In Diabetes Care wurde gerade eine interessante Studie veröffentlicht. Darin geht es um die Wahrnehmung von Hypoglykämien bei Patienten mit Diabetes, die ein CGM-System nutzen. Genauer gesagt: Gibt es Unterschiede zwischen den subjektiv wahrgenommenen und den vom CGM-System festgestellten Hypoglykämien?
Eine europäische Forschergruppe hat untersucht, ob die von Patienten mit Diabetes wahrgenommenen Hypoglykämien (Patient Reported Hypoglycemia, PRH) mit den durch kontinuierliche Glukosemonitoringsysteme (Continuous Glucose Monitoring, CGM) erkannten Hypoglykämien (Sensor-Detected Hypoglycemia, SDH) übereinstimmen. Die Ergebnisse wurden in der US-Fachzeitschrift Diabetes Care veröffentlicht [1].
Studiendesign
Die Studie "Hypoglykämie-Measurement, Thresholds and Impacts" (Hypo-METRICS) war als 10-wöchige Beobachtungsstudie konzipiert. Ziel war es, die Übereinstimmung zwischen CGM-erfassten und von Patienten berichteten Hypoglykämien zu ermitteln. Dabei wurden Häufigkeit und Dauer von Hypoglykämien bei Patienten mit Typ-1-Diabetes (T1D) oder einem insulinbehandeltem Typ-2-Diabetes (T2D) untersucht. Durchgeführt wurde die Studie an neun Standorten in fünf europäischen Ländern (Österreich, Dänemark, Frankreich, Niederlande und Großbritannien) - ohne deutsche Beteiligung. Insgesamt nahmen 276 Erwachsene mit T1D und 321 mit insulinbehandeltem T2D teil. Alle Teilnehmer hatten in den drei Monaten vor Studienbeginn mindestens eine Hypoglykämie erlebt. Während der Studie nutzten sie ein verblindetes CGM-System (FreeStyle Libre 2). Hypoglykämien, die von den Teilnehmern wahrgenommen wurden, wurden zeitnah in der Hypo-METRICS-App dokumentiert.
Ergebnisse
Die Teilnehmer nutzten zusätzlich ihr gewohntes Blutzuckermessgerät oder ein offenes CGM-System. Die Hypoglykämieraten wurden als mediane Episoden pro Woche angegeben:
- SDH <70 mg/dL: T1D: 6,5 [3,8-10,4] vs. T2D: 2,1 [0,8-4,0]
- SDH <54 mg/dL: T1D: 1,2 [0,4-2,5] vs. T2D: 0,2 [0,0-0,5]
- PRH: T1D: 3,9 [2,4-5,9] vs. T2D: 1,1 [0,5-2,0]
Teilnehmer mit T1D hatten häufigere und länger andauernde Hypoglykämien als die mit T2D. Zudem waren 65% der SDH <70 mg/dl nicht mit PRH assoziiert, und 43% der PRH hatten keine Entsprechung in den SDH. Bei Patienten mit T1D war der Anteil der SDH, der mit PRH übereinstimmte, höher als bei denen mit T2D:
- SDH <70 mg/dl: 40% (T1D) vs. 22% (T2D)
- SDH <54 mg/dl: 47% (T1D) vs. 25% (T2D)
Insgesamt wurden weniger als 40% der CGM-erkannten Hypoglykämien (<70 mg/dl) auch von den Teilnehmern wahrgenommen. 65% der vom CGM erfassten Ereignisse stimmten nicht mit einer selbst berichteten Hypoglykämie überein.
Fazit
CGM-Systeme erfassen mehr Hypoglykämien als Patienten subjektiv wahrnehmen, das ist das Ergebnis der Hypo-METRICS-Studie. Über die Hälfte der durch CGM erkannten Hypoglykämien waren asymptomatisch, auch bei Werten <54 mg/dl. Umgekehrt traten viele von Patienten gemeldete Hypoglykämien bei CGM-Werten >70 mg/dl auf. Die Genauigkeit des CGM-Systems insbesondere im niedrigen Glukosebereich könnte aber auch durch Verzögerungen bei der Messung (delay) beeinflusst sein.
