Mehr als 4 Millionen Todesfälle jährlich werden in Europa durch hauptsächlich atherosklerotisch-kardiovaskuläre Erkrankungen (ASCVD) verursacht, wobei Menschen mit einem Typ-2-Diabetes eine 2 bis 4 mal höhere kardiovaskuläre Mortalität als Nichtdiabetiker haben. LDL-Cholesterin (LDL-C) ist nicht nur ein Biomarker sondern auch ein kausaler Faktor in der Pathophysiologie der ASCVD. Ziel einer kardiovaskulären Prävention und Therapie ist daher eine am individuellen kardiovaskulären Risiko orientierte Senkung des LDL-C. Frau Dr. med. Ulrike Schatz, Universitätsklinikum Dresden, berichtete in einem Übersichtsreferat beim (Online)-Diabetes Kongress 2021 der DDG den aktuellen Stand der Hypercholesterinämie-Therapie.
LDL-Cholesterin als bedeutender Risikofaktor für Atherosklerose
Daten aus epidemiologischen, genetischen, tierexperimentellen und klinisch-interventionellen Studien unterstreichen die Bedeutung des LDL-C als Risikofaktor und identifizierten es als Haupt-Driver für Atherosklerose. Der absolute Effekt einer Senkung des LDL-C hängt ab vom individuellen kardiovaskulären Absolutrisiko, dem Ausgangswert des LDL-C, dem Ausmaß und der Dauer der LDL-Senkung. Durchschnittlich kann man bei einer LDL-C-Senkung um 40 mg/dl (1 mmol/l) eine Reduktion des relativen atherosklerotisch-kardiovaskulären Risikos um 24 % erwarten.
Die Zielvorgaben für eine Senkung des LDL-C, basierend auf dem kardiovaskulären Gesamtrisikoprofil des Patienten, orientieren sich aktuell an den ESC/EAS Guidelines 2019 [1] (Abb. 1).
Stufentherapie 2021 – Bisheriges Armentarium und neue Substanzen
Die medikamentöse Standardtherapie der Hypercholesterinämie besteht in der oralen Gabe eines Statins. Aus früheren Studien wissen wir allerdings, dass in der täglichen Praxis kardiovaskuläre Risikopatienten oft kein Statin erhalten respektive die empfohlenen LDL-C-Zielwerte selten erreicht werden.
So erhielten nach Daten einer deutschlandweiten Praxis-Studie Patienten trotz hohem kardiovaskulären Risiko, sowohl Nichtdiabetiker wie Diabetiker, in 40 – 80 % der Fälle kein Statin [2].
Dies scheint jedoch kein spezifisch deutsches Problem zu sein. So fand man in dem letztes Jahr publizierten paneuropäischen sog. DA VINCI Projekt mit in Facharztpraxen betreuten Risikopatienten, dass in der Primärprävention in 75 % der Fälle mit niedrigem bis moderatem Risiko die LDL-C Zielwerte (ESC/EADS 2016 Kriterien) erreicht wurden [3]. Bei Patienten mit hohem oder sehr hohem Risiko lag die Zielwert-Rate gar nur bei 63 % bzw. 20 %. Selbst bei Patienten mit bereits manifester ASCVD wurden die LDL-C-Zielwerte nur in 41 % der Fälle eingehalten [3].
Was kann ich von einer Statintherapie erwarten?
Die durchschnittlich zu erwartende LDL-C Senkung einer täglichen niedrig-intensiven Statintherapie liegt unter 30 %, einer moderat-intensiven Statintherapie bei 30 – 50 %, einer hochintensiven Statintherapie bei 50 % und darüber, wie die Referentin ausführte (Tab. 1). Eine LDL-C Senkung darüber hinaus kann erreicht werden durch eine Kombination eines hochwirksamen Statins mit Ezetimib (bis −65 %), oder durch die alleinige Injektion eines PCSK9-Inhibitors (bis −60 %) bzw. einer Kombination aus PCSK9-Inhibitor mit einem hochwirksamen Statin (bis −75 %) oder einer Dreifachkombination PCSK9-Inhibitor + hochwirksames Statin + Ezetimib (bis −85 %) (ESC/EAS Guidelines 2019) [1]. Durch eine Lipidapherese erzielt man nach Angaben der Referentin eine LDL-C Senkung von 60 – 80 % pro Sitzung.
