Liu S, Leone M, Ludvigsson JF, Lichtenstein P, D‘Onofrio B, Svensson AM, Gudbjörnsdottir S, Bergen SE, Larsson H, Kuja-Halkola R, Butwicka A; Solna, Schweden; Diabetes Care. 2022;45(9):1987-1993. doi:10.2337/dc21-1347.

Ziel: Einschätzung des Zusammenhangs und der familiären Koaggregation von Typ-1-Diabetes in der Kindheit mit Depressionen, Angstzuständen und stressbedingten Störungen.

Methode: Es handelte sich um eine bevölkerungsbezogene Kohortenstudie, bei der die Daten aus landesweiten schwedischen Registern verwendet wurden. Insgesamt wurden ~ 3,5 Millionen Personen, die zwischen 1973 und 2007 in Schweden geboren worden waren, mit ihren biologischen Eltern, Voll- und Halbgeschwistern sowie Cousins und Cousinen in Verbindung gebracht. Mit Hilfe von Cox-Modellen wurden die Assoziation und familiäre Koaggregation von Typ-1-Diabetes mit Depressionen, Angstzuständen und stressbedingten Störungen geschätzt.

Ergebnisse: Bei Personen, bei denen im Kindesalter Typ-1-Diabetes diagnostiziert worden war (n = 20 005), wurde ein höheres Risiko für alle Endpunkte festgestellt: jegliche psychiatrische Diagnose (adjustiertes Hazard Ratio [aHR] 1,66 [95 % CI 1,59 – 1,72]) oder spezifische Diagnosen wie Depression (1,85 [1,76 – 1,94]), Angstzustände (1,41 [1,33 – 1,50]) und stressbedingte Störungen (1,75 [1,62 – 1,89]) sowie die Einnahme von Antidepressiva oder Anxiolytika (1,30 [1,26 – 1,34]) im Vergleich zu Personen ohne Typ-1-Diabetes. Insgesamt hatten Angehörige von Personen mit Typ-1-Diabetes ein erhöhtes Risiko, entsprechende Störungen zu entwickeln, wobei die höchsten Risiken bei Eltern (aHRs 1,18 – 1,25), gefolgt von Vollgeschwistern (aHRs 1,05 – 1,20), zu beobachten waren. Der Umfang der Risiken war dabei direkt proportional zum familiären Verwandtschaftsgrad.

Schlussfolgerung: Diese Ergebnisse untermauern die bestehenden Belege dafür, dass Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes ein höheres Risiko für die Entwicklung von Depressionen, Angstzuständen und stressbedingten Störungen tragen. Sie deuten weiter darauf hin, dass gemeinsame familiäre Faktoren zu diesen erhöhten Risiken beitragen könnten. Die Ergebnisse unterstreichen den Bedarf an psychologischer Beratung für Kinder und ihre Familien in der Diabetesversorgung. Dabei erscheinen quantitative und molekulargenetische Studien gerechtfertigt, um die Ätiologie dieser psychiatrischen Störungen bei Typ-1-Diabetes besser zu verstehen.

Kommentar: Diese Studie ist deshalb besonders interessant, weil sie auf den Daten der gesamten schwedischen Bevölkerung basiert. Obwohl die Diabetesversorgung dort im internationalen Vergleich vorbildlich ist, weisen die Ergebnisse auf eine erhöhte psychische Belastung und Morbidität nicht nur bei Personen mit Typ-1-Diabetes, sondern auch ihrer nahen Angehöriger hin. Gerade bei aufwändig zu behandelnden Krankheiten, „ist niemand alleine krank“. Die ständigen Anforderungen an Selbstmanagement und kritische Reflexion jeder Aktivität einerseits und die begrenzte Kontrolle über die Schwankungen des Glukosespiegels andererseits belasten nicht nur Betroffene, sondern vor allem auch Eltern von Kindern mit Diabetes. Ob die erhöhte Prävalenz psychischer Störungen primär durch die gemeinsam zu bewältigenden Belastungen erklärt werden kann, oder ob molekulargenetische Faktoren eine Rolle spielen, soll aus Sicht der Autoren näher untersucht werden. Letzteres erscheint angesichts der entsprechenden heterogenen Daten mehr als spekulativ.



Autorin:
Prof. Dr. rer. nat. Karin Lange

Erschienen in: Diabetes-Congress-Report, 2022; 22 (5) Seite 48-49