Insgesamt lässt sich aus den Studienergebnissen resümieren, dass die Autoren wertvolle Erkenntnisse gewonnen haben, um zukünftige Studien gezielt zu verbessern. Die deutlichen Diskrepanzen zwischen CGM-erfassten und von Patienten berichteten Hypoglykämien zeigen auch, dass beide Erfassungsmethoden im klinischen Alltag und in der Forschung unverzichtbar sind. Nur durch die parallele Dokumentation beider Quellen kann ein umfassendes Bild des Hypoglykämie-Risikos und eventuellen Hypo-Wahrnehmungsstörungen entstehen.
Hypoglykämien sind eine der häufigsten und potenziell gefährlichsten akuten Komplikationen bei Diabetes. Für Menschen mit Diabetes, insbesondere bei einer Insulintherapie oder der Einnahme von Sulfonylharnstoffen, sind sie eine erhebliche Belastung. Eine besondere Herausforderung sind Hypo-Wahrnehmungsstörungen (engl. Impaired Awareness of Hypoglycemia, IAH), bei denen Betroffene eine Hypoglykämie nicht mehr rechtzeitig wahrnehmen und somit ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe tragen.
Hypoglykämien: Ursachen und Folgen
Hypoglykämien werden allgemein als Blutglukosewerte unter 70 mg/dl definiert. Häufige Ursachen sind Überdosierung von Insulin oder oralen Antidiabetika, ausgelassene Mahlzeiten, ungewohnte körperliche Aktivität oder Alkoholkonsum. Klinisch unterscheidet man leichte von schweren Hypoglykämien, wobei letztere fremde Hilfe erfordern.
Die Symptome reichen von adrenergen (Schwitzen, Zittern, Palpitationen) bis hin zu neuroglykopenischen (Verwirrtheit, Krampfanfälle, Bewusstlosigkeit). Wiederholte Hypoglykämien können die Wahrnehmungsschwelle senken, wodurch Patienten eine Hypoglykämie erst bei stark erniedrigten Glukosewerten bemerken.
Hypo-Wahrnehmungsstörungen: Risiko und Erkennung
Hypo-Wahrnehmungsstörungen treten bei bis zu 25 % der Patienten mit Typ-1-Diabetes und bei 10 % der Patienten mit insulinbehandeltem Typ-2-Diabetes auf. Die pathophysiologischen Mechanismen beinhalten eine Anpassung der Gegenregulationsschwellen und eine reduzierte Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin. Patienten berichten, dass sie Symptome nicht mehr oder erst spät erkennen, was zu einer gefährlichen Verzögerung in der Behandlung führt.
Zur Diagnose von Hypo-Wahrnehmungsstörungen eignet sich der Clarke-Test oder der Gold-Score, die auf patientenbezogenen Angaben basieren. Eine Hypo-Wahrnehmungsstörung sollte in Erwägung gezogen werden, wenn ein Patient häufig unbemerkt in den hypoglykämischen Bereich fällt oder über reduzierte Symptomwahrnehmung berichtet.
Behandlungsansätze und Prävention
Das Hauptziel der Behandlung liegt in der Reduktion der Hypoglykämiefrequenz. Anpassung der Therapie: Eine Optimierung des Insulinschemas oder ein Wechsel auf moderne Insulinanaloga mit niedrigerem Hypoglykämierisiko. Schulung und Monitoring: Patienten sollten in Hypoglykämieprävention geschult und zur regelmäßigen Blutzuckerselbstkontrolle motiviert werden.
Technologische Unterstützung: Systeme zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) mit Alarmfunktion können Hypoglykämien frühzeitig erkennen.
Hypo-Training: Zielgerichtete Programme zur Wiederherstellung der Wahrnehmung, wie z. B. HypoAware, können helfen, die Schwelle für die Symptomwahrnehmung zu verbessern.
Ernstzunehmende Herausforderung
Hypoglykämien und Hypo-Wahrnehmungsstörungen sind ernstzunehmende Herausforderungen in der Diabetesbehandlung. Die individuelle Anpassung der Therapie, technologische Unterstützung und Schulung des Patienten sind essenziell, um das Risiko zu minimieren und die Lebensqualität zu verbessern. Es ist Aufgabe des medizinischen Personals, frühzeitig potenziell gefährdete Patienten zu identifizieren und geeignete Maßnahmen zu ergreifen.Red.
Erschienen in: Diabetes-Forum, 2025; 37 (1) Seite 25-26