werden, was zumeist durch eine Nierenbiopsie gesichert werden kann:
- Proteinurie bei < 5 Jahre Krankheitsverlauf DM Typ 1
- Rasches Auftreten einer Proteinurie oder schneller GFR-Verlust
- Nephritisches Sediment (dysmorphe Erythrozyten, Akanthozyten, Erythrozytenzylinder im Urinsediment), nicht aber eine Mikrohämaturie allein
- Fehlen der Retinopathie bei Patienten mit DM Typ 1
- Asymmetrische Nierengröße, Blutdruckentgleisung und rascher GFR-Abfall (Nierenarterienstenose bei DM Typ 2?)
Bei einer diabetischen Nephropathie zeigt der sonographische Befund meist eine Vergrößerung der Nieren (Nierenvolumen > Körpergewicht x 2 + 20 %). Der renale Widerstand liegt oberhalb der Altersnorm, häufig über 0.80.
Therapie mit medikamentösen und nicht-medikamentösen Maßnahmen
Die Behandlung der diabetischen Nephropathie zielt darauf ab, die Progression der Nierenschädigung zu verlangsamen und damit verbundene Komplikationen zu verhindern. Die Therapie umfasst medikamentöse und nicht-medikamentöse Maßnahmen.
Lebensstiländerungen:
Bei Bluthochdruck wird eine salzarme Diät (< 5 g/Tag) empfohlen. Die Eiweißaufnahme sollte auf 0.8 g/kg begrenzt werden. Mediterrane Kost, regelmäßige körperliche Aktivität und Gewichtsreduktion senken den Blutdruck und entlasten die Nieren. Mit Nikotinstopp wird das erhöhte kardiovaskuläre Risiko reduziert. Die DPP-Studie hat gezeigt, dass die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes bei der Hälfte adipöser Patienten mit pathologischem Glukosetoleranztest durch Gewichtsreduktion von 5 % sowie körperliche Aktivität erfolgreich verhindert werden kann (3).
Blutzuckerkontrolle:
Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes sollte der Ziel-HbA1c-Wert in der Frühphase der Erkrankung nicht mehr als 1 % über der oberen Normgrenze liegen. Bei motivierten, adhärenten und gut geschulten Patienten mit Typ-2-Diabetes, die ein geringes Hypoglykämierisiko, eine kurze Krankheitsdauer, eine lange Lebenserwartung, keine mikrovaskuläre Krankheitsmanifestationen, kardiovaskuläre Erkrankungen oder andere Komorbiditäten aufweisen, sollte der HbA1c-Wert bei ca. 6 %, andernfalls bei bis zu 8 % liegen.
Metformin wird bis zu einer GFR von 45 ml/min und bei Dosishalbierung auch bei einer GFR von 30 bis 45 ml/min empfohlen. SGLT-2-Hemmer sollten nach Möglichkeit allen Patienten mit DM Typ 2 gegeben werden. Die Auswirkung auf den HbA1c-Wert und auf den Blutdruck ist gering. Dennoch wird -vermutlich durch Aufhebung der Hyperfiltration – eine Halbierung der Progressionsgeschwindigkeit erreicht (4,5) (siehe Abb. 1). Vom Einsatz der SGLT-2-Hemmer bei Patienten mit DM Typ 1 muss aufgrund der erhöhten Ketoazidose-Rate abgeraten werden. GLP-1-Rezeptoragonisten haben sich z.B. in der Flow-Studie als reno- und kardioprotektiv erwiesen (6) und führen auch zu einer deutlichen Gewichtsreduktion.
Abb. 1: Nierenfunktionsverlauf vor und nach SGLT-2-Inhibitor-Therapie.
Blutdruckmanagement:
Bei Patienten mit diabetischer Nephropathie sollten ACE-Hemmer oder Angiotensin-2-Rezeptorblocker (ARBs) zur Blutdrucksenkung eingesetzt werden, da sie über die Vasodilatation der efferenten Arteriole einem wesentlichen Pathomechanismus spezifisch entgegenwirken. Evidenzgesichert ist dies aber nur für Patienten mit einer Mikroalbuminurie (7), diesen Patienten sollte ein RAAS-Hemmer auch bei Normotonie gegeben werden. Zwei bis vier Wochen nach Therapiebeginn müssen der Kreatinin- und Kaliumwert überprüft werden. Der Zielblutdruck soweit tolerabel liegt bei < 130/80 mmHg, bei Patienten über 65 Jahre bei < 140/80 mmHg.
Für Patienten mit einer persistierenden Albuminurie > 30 mg/g Kreatinin und einem Kaliumwert < 5 mmol/l werden nicht-steroidale Mineralkortikoid-Rezeptorantagonisten (nsMRA) wie Finerenon zusätzlich zu RAS-Inhibitoren empfohlen (8). Die Kaliumspiegel müssen unter dieser Therapie aber immer überwacht werden.
Nephrotoxische Medikamente wie NSAID (non-steroidal anti-inflammatory drugs) oder Aminoglykoside sollten gemieden werden. Die KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes)-Leitlinie empfiehlt die Gabe von Statinen bei allen Patienten ab 18 Jahren mit einem LDL-Zielwert < 70 mg/dl.
Nierenersatztherapie bei GFR unter 15 Prozent
In fortgeschrittenen Stadien der diabetischen Nephropathie, wenn die Nierenfunktion auf unter 15 % der normalen GFR absinkt, ist eine Nierenersatztherapie erforderlich. Drei Optionen stehen dabei zur Verfügung. Die Hämodialyse (Blutwäsche außerhalb des Körpers) ist die häufigste Therapie bei Nierenversagen. Die Peritonealdialyse ist ein Verfahren, das unter Zuhilfenahme des Bauchfells als endogener Dialysemembran erlaubt, Abfallprodukte und überschüssiges Wasser aus dem Körper zu entfernen. Eine Nierentransplantation kommt für Patienten infrage, die als geeignet für eine solche Operation evaluiert werden können. Mit erfolgreicher Transplantation kann die Lebensqualität erheblich verbessert und die Überlebenszeit verlängert werden. Beim Typ-1-Diabetes mit dem Problem fehlender Insulinbildung und nicht Insulinresistenz wie beim Typ-2-Diabetes, kann simultan eine Pankreas-Transplantation mit dem Potential, Diabetes zu heilen, stattfinden.
Fazit
Die diabetische Nephropathie ist eine ernste und häufige Komplikation des Diabetes, die ohne angemessene Behandlung zu Nierenversagen führen kann. Die frühzeitige Diagnose durch regelmäßige Screening-Untersuchungen auf Mikroalbuminurie und Nierenfunktion (eGFR) und eine konsequente Therapie zur Kontrolle von Blutzucker und Blutdruck sind entscheidend, um das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen. Moderne Therapieansätze, einschließlich SGLT-2-Hemmer, nsMRA und GLP-1-Rezeptoragonisten, bieten vielversprechende Ergebnisse in der Behandlung der diabetischen Nephropathie. In fortgeschrittenen Fällen können Dialyse und Nierentransplantation lebensrettende Maßnahmen darstellen.
- pAVK bei Diabetes: Diagnostik und Therapie
- Diabetes und Niere: Diagnose und Therapie
- Weniger ist mehr – auch in der Kardio-Diagnostik
- Sterbefälle wegen Herzkrankheiten steigen
|
|
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (12) Seite 16-19