Vaskuläre Komplikationen gehören zusammen mit der diabetischen Neuropathie, der diabetischen Retinopathie und der Nephropathie zu den Folgen des Diabetes mellitus (DM). Diese Komplikationen beeinflussen sich häufig funktionell und morphologisch gegenseitig. Je nachdem welche Gefäße betroffen sind, werden Gefäßkomplikationen in periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), koronare Herzkrankheit (KHK) und zerebrale Verschlusskrankheit (ZVK) eingeteilt.
Die Behandlung von zugrundeliegenden Erkrankungen, insbesondere der diabetischen Neuropathie und der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) ist für die Therapie beim diabetischen Fußsyndrom neben einer optimalen Wundversorgung unerlässlich. Eine pAVK und eine diabetische Neuropathie sind die wichtigsten Faktoren, die zur Entstehung eines diabetischen Fußsyndroms beitragen und als Folge dessen zu vermehrten Amputationen führen. Periphere Durchblutungsstörungen der Becken und Beinarterien umfassen Stenosen, Verschlüsse und z.B. aneurysmatische Gefäßveränderungen (1). Das Risiko für eine pAVK liegt bei DM 2- bis 4-fach höher als ohne DM. Neben Nikotinabusus ist Diabetes der wichtigste Risikofaktor für die Entwicklung einer pAVK (2). Liegen beide Risikofaktoren gleichzeitig vor, sind die klinischen Verläufe teils dramatisch. Verglichen mit Menschen ohne DM entwickelt sich die pAVK bei Menschen mit DM meist früher und hat eine schnellere Progression, vor allem in Richtung einer kritischen Extremitätenischämie (CL I). Typisch für die pAVK bei DM ist eine multisegmentale Manifestation mit langstreckigen, kalzifizierten Stenosen/Verschlüssen der Unterschenkelarterien mit unzureichender Kollateralbildung (siehe Fallbeispiel).
Abb. 1: Wunde bei Aufnahme.
Abb. 2: 2a. Leistenarterien li mit Stenose der AFC li distal, sowie mehreren Abgangsstenosen der AFS; 2b. Mehreren Stenosen der AFS li distal; 2c. Unterschenkelarterien li; 2d. Arterielle Fußversorgung li.
Screening auf pAVK mindestens einmal jährlich
In der Diagnostik inklusive Screening wird ein Stufenmodell eingesetzt, unter Berücksichtigung der Klassifikation der Stadien einer pAVK. Die Umsetzung der Stufendiagnostik hängt von der Erfahrung des Arztes/der Ärztin und der technischen Ausstattung ab.
Das Screening auf pAVK sollte bei Menschen mit Diabetes in jeder Praxis mindestens einmal jährlich durchgeführt werden, dazu gehören:
- Anamnese/Symptome: Vorhandensein einer Claudicatio intermittens oder sogar eines ischämischen Ruheschmerzes. Cave: Nur bei etwa jedem Vierten mit pAVK und DM sind Symptome im Sinne einer Claudicatio intermittens oder Ruheschmerz nachweisbar. Eine negative Symptom-Anamnese schließt eine pAVK nicht aus.
- Klinische Untersuchung: Für das Vorliegen einer pAVK sprechen fehlende Extremitäten-Behaarung, kalte Extremitäten oder Temperaturunterschiede im Seitenvergleich, livide Haut, dünne, leuchtende Haut mit Abnahme des Unterhautfettgewebes und der Muskulatur, Nekrosen und Ulcera, nicht tastbare Pulse (bei fehlenden Pulsen wird pAVK-Häufigkeit überschätzt; umgekehrt schließen tastbare Fußpulse eine pAVK nicht aus). Die reaktive Hautdurchblutung der Füße (Kapillarpuls) sollte untersucht und die Gehstrecke (anamnestisch oder idealerweise durch direkte Messung) erfasst werden.
- Apparative Untersuchung: Dazu zählen Gefäßdoppler mit Berechnung des ABI (Knöchel-Arm-Index) (siehe Tab. 2), farbkodierte Duplexsonografie mit Pulskurvenanalyse, Pulsoszillografie der Digitalarterien (DPO) bzw. Licht-Reflexions-Rheografie (LRR) und transkutane Sauerstoffdruckmessung (tcPO2).
