Wann hat es ein Insulin eigentlich verdient, smart genannt zu werden? Und auf welche Voraussetzungen kommt es dabei ganz besonders an? Professor Lutz Heinemann erklärt das auf den folgenden Seiten.
Das physiologische Insulinsekretionsmuster ist bei stoffwechselgesunden Menschen geprägt von charakteristischen Spitzen im Glucoseverlauf im Zusammenhang mit Mahlzeiten sowie niedrigen Mengen in den Zeiten dazwischen und in der Nacht. Der Versuch, dieses Muster durch subkutane Insulininjektionen eines Bolus- und Basalinsulins nachzuahmen, gelingt nur bedingt gut. Die technische Lösung einer automatisierten Insulin-Dosierung (AID) mittels einer Insulinpumpe in Abhängigkeit von der vorherrschenden Glukosekonzentration schafft dies deutlich besser. Allerdings sind der notwendige Aufwand und die Kosten erheblich.
Smarte Insuline sind deshalb ein attraktiver alternativer Ansatz, der schon seit vielen Jahren verfolgt wird. Allerdings ist noch kein Produkt auf dem Markt bzw. für die Diabetestherapie verfügbar. Es gibt zwar eine ganze Reihe von Patenten, aber nur wenige Studien, die fast alle mit Mäuse und Ratten durchgeführt wurden.
Die Grundidee von Smarten Insulinen ist relativ einfach: Insulin wird an ein "glukosemessendes Molekül" gekoppelt, so dass bei einem Anstieg der Glukosekonzentration im Körper das Insulin bedarfsgerecht freigesetzt wird. Damit wäre ein AID-System ohne zusätzliche technische Geräte möglich, eine ausgesprochen attraktive Option. Für die Therapie müsste sich der Patient mit Diabetes einmal am Tag oder auch seltener ein "Insulindepot" spritzen. Aus diesem Depot würde das Insulin bei Bedarf freigesetzt.
Smarte Insuline könnten so zu einer optimalen Glukosekontrolle führen und zwar ohne, dass Technologie am Körper getragen werden muss. Das würde auch zu einem deutlich reduzierten Risiko für Hypoglykämien führen, sofern die Freisetzung rechtzeitig genug gestoppt wird. Auch die Möglichkeit, das zu Essen, was man gerade essen möchte, ohne entsprechende Kalkulationen der BE-Raten, wäre mit einem smarten Insulin möglich, außer vielleicht bei extremen Mahlzeiten.
Wenn mit Hilfe von smarten Insuline die Freisetzung des Insulins – entsprechend des aktuellen Bedarfs – erfolgt, der ja je nach Insulinsensitivität und Lebenssituation variieren kann, käme dies einer Heilung von Diabetes schon ziemlich nahe.
Smarte Insuline sind also ein attraktiver Ansatz, der zu vielen Forschungsaktivitäten führt. Auch Patente und Publikationen zum molekularen Design von Smarten-Insulin sowie von in-vitro-Resultaten liegen reichlich vor und es gibt hunderte von Publikationen zu präklinischen Daten von Tierversuchen mit Nagern, Hunden und Schweinen, bislang aber nur eine einzige Publikation zu den klinischen Daten einer Humanstudie (s.u.) und kein Produkt auf dem Markt. Die Hauptschwierigkeiten dabei sind, dass der "Glukosesensor", also das glukosemessende Molekül, eine ausreichende Selektivität und Affinität für Glukose aufweisen muss, gepaart mit einer signifikanten Antwort in einem sehr schmalen Glukosebereich (2-20 mmol/l) und einer hohen Sicherheit, mit einer sehr niedrigen Toxizität und immunologischen Risiko.
Gleichzeitig muss das "Molekül", an das das Insulin angelagert wird, eine hohe Biokompatibilität aufweisen, es sollte degradierbar sein und in wässerigen Lösungen eine hohe Stabilität aufweisen. Last but not least sollte die Freisetzung des Insulins rasch erfolgen, und es darf nicht zu ausgeprägten Verzögerung kommen.
