Wie sieht die Realität der AID-Therapie in der klinischen Praxis aus? Wichtige Antworten auf diese Frage liefern die Ergebnisse des dt-reports.

Wie viel Prozent ihrer Patient:innen mit Typ-1-Diabetes werden in 5 Jahren ein AID-System nutzen? 69% lautet die Antwort auf diese Frage. Und 13% aller Menschen mit Typ-2-Diabetes – so die Einschätzung der Diabetolog:innen. AID-Systeme sind auf dem besten Wege, die Diabetestherapie grundlegend zu verändern. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Nutzer:innen mit ihrem AID-Systemen sehr zufrieden sind: 91% aller AID-Nutzerinnen und -Nutzer kommen mit ihrem AID-System im Alltag gut zurecht und sind zufrieden (86%). Nach Einschätzung der Diabetolog:innen führen AID-Systeme bei 80% aller erstmaligen Nutzer:innen zu besseren Therapieergebnissen.

Ähnliche Beurteilung der AID-Therapie

Bei der Einschätzung der AID-Therapie kommen die Nutzer:innen von AID-Systemen und die Diabetolog:innen zu ähnlichen Ergebnissen. Die Therapie wird als unkompliziert und eher risikoarm eingeschätzt und mit mehr Lebensqualität und Flexibilität verbunden. Nicht ganz einig sind sich die beiden Gruppen bei der Frage, ob das AID-System zu einer geringeren gedanklichen Beschäftigung mit dem Diabetes führt: Hier sind die Einschätzungen der Menschen mit Diabetes optimistischer. Einig sind sich beide Gruppen auch darin, dass AID-Systeme mit einem erhöhten Schulungsaufwand verbunden sind, was vor allem die Diabetolog:innen betonen. Dies ist für allem für die Nutzer:innen der Fall, die nicht mit dieser Therapieform zurechtkommen. Deren Anteil beläuft sich auf 10% (Diabetolog:innen) und 19% (AID-Nutzer:innen). Mit zunehmender Erfahrung mit AID-Systemen kommen Diabetolog:innen und Menschen mit Diabetes zu der Einschätzung, dass diese Therapieform nicht risikoreich ist, das Diabetesteam nicht überflüssig macht und nicht zwangsläufig zu weniger Kontakten mit diesem führt. Vor allem die Nutzer:innen machen die wichtige Erfahrung, dass AID-Systeme zu mehr Autonomie führen.

© dt-Report 2024 | Abbildung 1 und 2: Einschätzung der AID-Therapie durch AID-Nutzer:innen und Diabetolog:innen.

Wichtige Fakten zur AID-Therapie in der Praxis

Die Umfrage gibt auch wichtige Anhaltspunkte wie AID-Systeme in der Praxis genutzt werden:

1. Ablehnung einer AID-Therapie: Diabetologen:innen machen die Erfahrung, dass etwa jede/r 4. Patient:in (24%) trotz prinzipieller Eignung eine AID-Therapie ablehnt. Die wichtigsten Gründe hierfür sind ein beeinträchtigtes Körpergefühl (18%), das Gefühl der Abhängigkeit von der Technik (16%) und Schwierigkeiten, die Kontrolle an das AID-System abzugeben (15%).

2. Abbruch einer AID-Therapie: Mit 6% ist die Abbruchrate relativ gering. Die bedeutsamsten Ursachen hierfür sind überhöhte Erwartungen an AID-Systeme (16%), Schwierigkeiten, die Kontrolle abzugeben (12%), Überforderung durch die Therapie (12%) und die Vielzahl von Alarmen (11%).

3. Zeit im Automodus: Die Nut-zer:innen geben an, dass sie den Automodus etwa 82% der Zeit pro Tag nutzen.

4. Verbindungsprobleme: Im Durchschnitt kommt es pro Monat zu ca. 8,6 Verbindungsproblemen – fast jeden 4. Tag.

5. Gründe für die Wahl eines AID-Systems: Diabetolog:innen und Nutzer:innen eines AID-Systems geben leicht unterschiedliche Gründe für die Wahl eines AID-Systems an (siehe Tabelle).
Interessant: Sowohl für die Diabetolog:innen als auch die Nutzer:innen eines AID-Systems spielen Datenschutz und -sicherheit sowie die Abfallmenge bei der Wahl (fast) keine Rolle.

© dt-Report 2024 | Tabelle: Die wichtigsten 5 Gründe für die Wahl eines AID-Systems.

6. Erschwernisse in der Praxis bei der Betreuung von Menschen mit AID-Systemen: Als größtes Problem wird von den Diabetolog:innen der Aufwand geschildert, angesichts des rasanten Fortschritts und der Vielzahl der Systeme immer up to date zu bleiben. Auch der Aufwand bei der Antragstellung wird als hoch eingeschätzt, wobei die Schwierigkeiten bei der Kostenerstattung im Vergleich zu 2023 abgenommen haben. Das Fehlen eines AID-Schulungsprogramms wird ebenfalls bemängelt. Im Vergleich zu 2023 wurden jedoch weniger Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes geäußert.

© dt-Report 2024 | Abbildung 3: Barrieren in der Praxis bei der Betreuung von AID-Nutzer:innen.

7. Weiterentwicklung von AID-Systemen: Als wichtigste Maßnahme zur Weiterentwicklung erachten die Diabetolog:innen eine bessere Interoperabilität der verschiedenen Komponenten von AID-Systemen, so dass für die Nutzer:innen größere Wahlmöglichkeit vorhanden sind. Auch künstliche Intelligenz zur Verbesserung individueller Algorithmen wird von den Expert:innen als Lösungsoption favorisiert, während bihormonelle Ansätze mit Glucagon nur als drittbeste Möglichkeit angesehen werden.



Autor:
© Ludwig Niethammer
Prof. Dr. Bernhard Kulzer
Diabetes Zentrum Mergentheim, Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim, diateam


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (7/8) Seite 19-20