- Weitere komplexe apparative Untersuchungen: Feinnadel-Angiographie, MR-Angiografie der Becken-Bein-Arterien, CT-Angiografie der Becken-Bein-Arterien, intraarterielle Angiografie mit Kontrastmittel (KM) oder CO2 sollten bei symptomatischen oder gefährdeten Patienten nur bei therapeutischer Konsequenz durchgeführt werden.
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) empfiehlt, dass ein Gefäßmediziner konsultiert werden muss, wenn bei Patienten mit DM ein ABI < 0,7, systolische Zehendrücke < 40 mmHg, systolische Knöcheldrücke < 70 mmHg oder ein transkutaner Sauerstoffpartialdruck (tcPO2)-Wert < 30 mmHg ermittelt wird (1, 3).
Bei symptomatischer pAVK Clopidogrel besser als ASS
Das strukturierte Gehtraining stellt bis Fontaine-Stadium IIb die Basisbehandlung dar. Ab Fontaine-Stadium III ist das strukturierte Gehtraining Bestandteil einer umfangreicheren Therapie. Zur Primärprävention bei pAVK besteht keine Indikation für die Behandlung mit Thrombozyten-Aggregations-Hemmer (TAH). Zur Sekundärprävention gibt es bei asymptomatischer pAVK keine klare Indikation für TAH. Bei symptomatischer pAVK ist die Gabe von Clopidogrel 75 mg besser als ASS 100 mg. Liegt ein hohes Risiko für ischämische Ereignisse vor, sollte Rivaroxaban 2 × 2,5 mg plus ASS 100 mg eingesetzt werden. Bei der Blutdruckeinstellung für pAVK-Patienten variieren die Zielwerte nach Alter. Für Menschen von 18 bis 65 Jahren wird systolisch ein Wert < 130 mmHg empfohlen, über 65 Jahre ein Ziel < 140 mmHg. Generell sollte der systolische Blutdruck bei über 120 mmHg gehalten werden. Hemmer des Renin-Angiotensin-Systems sind bei pAVK-Patienten das Mittel der Wahl (1).
Statin-Therapie hochtitrieren
Auch wenn die wissenschaftliche Evidenz bei Diabetes-Patienten für die cholesterinsenkende Therapie nicht so umfangreich ist wie in der Gesamtbevölkerung und Daten eher aus Subgruppenanalysen stammen, können für pAVK und Diabetes Empfehlungen gegeben werden, um die Mortalität, Morbidität und eventuell eine leichte Verbesserung der Gehstrecke zu erreichen. Die Statin-Therapie sollte bis zur für den Patienten jeweils maximal tolerablen Dosierung hochtitriert werden. Als absolutes LDL-Cholesterin-Ziel wird < 70 mg/dl (1,8 mmol/l) oder eine Absenkung um mehr als 50 % bei einem Ausgangs-LDL-Wert von 70 bis 135 mg/dl (1,8 bis 3,5 mmol/l) angestrebt (4). Bei Diabetes-Patienten mit hohem Risiko (amputationsbedrohter Extremität) wird ein LDL-Ziel von < 55mg/dl (1,4 mmol/l) empfohlen (5). Bei Nichterreichen der Zielwerte oder Nebenwirkungen kann die Statin-Therapie um Ezetrol ergänzt werden, auch wenn für Ezetrol keine robusten Daten bei pAVK vorliegen (1). Bei Statin-Unverträglichkeit kann mit Bempedoinsäure behandelt werden, wobei Interventionsstudien mit dieser Substanz noch fehlen (1). Ebenfalls bei Statin-Unverträglichkeit oder bei progressiver pAVK unter Statin-Therapie können PCSK-9-Hemmer (Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9) eingesetzt werden. In Anbetracht der hohen Therapiekosten sollte die Verordnungsfähigkeit im Vorfeld abgeklärt werden. Fibrate senken die Triglyceride und erhöhen das HDL-Cholesterin. Besonders mikrozirkulationsbedingte Amputationsraten werden vermutlich reduziert, allerdings scheinen Menschen mit Diabetes und Makroangiopathie weniger von dieser Therapie zu profitieren (6). Die Kombination von Fibraten mit Statinen sollte auch kritisch bewertet werden.