Grundsätzliche Ansätze
Es sind vorrangig drei Ansätze, die verfolgt werden, um dieses Ziel zu erreichen:
- Chemische Modifikationen des Insulins, um es "smart" zu machen,
- "Smarte" Einkapslungssysteme,
- Systeme aus der Nanotechnologie.
Bereits im Jahr 1979, vor 45 Jahren also, wurde ein Artikel in dem hoch angesehenen Journal SCIENCE publiziert, bei dem die Bindung von Insulin an Lecitin beschrieben wurde [1]. Concanavalin A und ein Insulin mit einem gekoppelten Zuckermolekül binden einander. Das glukoseabhängige Verhalten ergibt sich, wenn Insulin aus dieser Bindung durch Ankopplung von Glukose verdrängt wird, die freigesetzte Insulindosis ist proportional zur vorherrschenden Glukosekonzentration in der umgebenden Flüssigkeit. Die nun im Blut zirkulierenden Insulin-Moleküle senken die Blutglukosekonzentration ab, was wiederum die Insulinfreisetzung vermindert.
Einen solchen Ansatz verfolgte die Start-up-Firma SmartCells, gegründet im Jahre 2003 und 2010 von dem US-Pharmafirma Merck aufgekauft. Es wurde eine klinische Studie mit MK-2460 durchführt und publiziert [2]. Allerdings wurde dieser Ansatz dann nicht weiterverfolgt. Bei einem weiteren Ansatz wird Insulin an Phenylboronsäure (PBA) gebunden, eine Substanz, die reversible Bindungen mit Glukose eingehen kann. Kommt es zu einer Glukosebindung an den PBA-Insulin-Komplex, wird die Ladung von Insulin dadurch geändert und das beeinflusst die Verfügbarkeit von Insulin. Nach subkutaner Applikation dieser Insuline wurden die Glukosewerte von diabetischen Mäusen bis zu 13 Stunden normalisiert.
Die Frage dabei, die noch nicht beantwortet wurde, lautet: Wenn ein Depot mit einer gewissen Menge an Insulin irgendwo im Körper etabliert wird, wird dann von dort aus freigesetztes Insulin verteilt? Oder wird dieses durch Kopplung des glukoseempfindlichen Insulins an rote Blutkörperchen direkt im Blut aufgebaut?
Wie kann ein Smart-Insulin funktionieren?
Es gibt drei verschiedene Typen von kovalenten Modifikationen der Insulinstruktur, welche das Insulinmolekül selber "glukoseempfindlich" machen, also eine Glukoseantwort auslösen können mit einer Insulinfreisetzung bei steigenden Glukosekonzentrationen:
- Glukoseabhängige Löslichkeit und Aggregation
- Glukoseabhängige Bindung an endogene Substanzen wie Albumin, Lecitin (s.o.) oder andere Ziele
- Insulin wird glukoseabhängig an den Insulinrezeptor gebunden
Aktuell macht die Start-up-Firma Carbometrics aus Bristol in Großbritannien von sich reden, weil deren Moleküle eine hohe Affinität für Glukose aufweisen, gepaart mit starken Änderungen in der Insulinrezeptoraffinität bei Änderungen in der Glukosekonzentration (https://www.carbometrics.com/) [3].
Smarte Insulinfreisetzung aus Kapseln
Eine andere Möglichkeit, ein Insulin-Depot im subkutanen Gewebe zu etablieren, aus dem Insulin bei Bedarf freigesetzt wird, ist die Verpackung von Insulin in Mikrospheren, oder auch Smarte Kapsel. In diesen Kapseln liegt ein Microgel vor, welches anschwillt, wenn die Glukosekonzentration in der Umgebung ansteigt. Dadurch vergrößert sich der Durchmesser der Kapseln, wodurch wiederum sich der Durchmesser von Poren in deren Oberfläche so vergrößert, dass der Austritt von Insulin aus den Kapseln möglich ist.
