Wann, warum und wie genau die Autoimmunreaktion ausgelöst wird, die später im Leben zu Typ-1-Diabetes führt, ist bis heute noch nicht ausreichend geklärt. Die Forschung der letzten Jahrzehnte liefert Hinweise dafür, dass bestimmte Virusinfektionen im frühen Kindesalter die Autoimmunreaktion begünstigen können. Auch SARS-CoV-2 steht hierbei unter starkem Verdacht.

Lange bevor die typischen Diabetes-Symptome auftreten, kann die Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes im Blut anhand sogenannter Inselautoantikörper diagnostiziert werden. Diese dienen als Biomarker für die Autoimmunreaktion, die zur Erkrankung führt. Sind mehrere verschiedene (multiple) Inselautoantikörper beständig nachweisbar, liegt ein Typ-1-Diabetes im Frühstadium vor. Die klinisch-symptomatische Erkrankung wird sich dann in den folgenden Jahren manifestieren.

Langzeitstudien lieferten erste Hinweise auf Ursachen und Umweltfaktoren für Typ-1-Diabetes

In großangelegten Langzeitstudien, wie beispielsweise der BABYDIAB oder TEDDY Kohorte, beobachteten Forschende Kinder von Geburt an über bis zu 30 Jahre, um Risikofaktoren für die Entstehung von Autoimmunität und Typ-1-Diabetes herauszufinden. Als gesichert gilt, dass es eine genetische Komponente gibt, die die Entstehung der Autoimmunreaktion beeinflusst. Ein Zusammenspiel aus drei weiteren Faktoren scheint die Entwicklung von Inselautoimmunität besonders zu begünstigen: hohe Betazell-Aktivität und potenzielle Anfälligkeit für Stress, häufige Virusinfektionen im frühen Kindesalter sowie eine überschießende Th1-vermittelte Immunreaktion.

Die ersten Lebensjahre sind besonders vulnerabel

Insbesondere im frühen Kindesalter zeichnet sich ein kritisches Zeitfenster für die Entwicklung von Inselautoimmunität ab, in welchem Kinder besonders anfällig für die Entwicklung einer Autoimmunität sind. So treten die Inselautoantikörper am häufigsten erstmals zwischen dem 12. und 24. Lebensmonat auf. Das gilt insbesondere für Kinder mit einem erhöhten genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes. Während der ersten Lebensjahre fördern bestimmte Umweltfaktoren die Entstehung der Autoimmunreaktion. Die Betazelle ist in diesem jungen Alter besonders aktiv und möglicherweise vulnerabel gegenüber Angriffen von Umweltfaktoren und des körpereigenen Immunsystems. Ein beobachteter Anstieg der prä- und postprandialen Blutzuckerwerte zeitgleich mit dem Auftreten von Inselautoantikörpern unterstreicht die frühe Schädigung der Betazelle in dem sich entwickelnden Autoimmunprozess. Die ersten Lebensjahre sind von Entzündung und einer starken Immunantwort geprägt. Atemwegserkrankungen und Entzündungsmarker sind besonders häufig in den ersten 18 Lebensmonaten und nehmen danach deutlich ab.

Frühkindliche Virusinfektionen stehen mit Typ-1-Diabetes in Verbindung

Die Studien BABYDIAB und TEDDY haben häufige Virusinfektionen in den ersten beiden Lebensjahren als wichtigen Faktor identifiziert, der mit der Entstehung der Inselautoimmunität assoziiert ist. Welche Viren konkret eine Rolle spielen, ist bisher noch weitgehend unklar. Bisher standen hauptsächlich Enteroviren im Verdacht, insbesondere prolongierte Infektionen mit dem Coxsackie-B-Virus, welches Betazellen infizieren kann. Während der COVID-19-Pandemie scheint nun SARS-CoV-2 als bedeutender Risikofaktor für Inselautoimmunität hinzugekommen zu sein, möglicherweise anstelle traditioneller viraler Auslöser wie Coxsackie-Viren. Obwohl die starken Infektionsschutzmaßnahmen während der COVID-19-Pandemie den Kontakt von Kindern mit sämtlichen Viren aus der Umwelt stark reduziert haben, stieg die Inzidenz für Typ-1-Diabetes und Inselautoimmunität weiterhin an.

Die Globale Plattform zur Prävention (GPPAD)
GPPAD ist eine europäische Plattform, die Kinder mit einem erhöhten genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes identifiziert. In Präventionsstudien möchte die Plattform herausfinden, wie das Auftreten von Inselautoimmunität und Typ-1-Diabetes bei diesen Kindern verringert werden kann. Die GPPAD-Forschungszentren sind in Belgien (Leuven), Deutschland (Dresden, Hannover, München), Polen (Warschau), Schweden (Malmö) und im Vereinigten Königreich (Newcastle, Oxford, Cambridge).

