Der Herzinfarkt ist keinesfalls reine Männersache. Das hat sich noch immer nicht überall herumgesprochen. Hinzu kommt, dass ein Infarkt bei einer Frau nicht so leicht zu erkennen ist wie bei einem Mann. Und nicht selten tragen Frauen mit ihrem Verhalten auch selbst zu lebensbedrohlichen Verzögerungen bei.

Selbst Depressionen könnenbei Frauen Hinweis auf drohenden Infarkt sein

An einem Herzinfarkt sterben in Deutschland jedes Jahr mehr als 20000 Frauen. Und sie haben nach einem Herzinfarkt schlechtere Chancen auf Genesung als Männer. Das zeigen Studien und Statistiken. Viele der Todesfälle ließen sich vermeiden, würden die Symptome des Herzinfarkts bei Frauen richtig gedeutet. Wertvolle Zeit lässt sich auf diese Weise gewinnen und für Gegenmaßnahmen nutzen. Denn der Körper sendet vor dem Infarkt Warnsignale aus. Manche Alarmzeichen gelten gleichermaßen für Frauen wie für Männer, etwa der typische Schmerz im Brustkorb. Häufiger als bei Männern können jedoch bei Frauen weniger eindeutige Symptome auftreten, etwa Atemnot, ein Ziehen in den Armen, unerklärliche Müdigkeit, Übelkeit oder Erbrechen, Schmerzen im Oberbauch oder Rücken. Selbst Depressionen können bei Frauen ein Warnzeichen für einen drohenden Infarkt sein. Erschwerend kommt hinzu, dass Frauen trotz deutlicher Anzeichen oft nicht rechtzeitig in eine Klinik kommen.

Eine von der Herzstiftung geförderte Studie des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) beispielsweise offenbarte darüber hinaus, dass besonders jüngere Frauen mit Herzbeschwerden berufliche Verpflichtungen oder die Sorge um die Kinder voranstellen, bevor sie auf die Symptome reagieren und für sich Hilfe rufen. Das lange Warten ist lebensgefährlich: Zeigen sich die Zeichen eines Herzinfarktes, zählt jede Minute, und es darf nicht gezögert werden, den Rettungswagen mit Notarzt unter der Nummer 112 zu rufen.

Frauen später als Männer auf der Intensivstation

Bei älteren, häufig allein lebenden Frauen gibt es offensichtlich ein weiteres Problem: Sie wollen niemanden mit ihren Beschwerden belästigen und anderen Menschen zur Last fallen. Auch das zeigen die Studien. Hinzu kommt, dass ihnen die Symptome eines Herzinfarkts – zumal wenn sie untypisch sind – nicht bekannt sind, in Zweifel gezogen oder fehlgedeutet werden. Genau das ist der Fehler: Vor allem im höheren Alter sollten Frauen auch immer an die Gefahr eines Herzinfarkts denken. Denn er ist keineswegs "reine Männersache".

Auch Ärzte sind vor einer Fehldiagnose nicht gefeit und können die wahre Ursache der Symptome verkennen, wenn sie sich untypisch äußern. Sie vermuten beispielsweise zunächst Probleme mit dem Rücken, mit dem Magen oder der Verdauung und tippen nicht auf das Herz. Auch das trägt dazu bei, dass Frauen später als Männer auf die Intensivstation kommen und entscheidende Zeit verstreicht, bis mit der Therapie begonnen werden kann.

Und schließlich trägt auch das medizinische Personal in der Klinik zu Verzögerungen bei – ein weiteres bedenkenswertes Ergebnis der bereits erwähnten polnischen Beobachtungsstudie: Das medizinische Personal leitete die EKG-Ergebnisse jüngerer Frauen seltener zur Beurteilung an die Spezialisten im Herzinfarktzentrum weiter. Das zögerte die dringend nötige Behandlung nachweislich deutlich hinaus. Zu einem weiteren bemerkenswerten Schluss hinsichtlich der medizinischen Versorgung von Frauen mit Herzinfarktsymptomen kam eine kürzlich von Forschern der renommierten Harvard Business School veröffentlichte Studie, für die sie Daten von mehr als einer halben Million Patienten ausgewertet haben, die zwischen 1991 und 2010 mit einem Herzinfarkt in Florida in eine Klinik eingeliefert wurden. Danach ist es wahrscheinlicher, dass Frauen an einem Herzinfarkt sterben, wenn sie von jüngeren männlichen Ärzten behandelt werden – und nicht von Ärztinnen oder von älteren männlichen Ärzten, die aufgrund ihrer Erfahrung wissen, dass Herzinfarkte nicht in erster Linie ein Problem der Männer sind.

