Kunststoffe sind in der Verwendung im medizinischen Alltag eine tolle Sache. Aber wenn sie ihren Dienst getan haben und in den Müll gehören, beginnt das Problem. Was man dazu wissen sollte, sagt Ihnen Dr. Susanne Saha.
Kunststoffe, die seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die Wirtschaft eingeführt wurden, haben durch ihre leichten, flexiblen und kostengünstigen Eigenschaften zahlreiche industrielle, medizinische und kommerzielle Anwendungen revolutioniert. Die Entsorgung dieser synthetischen Polymere stellt jedoch aufgrund ihrer biologischen Persistenz eine ernste ökologische Herausforderung dar. Schätzungen zufolge wurden seit 1950 etwa fünf der insgesamt über acht Milliarden Tonnen produzierten Kunststoffe in die Umwelt entlassen.
Darüber hinaus resultieren aus dem Kunststofflebenszyklus zusätzliche Gesundheitsrisiken durch Treibhausgasemissionen (THG), die sowohl bei der Herstellung von Kunststoffen aus fossilen Rohstoffen als auch bei deren Verbrennung auftreten. Im Jahr 2015 trugen die Treibhausgasemissionen durch Kunststoffproduktion bereits mit 4,5 Prozent zu den weltweiten Emissionen bei. Prognosen deuten auf einen Anstieg der globalen Kunststoffproduktion um 40 Prozent zwischen 2015 und 2030 hin, sofern keine präventiven Maßnahmen ergriffen werden (Cabernard et al. 2022).
Kunststoffe zersetzen sich über die Zeit zu Mikro- und Nanoplastikpartikeln, welche ubiquitär Ökosysteme schädigen und sich in biologischen Nahrungsketten anreichern können. Zudem wird die polymere Matrix von Kunststoffen durch 10 500 verschiedene Additive, darunter Weichmacher und andere funktionale Zusätze, modifiziert. 2 480 dieser Zusätze besitzen ein pathogenes Potential, welches entweder unzureichend erforscht ist oder im Verdacht steht, krebserregende sowie fortpflanzungsschädigende Wirkungen zu haben (Wiesinger et al. 2021). Bei der Herstellung, Nutzung und Entsorgung von Kunststoffprodukten können diese Zusatzstoffe in die Umwelt freigesetzt werden und schließlich in den menschlichen Körper gelangen. Erst seit etwa sechs Jahren werden Studien durchgeführt, die untersuchen, wie sich Mikroplastik auf den menschlichen Organismus auswirkt. So konnte Mikroplastik u.a. in Darm (Liebmann et al. 2018), Blut (Wang et al. 2021; Leslie et al. 2022), Herz (Yang et al. 2023), Leber (Horvatits et al. 2022) und Blase (Kraft et al. 2022) nachgewiesen werden. Nanopartikel zeigen sich zudem plazentagängig (Wang et al. 2021) und können offensichtlich die Bluthirnschranke überwinden (Kwon et. al., 2022). In vitro Studien und Untersuchungen an Mäusen legen nahe, dass Mikroplastiknanopartikel die Apoptose von Zellen begünstigen (Kwon et. al. 2022) sowie Verhaltensänderungen auslösen können (Gaspard et al. 2023).
Auch für eine weitere chemische Substanz die PFAS (poly- und perfluorierte Alkylsubstanzen), die für die Herstellung wasser-, fett- und schmutzabweisender Verbraucherprodukte wie z. Fast-Food-Verpackungen, Outdoor-Bekleidung oder antihaft-beschichtete Pfannen verwendet werden, sind gesundheitsbelastende Auswirkungen nachgewiesen. Bevölkerungsbezogene Studien geben Hinweise auf Zusammenhänge zwischen der Konzentration bestimmter PFAS im Blutserum und dem Auftreten möglicherweise gesundheitlich relevanter Veränderungen (Murawski et al 2023). PFAS sind nicht biologisch abbaubar. Sie akkumulieren in der Umwelt und stellen daher ein dauerhaftes gesundheitliches Gefahrenpotential dar.
Für Menschen mit Diabetes sind die Auswirkungen mancher Additive sowie PFAS auf das endokrine System von besonderer Bedeutung, da sie die hormonelle Homöostase stören und die Insulinresistenz sowie das glykämische Profil beeinträchtigen können, was das Risiko für diabetesassoziierte Komplikationen erhöht.
Fazit
Gerade die ambivalente Natur von Kunststoffen im Gesundheitssektor verdient besondere Beachtung: Sie sind wegen ihrer Flexibilität und Kosteneffizienz zwar unverzichtbare Komponenten im medizinischen Alltag, doch bergen sie auch inhärente Gesundheitsrisiken und stellen eine Belastung für die Umwelt dar. Dringend erforderlich sind weitere Forschungsarbeiten, die die spezifischen pathophysiologischen Prozesse, welche diesen Risiken zugrunde liegen, aufdecken. Zudem ist die Entwicklung strenger Regulierungsmaßnahmen geboten, um die menschliche Exposition und die der Umwelt gegenüber schädlichen Substanzen deutlich zu reduzieren.
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Erschienen in: Diabetes-Forum, 2024; 36 (5) Seite 20-21