Eine Bemerkung noch zur sog. Statin-Intoleranz, im internationalen Schrifttum als Statin-Associated Muscle Symptom (SAMS), bezeichnet.
Praktische Hinweise für das klinische Vorgehen bei Verdacht auf Statin-Intoleranz finden sich sowohl in den aktuellen Guidelines [1], in der internationalen Literatur [4] wie auch in einer Publikation des Deutschen Ärzteblatts [5].
Für die Abgrenzung gegenüber einer Statin-Aversion und zur weiteren Verifizierung einer SAMS, hat sich ein Punkteschema (SAMS-Clinical Index) bewährt [6].
Neue bereits zugelassene Präparate und noch in Erprobung stehende Substanzen
Nach Beendigung der Rechtsstreitigkeiten der Herstellerfirmen, stehen uns derzeit in Deutschland wieder 2 zugelassene monoklonale Antikörper gegen PCSK9 (Proproteinconvertase subtilisin/kexin Typ 9), die PCSK9-Inhibitoren Alirocumab (RepathaR, Fa. Amgen) und Evolocumab (PraluentR, Fa. Sanofi) zur Verfügung.
Die Anwendung erfolgt als subkutane Injektion im Fertigpen alle 2 Wochen oder 1 × im Monat in einer Dosis von 75 mg oder 150 mg bzw. 300 mg (Alirocumab) respektive 140 mg bzw. 420 mg (Evolocumab).
Über die Meilenstein-Studien mit diesen Substanzen haben wir in DCR wiederholt berichtet [7 – 9]. Wie umfangreich die noch laufenden klinischen Studienprogramme, PROFICIO Program für Evolocumab respektive ODYSSEY Program für Alirocumab, sind, hat Frau Dr. Schatz in einer ihrer Vortragsfolien zusammengefasst (Abb. 2).
Eine neue Substanz ist die Bempedoinsäure (BA), im internationalen Schrifttum als Bempendoic Acid (BA) bezeichnet. Über eine Inhibition der ATP-Citrat-Lyase hemmt BA die hepatische Cholesterinbiosynthese (Abb. 3). Das gesamte klinische Studienprogramm trägt die Bezeichnung CLEAR. Nach einer hochrangig publizierten Sicherheitsstudie [10] wurde in einer Studie an Patienten mit Statin-Intoleranz eine Senkung des LDL-C um 23,6 % nachgewiesen [11]. Aus weiteren Studien lässt sich eine durchschnittliche LDL-C Senkung ableiten von 25 % bei Monogabe, von 18 % bzw. 35 % bei Hinzufügung zu laufender Therapie mit Statin bzw. Statin + Ezetimib, von 45 % bei Hinzufügung zu einer Therapie mit Ezetimib.
Bempedoinsäure (NilemdoR) der Firma Daiichi-Sankyo ist bei uns zugelassen und wird in Form einer Filmtablette mit 180 mg 1 × täglich eingenommen.
Die Ergebnisse einer laufenden multizentrischen, multinationalen kardiovaskulären Outcomes-Studie über 5 Jahre an ca. 14 000 Patienten mit (sehr) hohem kardiovaskulären Risiko (in 1 400 Zentren von 30 Ländern) werden für 2022 erwartet.
Die Referentin sieht aus ihrer persönlicher Sicht, Stand 5/2021, folgende mögliche Einsatzgebiete für das Präparat Bempedoinsäure:
Hochrisikopatienten, welche die LDL-C Zielwerte mit bisherigen Lipidsenkern nicht erreichen als Zusatz zu Statin/Ezetimib oder bei Statin-Intoleranz zu Ezetimib alleine.
Sinnvoll könnte auch ein Einsatz sein bei älteren Patienten, oder wenn das LDL-C nur knapp oberhalb des Zielbereichs liegt. Aber auch bei Patienten, bei denen PCSK9i noch nicht indiziert oder nicht gewollt oder nicht ausreichend sind (hohe Ausgangswerte oder low-responder) sowie bei Patienten mit Unverträglichkeit von PCSK9i.