Risiko und Schutz

Bei Frauen über 65 Jahren steigt das Herzinfarktrisiko. Doch auch jüngere Frauen zwischen 40 und 50 sind der Gefahr ausgesetzt - vor allem dann, wenn sie ungesund leben oder in der Familie häufig Her z-Kreislauf-Erkronkungen aufgetreten sind.

Risikofaktoren

  • Übergewicht
  • Rauchen
  • Bluthochdruck, erhöhte Blutfette, erhöhter Blutzucker
  • Bewegungsmangel
  • Stress, psychosoziale
    Belastung
  • ungesunde Ernährung

Schutzfaktoren

  • Bewegung
  • Entspannung
  • rauchfrei leben
  • gesund ernähren
  • gemeinsame Mahlzeiten
  • soziale Geborgenheit
  • gegen Grippe impfen lassen
  • wenig Alkohol trinken

Nach Wechseljahren lässt Hormonschutz nach

Frauen sind von Herzinfarkten zwar weniger betroffen als Männer, nichtsdestotrotz gehört der Herzinfarkt auch bei Frauen zu den häufigsten Todesursachen. Statistisch gesehen zeigen sich Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen rund zehn Jahre später als bei Männern. Dafür verantwortlich sind eine unterschiedliche genetische Ausstattung, Lebensstilfaktoren und ein schützender Effekt der weiblichen Geschlechtshormone (Östrogene). Sie regulieren nicht nur den Zyklus und die Schwangerschaft, sondern sind auch an unterschiedlichen Prozessen des Stoffwechsels beteiligt, sie beeinflussen Entzündungsreaktionen und die Blutgerinnung und sie wirken erweiternd auf die Blutgefäße. Auf diese Weise können Östrogene vor der Bildung von arteriosklerotischen Ablagerungen in den Gefäßen schützen und vor einer koronaren Herzkrankheit bewahren.

Nach den Wechseljahren lässt der Hormonschutz jedoch nach: Das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, steigt dann bei Frauen rascher an als bei Männern. Doch auch jüngere Frauen zwischen 40 und 50 sind dieser Gefahr ausgesetzt. Vor allem dann, wenn sie ungesund leben oder wenn in ihrer Familie häufig Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgetreten sind. Wer effektiv vorbeugen und sein Herzinfarktrisiko senken möchte, sollte die Faktoren kennen, die einen Herzinfarkt begünstigen, und sie konsequent angehen (Infokasten).

Broken-Heart-Syndom bei Frauen häufiger

Eine spezielle Herzmuskelerkrankung kommt bei Frauen eindeutig häufiger vor als bei Männern: die Krankheit des gebrochenen Herzens ("Broken-Heart-Syndrom"). Die fachsprachliche Bezeichnung "Tako-Tsubo-Kardiomyopathie" geht auf eine Beobachtung zurück, die japanische Ärzte erstmals vor rund 30 Jahren machten: Von der Mitte an bis hin zur Spitze zieht sich die linke Herzkammer kaum noch zusammen und kann nicht mehr richtig pumpen. In seiner äußeren Form ähnelt das Herz dann einer ovalen japanischen Tintenfischfalle (Tako-Tsubo).

