Ein neues Positionspapier, veröffentlicht von Expert:innen der Fr1daPlex-Initiative, des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Bayern und des PaedNetz Bayern e.V., gibt eine ausführliche Bewertung eines Inselautoantikörper-Screenings zur Früherkennung von Typ-1-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland.

Immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland erkranken an Typ-1-Diabetes, der häufigsten Stoffwechselstörung auf der Basis einer Autoimmunerkrankung bei Kindern. Meist wird Typ-1-Diabetes erst diagnostiziert, wenn bereits schwerwiegende Symptome aufgetreten sind. Durch den Nachweis von Inselautoantikörpern im Blut kann dieser Autoimmunprozess jedoch erkannt werden, lange bevor Symptome vorhanden sind.

Flächendeckendes Screening bringt Vorteile für Allgemeinbevölkerung

Im Positionspapier fassen die Forschenden die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte zum Thema Früherkennung des Typ-1-Diabetes zusammen: Eine Diagnose, die bereits im symptomlosen Frühstadium der Erkrankung erfolgt, verringert das Auftreten von metabolischen Entgleisungen und Ketoazidosen während der klinischen Manifestation des Typ-1-Diabetes. Dadurch können neurokognitive Beeinträchtigungen verhindert werden. Zudem ist eine Diagnose im Frühstadium mit einem milden Krankheitsbild und einer besser erhaltenen Insulin-Restsekretion verbunden, was zu einer verbesserten langfristigen Stoffwechselkontrolle sowie einer Vermeidung oder Verkürzung von Krankenhausaufenthalten führen kann. Das frühzeitige Erkennen von Typ-1-Diabetes bietet betroffenen Familien Zeit, um sich auf die Stoffwechselerkrankung vorzubereiten, und führt so zu einer geringeren psychischen Belastung bei der klinischen Manifestation.

Zusätzlich diskutiert das Positionspapier die Wichtigkeit der Früherkennung für die Anwendung von krankheitsverzögernden Therapien. Insbesondere die Möglichkeit einer Teplizumab-Behandlung, die in den nächsten Jahren auch in Deutschland verfügbar werden könnte, wird hervorgehoben. Dieser monoklonale CD3-Antikörper ist bisher nur in den USA zugelassen und kann das Fortschreiten der Autoimmunerkrankung um zwei bis drei Jahre verzögern – vorausgesetzt, der Typ-1-Diabetes wird in einem Frühstadium entdeckt.

Positionspapier
Das vollständige Positionspapier zur Früherkennung des Typ-1-Diabetes finden Sie hier:
  • Achenbach, Peter et al.: Früherkennung von Typ-1-Diabetes durch Inselautoantikörper-Screening – ein Positionspapier der Fr1daPlex-Projektleiter und -Schulungszentren, des BVKJ Bayern und PaedNetz Bayern e.V. In: Das Gesundheitswesen, 2024 (online), DOI: 10.1055/a-2320-2859 und unter
  • https://eref.thieme.de/ejournals/1439-4421_efirst#/10.1055-a-2320-2859

Auch potenzielle Nachteile der Früherkennung werden diskutiert

Die Autoren und Autorinnen nennen auch potenzielle Risiken der Teilnahme an einem Früherkennungsprogramm. Hierzu zählt, dass nicht sicher vorhergesagt werden, wann sich bei einem positiv gescreenten Kind die Stoffwechselerkrankung klinisch manifestieren wird. Hierdurch könnten mehr oder weniger unbeschwerte Jahre für Kinder und Familien verlorengehen. Das Wissen über ein Frühstadium sowie regelmäßige Selbstkontrollen und Arztbesuche könnte das Denken und Handeln der Eltern ungünstig beeinflussen. Auch ein negatives Screening-Ergebnis kann mit dem Risiko der vermeintlichen Sicherheit verbunden sein, was bei einer Gruppe von Kindern das Risiko einer diabetischen Ketoazidose erhöhen könnte. Unter diesen Gesichtspunkten betonen die Verfassenden des Positionspapiers die Relevanz einer qualifizierten Beratung und Betreuung für teilnehmende Familien.

Prognose-Tools
Zu den diabetesassoziierten Inselautoantikörpern zählen Glutamatdecarboxylase Autoantikörper (GADA), Insulinom-assoziierte Antigen-2 Autoantikörper (IA-2A), Zink-Transporter-8 Autoantikörper (ZnT8A) und Insulin Autoantikörper (IAA). Der Nachweis von Inselautoantikörpern in Kombination mit metabolischen Markern ermöglicht zudem eine Prognose für das Voranschreiten der Autoimmunerkrankung und eine verbesserte Abschätzung des Zeitpunkts der Manifestation der Stoffwechselerkrankung. Bisher wird ein solches Screening im Rahmen der Fr1da-Studie in Bayern, Sachsen, Niedersachsen und Hamburg angeboten. Eine Ausweitung in andere Bundesländer ist in Planung.

Forschende fordern rasche Integration in Gesundheitssystem

Unter Abwägung der Vor- und Nachteile fordern die Autoren und Autorinnen eine Aufnahme der Aufklärung über die Möglichkeit und das konkrete Angebot der Früherkennung des Typ-1-Diabetes in die Regelversorgung von Kindern. Als wichtige Schritte für die Implementierung des Screenings in Deutschland heben sie insbesondere die Schulung von Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten sowie die Ausweitung von regionalen Kapazitäten für die Betreuung betroffener Kinder hervor. Das Positionspapier verdeutlicht die Dringlichkeit eines flächendeckenden Screenings, um schwerwiegende Stoffwechselentgleisungen insgesamt zu reduzieren und die Perspektiven betroffener Kinder und deren Eltern zu verbessern.



Autorin:
© privat
Lena Schwenker M. Sc.
Wissenschaftskommunikatorin für das Helmholtz Munich Institut für Diabetesforschung und GPPAD


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (9) Seite 14-15