Interdisziplinäre Entscheidung zur interventionellen oder chirurgischen Therapie
Ob bei einem Patienten mit pAVK eine interventionelle Therapie oder eine chirurgische Therapie durchgeführt wird, sollte immer interdisziplinär entschieden werden (Expertise Diabetologie, Angiologie und Gefäßchirurgie).
Die Indikationen und Methoden der interventionellen Therapie sind:
- Claudicatio intermittens
- Nichtheilende, chronische Ulcera trotz Druckentlastung und optimaler Wundversorgung inklusive Infektionstherapie
- Kritische Extremitätenischämie: Die "Endovascular-first"-Strategie (endovaskuläre Intervention wird einem chirurgischen Prozedere vorgezogen) gewinnt seit mehreren Jahren immer mehr an Bedeutung (7).
- Akute Extremitätenischämie: Interventionell-endovaskuläre Ansätze hierfür sind die lokale Katheterlyse, die mechanische Thrombektomie mittels Aspiration oder spezielle Thrombektomiekatheter (1).
Nach peripheren Gefäßeingriffen Thrombozyten-Funktions-Hemmer erforderlich
Bei Diabetes-Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion und noch erhaltener Restausscheidung kann die Angiografie und die interventionelle Therapie unter Verwendung von CO2 als negativem intravasalem Kontrastmittel zur Nephroprotektion verwendet werden. Eine geringe Menge an Kontrastmittel ist in diesen Fällen notwendig.
Inwiefern eine Ballondilatation erfolgt und eine Stentimplantation mit beschichteten oder Bare-metal-Stents angeschlossen wird, liegt im Ermessen des Angiologen.
Nach peripheren Gefäßeingriffen sind Thrombozyten-Funktions-Hemmer zur Sekundärprophylaxe erforderlich. In einer großen, randomisierten Studie konnte die Gabe von Rivaroxaban in einer Dosierung von 2,5 mg zweimal täglich zusätzlich zu ASS 100 mg das Risiko für akute Extremitätenischämie, Major-Amputationen, Myokardinfarkt, Schlaganfall und Tod signifikant reduzieren (8).
Chirurgische Maßnahmen
Bei kritischer Extremitätenischämie (Wound Ischemia and Infection Classification [= WIFI] Stadien 3 und 4 oder WIFI-Ischämiegrad 2 und 3) und ausgewählten Risikopatienten sind offene chirurgische Maßnahmen der Rekonstruktion (Bypass-Verfahren) bevorzugte Behandlungsoptionen (9). Die Bypass-Operation kann anderen Interventionen bei vorhandener körpereigener Vene (Vena saphena magna), komplexen Verschlüssen und guten peripheren Anschlussmöglichkeiten vorgezogen werden. Dies ist eine Entscheidung, die in einem interdisziplinären Setting getroffen werden muss. Nicht nur der Befund des Betroffenen sollte ausschlaggebend sein, sondern auch die klinische Erfahrung und die Therapiemöglichkeiten vor Ort. In einigen Fällen sind auch sogenannte Hybridverfahren (Kombination Operation und endovaskuläre Eingriffe) sinnvoll. Die operative Versorgung und der endovaskuläre Eingriff können entweder an einem Tag hintereinander oder im Intervall vorgenommen werden (siehe Fallbeispiel nächste Seite).
Die Behandlung eines diabetischen Fußsyndroms vor allem mit chirurgischen Maßnahmen, ohne vorher die Durchblutungssituation untersucht und sichergestellt zu haben, dass eine für die Wundheilung ausreichende Vaskularisation vorliegt, ist ein Kunstfehler. Leider sehen wir immer noch häufig solche Fälle: Patienten, die über Monate oder sogar Jahre wegen chronischer Ulzera behandelt wurden, und Patienten, die nach Amputation Wundheilungsstörungen aufweisen. Eine konsequente Diagnostik und Therapie der pAVK bei Menschen mit Diabetes mellitus ist deshalb unverzichtbar.
- pAVK bei Diabetes: Diagnostik und Therapie
- Diabetes und Niere: Diagnose und Therapie
- Weniger ist mehr – auch in der Kardio-Diagnostik
- Sterbefälle wegen Herzkrankheiten steigen
|
|
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (12) Seite 10-14