Die offene Frage dabei ist, mit welchen Biomaterialien solche Kapseln hergestellt werden könnten. Bei einem praktisch verwendeten Ansatz werden Zuckerpolymere verwendet, wie sie bei biologisch abbaubarem Nahtmaterial verwendet werden, dabei sind die Kapseln biologisch abbaubar. Aber ein solches Produkt müsste ein rasches On/Off-Verhalten auf ansteigende Glukosekonzentrationen aufweisen, gleichzeitig eine reproduzierbare Dosisabhängigkeit haben sowie eine gute Biokompatibilität und es darf keine Stimulation des Immunsystems hervorrufen. Eine echte Herausforderung also!
Novo Nordisk ist aktiv!
Seit einer Reihe von Jahren berichtet dieser dänische Insulinhersteller immer mal wieder über seine Aktivitäten bei der Entwicklung von "Glucose-sensitiven" Insulinen (NN1845 und NNC2215) [4], was ein besserer Begriff für diese Insulinklasse ist. Bei NNC2215 wird das Insulin mit einem molekularen Schalter versehen, der entsprechend der Glucosekonzentration die Freisetzung des Insulins dynamisch anpassen kann. Im ersten Schritt wurde ein Bindungsmolekül für die Glukose identifiziert, welches an das Insulin angekoppelt wird. Je nach Glucosekonzentration verformt sich das Molekül und verändert dadurch die Bindungskraft an den Insulinrezeptor und das Insulin kann besser an die Insulinrezeptoren der entsprechenden Körperzellen binden. Hohe Glucosewerte steigerten die Affinität zum Insulinrezeptor um mehr als das Dreifache. Getestet wurde dieses Insulin bisher aber nur im Zellmodell sowie in Tierversuchen mit Ratten und Schweinen. Dabei war die Glucosesenkende Wirkung vergleichbar mit der des langwirksamen Insulins Degludec und das Risiko von Hypoglykämien war erheblich verringert. Novo Nordisk hat nun Phase-1-Studien mit gesunden Probanden und Menschen mit Typ-1-Diabetes initiiert.
Ausblick / Fazit
Trotz einer Vielzahl von interessanten Ansätzen und Ideen ist es bisher nicht gelungen, ein Smartes Insulin zu entwickeln, und es gibt nach wie vor viele offene Fragen: Ist ein smartes Insulin ein Basal- oder ein Bolusinsulin oder beides? Wäre ein basales smartes Insulin schon mal ein guter Anfang, wenn die Freisetzung langsam erfolgt? Wären häufige Injektionen eines Bolus-Smart-Insulins akzeptabel? Kommt es tatsächlich zu der angestrebten Reduktion von Hypoglykämien oder wird möglicherweise doch zu viel Insulin freigesetzt? Wie schaut es mit der Kombination von smartem Insulin mit GLP-1RA aus oder der Kombination mit fully AID-Systemen?
Aktuell ist die Antwort auf die im Titel formulierte Frage eher negativ und smarte Insuline werden wohl nicht in absehbarer Zeit für den praktischen Einsatz zur Verfügung stehen, was sicherlich auch den Sorgen der Zulassungsbehörden geschuldet ist. Wenn die Freilassung des Insulins durch andere und noch unbekannte Faktoren getriggert wird oder nicht adäquat auf den Glukosereiz erfolgt, besteht die Gefahr, dass es zu ausgeprägten Hypoglykämien kommen kann. Wenn aber smarte Insuline tatsächlich direkt auf steigende und sinkende Glucosekonzentrationen antworten würden du alle offenen Fragen geklärt wären, hätte ein solcher Ansatz das Potential, ein wirklicher "game changer" zu werden!
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (1) Seite 22-24