Zusammenhang zwischen SARS-CoV-2 und Typ-1-Diabetes in mehreren Studien gezeigt

Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Globalen Plattform zur Prävention des Autoimmunen Diabetes (GPPAD) konnten das SARS-CoV-2 Virus als einen möglichen Umweltfaktor für die Typ-1-Diabetes Autoimmunität im jungen Kindesalter feststellen. Bei Kindern mit einem erhöhten Risiko für Typ-1-Diabetes aus fünf europäischen Ländern wurde ein Zusammenhang zwischen einer SARS-CoV-2-Infektion und Typ-1-Diabetes beobachtet. Die über 1000 Kinder, die an der GPPAD-POInT Studie teilnahmen, wurden vor und während der COVID-19-Pandemie in regelmäßigen Abständen auf Inselautoantikörper, Antikörper gegen SARS-CoV-2 und Blutzuckerwerte untersucht. Die Forschenden fanden bei Kindern, die eine SARS-CoV-2 Infektion durchgemacht hatten, danach ein zweifach erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Inselautoantikörpern. Dieses Risiko war sogar um das Fünffache erhöht, wenn die Infektion vor dem 18. Lebensmonat stattfand. Auch Analysen der Fr1da-Kohorte bestätigen diesen Zusammenhang und konnten zeigen, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 den Krankheitsverlauf von Typ-1-Diabetes beschleunigen kann. Zudem wurde beobachtet, dass die Kinder im zeitlichen Zusammenhang mit dem Auftreten der Inselautoantikörper einen diskreten Anstieg der Blutzuckerwerte aufwiesen. Dies könnte indirekt auf eine Schädigung oder Funktionseinschränkung der Betazellen hinweisen – beispielsweise ausgelöst durch eine virale Infektion. Auch auf der Oberfläche der Betazellen finden sich die sogenannten ACE2 Rezeptoren, die dieses Coronavirus als Eintrittspforte in die Zellen nutzt. SARS-CoV-2 kann somit die Betazellen infizieren und möglicherweise lokal als Trigger für eine Autoimmunreaktion wirken.

Freder1k-Screening auf erhöhtes genetisches Risiko
Ob ein erhöhtes genetisches Risiko für Typ-1-Diabetes besteht, wird im Freder1k-Neugeborenen-Screening getestet. Das Screening wird in Bayern, Sachsen, Niedersachsen und Thüringen bevölkerungsweit angeboten. Zudem können bundesweit Kinder getestet werden, die einen Verwandten mit Typ-1-Diabetes haben. Am Screening können Kinder bis zur sechsten Lebenswoche in der Kinderarztpraxis oder der Geburtsklinik teilnehmen. Ein Tropfen Blut aus der Ferse oder der Nabelschnur reicht hierfür aus. In diesem können Forschende bestimmte Genvarianten nachweisen, die mit einem erhöhten Risiko für Typ-1-Diabetes verbunden sind. Bis heute haben über 500 000 Neugeborene aus fünf europäischen Ländern am Freder1k-Screening teilgenommen. Kinder mit einem erhöhten Risiko werden zur Teilnahme an der AVAnT1A-Studie eingeladen.

Die AVAnT1A-Studie möchte Zusammenhang aufklären

SARS-CoV-2 ist das erste Virus, das mit Typ-1-Diabetes in Verbindung steht und gegen das gleichzeitig ein wirksamer und zugelassener Impfstoff vorhanden ist. In einer neuen Studie möchte GPPAD den Zusammenhang daher genauer ergründen. Die AVAnT1A-Studie – kurz für "Antiviral Action against Type 1 diabetes autoimmunity" – untersucht, ob eine Impfung gegen COVID-19 die Entstehung von Inselautoantikörpern bei Kleinkindern verhindern und damit das Risiko für Typ-1-Diabetes senken kann. Im Alter von sechs Monaten erhalten teilnehmende Kinder drei Impfungen in Abständen von drei bis acht Wochen. Dazu wird ein sicherer und für Kinder ab dem Alter von sechs Monaten zugelassener Impfstoff gegen SARS-CoV-2 oder ein Placebo eingesetzt. Da viele Infekte bei jungen Kindern fast ohne Anzeichen stattfinden, sammeln teilnehmende Familien außerdem einmal in der Woche eine Speichelprobe ihres Kindes und einmal im Monat eine Stuhlprobe. So erfassen die Forschenden, mit welchen Viren aus der Umwelt die Kinder in Kontakt waren. Das ermöglicht es, weitere Zusammenhänge zwischen Typ-1-Diabetes und Virusinfektionen im frühen Kindesalter aufzuklären. Zur Teilnahme an der AVAnT1A-Studie werden Kinder eingeladen, die ein erhöhtes genetisches Risiko für die Entwicklung von Typ-1-Diabetes haben, welches zuvor in der Freder1k-Studie erfasst wurde. Teilnehmende Familien profitieren von regelmäßigen Kontrolluntersuchungen, bei denen ein möglicher Typ-1-Diabetes frühzeitig erkannt werden kann. In der ersten Phase der Studie finden die Untersuchungen vierteljährlich statt, später halbjährlich und ab dem dritten Geburtstag des Kindes einmal pro Jahr – maximal bis zum sechsten Geburtstag. Hierbei wird auch auf das Vorhandensein von Inselautoantikörpern im Blut getestet, die als Biomarker für Typ-1-Diabetes im Frühstadium gelten.

Was Familien heute bereits tun können

Welche Viren nun tatsächlich eine Rolle für die Entstehung des Typ-1-Diabetes spielen, wird die Forschung der nächsten Jahre zeigen. Für Eltern gibt es daher zunächst keinen Grund zur Sorge: Eltern sollten die von der STIKO empfohlenen Impfungen mit ihrem Kind wahrnehmen. Darüber hinaus raten Forschende von übertriebenen Hygienemaßnahmen zum Schutz vor Infektionen ab, denn Virusinfektionen in der Kindheit trainieren das kindliche Immunsystem. Es wird noch einige Jahre dauern, bis es gesicherte Möglichkeiten gibt, Kinder vor der Entwicklung einer Autoimmunreaktion zu schützen. Schon heute kann jedoch die Teilnahme an einem Früherkennungsprogramm für Typ-1-Diabetes große Vorteile für Familien bieten. Durch die Teilnahme an Studien wie der AVAnT1A-Studie können Familien den Fortschritt der Forschung zusätzlich unterstützen.


Literatur
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Autorin:
© privat
Lena Schwenker M. Sc.
Wissenschaftskommunikatorin für das Helmholtz Munich Institut für Diabetesforschung und GPPAD


Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (9) Seite 16-17