Die Beschwerden, die dabei auftreten, und die EKG-Veränderungen weisen durchaus auf einen "klassischen" Herzinfarkt hin, die Herzleistung ist deutlich eingeschränkt wie beim "gewöhnlichen" Infarkt – als Ursache dafür findet sich aber kein verstopftes Herzkranzgefäß, das die Versorgung des Herzmuskels mit Sauerstoff und Nährstoffen unterbindet. Stattdessen geht der Tako-Tsubo-Kardiomyopathie in den meisten Fällen ein stark belastendes emotionales Ereignis voraus, das das Herz im übertragenen Sinne bricht. Das können der Tod eines nahestehenden Menschen sein, ein Unfall oder eine schwere Erkrankung, der Verlust des Arbeitsplatzes, zwischenmenschliche Konflikte, große finanzielle Probleme oder Angsterlebnisse. Solche seelischen Belastungen lassen den Stresshormonspiegel im Blut ansteigen. Die Stresshormone bewirken, dass sich feine Herzkranzgefäße verengen (Mikrospasmen), sodass kein Blut mehr hindurchfließen kann. Weil die Gefäße bei Frauen etwas kleiner und empfindlicher sind als bei Männern, neigen sie eher zu Herzproblemen, die mit solchen Mikrospasmen zusammenhängen. Aufgrund des emotionalen Auslösers sprechen die Ärzte heute auch von "Stress-Kardiomyopathie".

Bei den meisten Patientinnen – rund 85 Prozent aller davon Betroffenen sind Frauen – heilt die Krankheit ohne Folgen aus. In der akuten Phase kann es aber wie beim normalen Herzinfarkt zu tödlichen Komplikationen wie schweren Herzrhythmusstörungen und Herzversagen kommen. Der langfristige Verlauf, das zeigen neuere Studien, scheint weniger günstig zu sein als bislang angenommen: Es können Schäden, etwa eine Herzschwäche, zurückbleiben; nicht selten kommt es zu Rückfällen.

Mehr Frauen in Studien einbeziehen

Die Behandlung des Herzinfarktes unterscheidet sich zwischen Frauen und Männern prinzipiell nicht. Entscheidend ist es, die Sauerstoffversorgung des Herzmuskels nach einem Gefäßverschluss so schnell wie möglich wiederherzustellen, in aller Regel mit der Kathetertechnik. Nach dem Eingriff kommen die Patienten auf die Intensivstation, wo sie ständig überwacht werden können, um mögliche Komplikationen rasch zu erkennen und umgehend zu behandeln. Sodann wird eine medikamentöse Behandlung nach den allgemein in Europa gültigen Leitlinien begonnen. Auch die Auswahl der Medikamente und ihre Dosierung unterscheidet sich bislang nicht zwischen Männern und Frauen. In diesem Zusammenhang ist allerdings eines zu bedenken: In den großen klinischen Studien sind Frauen unterrepräsentiert, meist sind nur etwa 25 Prozent der Studienteilnehmer Frauen. Dass es unterschiedliche Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln bei Männern und Frauen gibt, ist mittlerweile hinreichend bekannt ( http://Abb.1 ). Mehr Frauen in Studien einzubeziehen und die geschlechtsspezifischen Unterschiede noch intensiver zu erforschen, wird inzwischen auch in internationalen Leitlinien gefordert.


Literatur
Gierlotka, M. et al. (2019): Age and gender related performance of STEMI networks – how do we follow the ESC guidelines on ECG to PCI delay. Acute Cardiovascular Care.
Greenwood, B. et al. (2018): Patientphysician gender concordance and increased mortality among female heart attack patients. doi: 10.1073/ pnas.1800097115
Ladwig, KH et al. (2017): Comparison of Delay Times Between Symptom Onset of an Acute ST-elevation Myocardial Infarction and Hospital Arrival in Men and Women <65 Years Versus ≥65 Years of Age: Findings From the Multicenter Munich Examination of Delay in Patients Experiencing Acute Myocardial Infarction (MEDEA) Study. doi: 10.1016/j.amjcard. 2017.09.005

Autor:
Prof. Dr. med. Christiane Tiefenbacher
Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie Marienhospital Wesel
Vorstand Deutsche Herzstiftung
21335 Lüneburg


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2022; 34 (12) Seite 14-16