Zur Vorsicht rät Frau Dr. Schatz bei Patienten mit Neigung zu Gicht, da Hyperurikämie und Gichtanfälle in klinischen Studien mit Bempedoinsäure vermehrt auftraten.
Eine weitere, noch in Erprobung stehende Substanz ist Inclisiran, das als siRNA (small interfering RNA) zu einem präzisen Targeting von PCSK9 führt und die Synthese von PCSK9 in der Leber hemmt durch Unterbindung der Translation (Abb. 4). Die Substanz wird langsam aus Endosomen freigesetzt, ist chemisch stabilisierte Duplex-RNA mit einer Halbwertszeit von mehreren Wochen, sodass es nur alle 6 Monate subkutan appliziert werden muß. Das klinische Studienprogramm nennt sich ORION. Eine kürzlich erschienene erste Publikation zu gepoolten LDL-C Daten aus den Studien ORION-9, -10 und -11, berichtet über eine LDL-C Senkung von 50 % im 1,5-jährlichen Verlauf [12].
Inclisiran (LeqvioR) der Firma Novartis ist bei uns zugelassen. Die empfohlene Dosis ist eine Fertigspritze (284 mg) als einzelne subkutane Injektion zu Behandlungsbeginn, nach 3 Monaten und danach alle 6 Monate.
Die Resultate einer laufenden kardiovaskulären Endpunkstudie (ORION-4) mit 15 000 Patienten werden für 2026 erwartet. Die Studie wird koordiniert und gesponsert von der Universität Oxford, Co-Sponsor ist die Fa. Novartis.
Zusammenfassend stehen uns gegenwärtig mehrere therapeutische Optionen für eine effektive Stufentherapie der Hypercholesterinämie zur Verfügung (Abb. 5).
Fazit
Die Referentin, Frau Dr. med. Ulrike Schatz, hat für die Teilnehmer am Online-Diabeteskongress 2021 der DDG abschließend 4 sogenannte Take Home Messages formuliert.
- Absoluter Effekt der LDL-Senkung abhängig von 1. Absolutrisiko, 2. Baseline LDL, 3. Ausmaß LDL-Senkung, 4. Dauer LDL-Senkung (beachte Cholesterinjahre = kumulative LDL-C-Last als ein Hauptdriver ASCVD)
- Versorgungsdaten zeigen: Zielwerterreichung noch mangelhaft. Stufentherapie konsequenter durchschreiten: Statine → Ezetimib → PCSK9-Hemmer, ultima ratio: Apherese
LDL bis zu −85 % - Bempedoinsäure als sinnvolles orales Add-on als first in class ACL-Inhibitor (Chol. Biosynthese-Hemmer), CLEAR OUTCOMES …
LDL −20 % - Inclisiran als neuer PCSK9-Ansatz: siRNA nur halbjährlich zu injizieren, ORION 4 als Endpunktstudie 2024 erwartet
LDL −50 %
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Conflict of Interest: Der Autor gibt in Bezug auf den Artikel keine Interessenkonflikte an.
Dr. med. Ulrike Schatz, Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologie & Lipidologie, ist Oberärztin an der Medizinischen Klinik III (Direktor Prof. Dr. med. Stefan R. Bornstein) des Universitätsklinikums Dresden.
Conflict of Interest:
Frau Dr. med. U. Schatz gibt an, Honorare für Referententätigkeit und/oder Advisory Boards erhalten zu haben von den Firmen Abbott, Astra Zeneca, Amgen, Boehringer Ingelheim, Daiichi Sankyo, Diamed, Berlin Chemie, Kaneka, Lilly, MSD, Novartis, NovoNordisk, Sanofi-Aventis, Synlab Holding GmbH und der Zeitschrift Medical Tribune.
Eine Erstattung von Reisekosten erhielt Frau Schatz von den Firmen Berlin Chemie, Fresenius, Roche, Sanofi-Aventis, Amgen, Lilly, NovoNordisk.
Erschienen in: Diabetes-Congress-Report, 2021; 21 (4) Seite 18-22